Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell

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Название Begegnungen mit Bismarck
Автор произведения Robert von Keudell
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783806242683



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zusammen. Da der Landtag regelmäßig im Januar zusammentrat, vergingen immer einige Monate, ehe das Budget festgestellt werden konnte, und in diesen Monaten wurden die laufenden Staatsausgaben wie natürlich geleistet, obwohl sie streng genommen vorheriger Genehmigung durch das Budgetgesetz bedurft hätten. So war es auch im Jahre 1862 geschehen, in welchem wegen der Auflösung des Hauses und der Neuwahlen die Etatsberatung sich ungewöhnlich lange verzögerte. Jetzt aber erhob man gegen das Ministerium den Vorwurf der Verfassungsverletzung wegen dieses Verfahrens, namentlich in Bezug auf die von diesem Hause noch nicht genehmigten und von einem früheren Hause ausdrücklich nur für 1861 bewilligten Ausgaben.

      Von der Heydt und Roon kämpften mit bewunderungswürdiger Ruhe und Umsicht, aber vergebens. Am 23. September beschloß das Haus mit 273 gegen 68 Stimmen, im Etat von 1862 die für die Heeresreform vorgesehenen Ausgaben – im Belaufe von ungefähr sechs Millionen – zu streichen. Dann wurde der so verstümmelte Etat von 308 gegen 11 Stimmen genehmigt.

      Die gestrichenen Posten waren zu drei Vierteln bereits thatsächlich verausgabt. Der Beschluß, daß solche Ausgaben nicht geleistet werden sollten, war daher unausführbar und konnte nur bezwecken, die Macht des Hauses fühlbar zu machen. Da Worte des Mißtrauens gegen die Minister nichts erreicht hatten, sollte eine That dem Könige deutlich machen, daß er diese Männer entlasten und andere ernennen müsse, die sich mit der Majorität des Hauses zu verständigen vermöchten.

      Im Lande fand der Beschluß des Hauses nur ausnahmsweisen Widerspruch. Daß die Minister ungesetzlich verfahren wären, sagten die meisten. Auch aus politischen Gründen gab man ihnen unrecht. Zur Einheit Deutschlands, dachte man, wäre auf friedlichem Wege zu gelangen, wenn Preußen einen liberalen Musterstaat mit parlamentarischer Regierung darstellte; dann würde es den kleineren Staaten gegenüber eine ähnliche Anziehungskraft auf politischem Gebiete ausüben wie früher auf handelspolitischem bei Gründung und Erweiterung des Zollvereins. Daß solche politische Angliederung sich ohne Schwertstreich vollziehen könne, wurde trotz der Erfahrung von 1850 vielfach ehrlich geglaubt und sogar von Abgeordneten öffentlich ausgesprochen. Auch von dem Koburger Hofe ausgehende Anregungen förderten diesen Glauben.

      Es wurde damals oft bezweifelt, ob wirklich ein wohlgeschultes Heer zum Schutze des Landes gegen die benachbarten großen Militärstaaten notwendig wäre. Sogar in Kreisen hoher und höchster Civilbeamten begegnete man oft genug der Meinung, daß für das Militär „eigentlich schon viel zu viel geschähe“ und daß es ratsamer sein würde, das Landwehrsystem weiterzuentwickeln, als das stehende Heer durch junge Reservisten zu verstärken. Von den ungeheuren Vorteilen technischer Durchbildung der Truppen hatten nur sehr wenige eine annähernd richtige Vorstellung. Wünsche nach einer Erleichterung des Militärdienstes wie der Steuerlasten waren im Volke weit verbreitet.

      Durch das preußische Dreiklassenwahlgesetz war die Entscheidung bei den Wahlen in die Hände der bemittelten Klassen gelegt. Gerade diese hatten 1861 und 1862 in zwei kurz aufeinander folgenden Wahlen die Heeresreform mit dreijähriger Dienstzeit entschieden abgelehnt. Die große Mehrheit der Wähler hatte sich mit den Abgeordneten einverstanden erklärt.

      Unlösbar schien die Aufgabe, die Volksvertretung und die Wähler unter den Willen des Königs zu beugen. Nur ein Held, „der das Wichten nicht gelernt hatte,“ konnte übernehmen, das zu versuchen.

      Der König war ungewiß, ob er einen solchen finden würde. Er war schon vertraut mit dem Gedanken der Abdikation, als er am 22. September an Bismarck die Frage richtete, welche Bedingungen dieser bei Uebernahme des Ministeriums stellen würde.

      Die Antwort lautete: „Gar keine. Ich fühle wie ein churbrandenburgischer Vasall, der seinen Lehnsherren in Gefahr sieht. Was ich vermag, steht Eurer Majestät zur Verfügung.“

      Diesen Anfang der Audienz, deren Verlauf in den „Gedanken und Erinnerungen“ (I, S. 267) dargestellt ist, hat Bismarck mehrmals in meiner Gegenwart erzählt.

      Er ging ohne Freude, aber in festem Gottvertrauen an’s Werk. Er war überzeugt, daß die von dem königlichen Kriegsherrn jahrzehntelang erwogenen Mittel zur Steigerung der Kriegstüchtigkeit des Heeres die richtigen wären; und unerträglich war ihm der Gedanke, daß der Versuch des Abgeordnetenhauses, durch einen unausführbaren Beschluß den Willen des Kriegsherrn zu brechen, gelingen sollte.

      Seine Uebernahme des Ministerpräsidiums steigerte die Erbitterung des Hauses. Die von ihm in den Jahren 1849 und 1850 gegen die Frankfurter wie gegen die Erfurter Verfassung gehaltenen Reden waren in aller Gedächtnis. Auf Grund einer vertraulichen, vielleicht mißverstandenen Aeußerung des Königs der Belgier zu einem Schriftsteller verdächtigte man ihn, mit Napoleon über die Vergrößerung Preußens unter Abtretung des linken Rheinufers verhandelt zu haben. Im Innern erwartete man von ihm Abschaffung der Verfassung, wie im Jahre 1850 Schwarzenberg sie in Oesterreich herbeigeführt hatte.

      Seine ersten Versuche, sich mit dem Abgeordnetenhause zu verständigen, fanden natürlich kein Entgegenkommen. In einer Kommissionssitzung sagte er mit Hinweisung auf die Heeresreform: „Die Einheit Deutschlands wird nicht durch Kammerreden bewirkt werden, sondern durch Eisen und Blut.“ Als diese Worte bekannt wurden, ging ein Schrei des Unwillens durch das Land. In Breslau erzählte mir ein hoher Regierungsbeamter, Bismarck habe an diesem Tage zu stark gefrühstückt; „sonst hätte er wohl so etwas nicht sogen können.“

      Das Herrenhaus verwarf am 10. Oktober den vom andern Hause verstümmelten Etat von 1862. Dadurch wurde eine budgetlose Verwaltung unvermeidlich. Die Session des Landtags endete am 12. Oktober.

      Am 19. reiste ich von Breslau zur dritten Weltausstellung nach London und, um Bismarck als Minister zu begrüßen, meldete ich mich bei ihm als Kurier zur Mitnahme von Depeschen. Er sah blaß, aber wohl aus, sprach ausführlich über einige gerade vorliegende Fragen des auswärtigen Dienstes und lud mich ein, auf der Rückreise einige Tage in Berlin zu bleiben.

      Als ich am 1. November zurückkehrte, befand er sich in Paris zur Verabschiedung beim Kaiser Napoleon. An diesem Tage hörte ich von einem mir befreundeten Landsmann, dem Literaturhistoriker Julian Schmidt, daß Bismarck in den ersten Tagen seines Ministeriums zwei altliberale Abgeordnete zu sich eingeladen hatte, um ihnen Ministerposten anzubieten. Diese Thatsache ist durch Sybels Geschichte der Begründung des Deutschen Reiches9, wenn nicht früher, bekannt geworden. Dort wird aber nicht erwähnt, daß er – nach Schmidts Zeugnis – auch den Redakteur der National-Zeitung, Herrn Dr. Zabel, zu einer Besprechung einlud und demselben ausführlich darlegte, er strebe in der deutschen Politik nach demselben Ziele wie die liberale Partei; zu dessen Erreichung sei jedoch Aufrechterhaltung der Heeresreform unerläßliche Vorbedingung; die Partei handle daher völlig verkehrt, wenn sie ihn nicht unterstütze.

      Bei dem damaligen Stande der öffentlichen Meinung konnte aber jeder der Eingeladenen nur erklären, daß ohne die Zusage der zweijährigen Dienstzeit irgendeine Unterstützung der Regierungspolitik vonseiten der liberalen Parteien unmöglich sei.

      Am 1. Dezember hatte ich in Berlin Privatgeschäfte und war zu Tische bei Bismarck um 5 Uhr, was damals noch die gewöhnliche Zeit seiner Hauptmahlzeit war. Es kam mir nicht in den Sinn, nach den eben erwähnten Vorgängen zu fragen. Ich wußte, daß die Form der Frage ihm in der Unterhaltung nie willkommen war, und darf hier erwähnen, daß er vielen politischen Agenten die Instruktion gegeben hat, im Verkehr mit Vertretern einer fremden Macht direkte Fragen möglichst zu vermeiden. Wolle man eine gewisse Nachricht konstatieren, so möge man in geschickter Weise das Gespräch auf den Gegenstand bringen. Sei der andere geneigt, das Gewünschte mitzuteilen, so werde er es dann freiwillig thun; habe er jedoch Ursache, darüber zu schweigen, so werde man auch durch eine Frage die Sache nicht herausbringen, sondern dem Gefragten nur eine Mißempfindung bereiten, welche auf schwebende Verhandlungen ungünstig zurückwirken könne.

      Ich erhielt also damals keine Bestätigung der Mitteilungen von Julian Schmidt. Anfang Juni 1866 aber erzählte Bismarck, daß er „wieder einmal“ Herrn Zabel zu einer Besprechung eingeladen hätte und daß die politischen Meinungen dieses trefflichen Mannes im Grunde nicht sehr weit von seinen eigenen entfernt wären.

      Bei dem erwähnten Diner (am 1. Dezember 1862) hörte er mit Interesse, daß ich in London bei einem deutschen Maler zufällig Mazzini getroffen hatte, welcher versicherte,