Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell

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Название Begegnungen mit Bismarck
Автор произведения Robert von Keudell
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783806242683



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haben ihm wundervoll wohlgethan – Gott sei tausend Dank dafür.“ …

      24. September.

      … „Unser Schicksal wird sich in diesen Tagen entscheiden, ist vielleicht schon geschehen, da Bismarck nach seiner Rückkehr von Meer und Gebirgsfreuden mit zwei telegraphischen Depeschen eilends nach Berlin gerufen wurde, von wo er mir schon freundlichst und gesund, aber sehr mißgestimmt geschrieben, weil er wieder große Uneinigkeit in allen Regionen gefunden und tobend fürchtet, um nichts und wieder nichts festgehalten zu werden und am Ende ganz dort hängen zu bleiben, was ihm einen gleichen Schauder gibt wie mir. Gott mög’s fügen, wie es heilsam für uns ist – man hat nach all’ der langen Bummelei gar keinen Willen mehr, und ich flehe nur dringend, daß es gut werde für Bismarck und die Kinder – ich bin wirklich sehr Nebensache und stets zufrieden, wo die vier glücklich und gesund sind. Das weiß Gott!“ …

      Am 23. September erfolgte die Berufung Bismarcks zur Leitung des Staatsministeriums.

      * * *

      Um die Aufgabe verständlich zu machen, vor welche er damals gestellt wurde, muß ich kurz erzählen, wie aus der Heeresreform der Verfassungskonflikt erwachsen war.

      Nach den grundlegenden Gesetzen von 1814 und 1815 war in Preußen jeder gesunde Mann vom 20. bis zum 50. Lebensjahre wehrpflichtig, und zwar 3 Jahre im stehenden Heere, 2 Jahre in der Reserve; dann in der Landwehr und im Landsturm. Die Landwehrdienstpflicht endete im ersten Aufgebot mit dem 32., im zweiten mit dem 39. Jahre. Die Reservisten hatten jährlich einige Wochen in den Linienregimentern zu üben. Die Landwehrleute ersten Aufgebots wurden der Regel nach nur einmal in 4 Jahren auf 8 Tage einberufen, aber zu besonderen Infanterie- und Kavallerieregimentern formiert, welche mit je einem Linienregimente zusammen eine Brigade in der mobilen Feldarmee zu bilden hatten. Das zweite Aufgebot der Landwehr sollte nur zur Landesverteidigung und zum Festungsdienst, der Landsturm nur in äußersten Notfällen einberufen werden.

      Die Stärke des stehenden Heeres und der Landwehr war „nach den jedesmaligen Staatsverhältnissen“ zu bestimmen. Im Kriege sollten bei eintretendem Bedürfnis auch Landwehrleute als Reservisten eingezogen werden.

      Die im Jahre 1820 vollendete Organisation des stehenden Heeres gab die Möglichkeit, jährlich 40.000 Rekruten einzustellen. Diese Ziffer war für die damalige Bevölkerung Preußens von etwa 11 Millionen Seelen berechnet; später aber mußten viele wehrfähige junge Leute wegen Mangels an Raum in den Cadres dienstfrei bleiben. Die Zahl derselben war im Jahre 1859, bei einer Bevölkerung von etwa 18 Millionen, auf mehr als 23.000 Köpfe jährlich herangewachsen.

      Statt der dreijährigen Dienstzeit wurde lediglich aus Ersparnisrücksichten im Jahre 1833 die zweijährige bei der Infanterie versuchsweise eingeführt; auf Grund der damit gemachten Erfahrungen aber ging man 1852 zur 2 ½-jährigen über und kam 1856 zur dreijährigen Dienstzeit zurück.

      Als im Jahre 1859 während des italienischen Krieges 5 Armeekorps mobilgemacht wurden, befanden sich unter den einberufenen Landwehrleuten ersten Aufgebotes 55.277 Familienväter, während Hunderttausende gesunder junger Leute dienstfrei umhergingen.

      Der Prinz von Preußen hatte seit Jahrzehnten für die Hauptaufgabe seines Lebens gehalten, die erkannten Mängel der militärischen Einrichtungen zu beseitigen und die Kriegstüchtigkeit des Heeres zu erhöhen. Als Prinzregent befahl er, im Februar 1860, dem Landtage einen Gesetzentwurf vorzulegen, in welchem zwei Grundgedanken hervortraten: vollständige Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht und Ersetzung der Landwehr ersten Aufgebots in der mobilen Feldarmee durch Reservisten.

      Zur Aufnahme der bis dahin jährlich dienstfrei gebliebenen über 23.000 Mann als Rekruten war eine bedeutende Vermehrung der Regimenter erforderlich.

      Durch Ausdehnung der Reservepflicht von 2 auf 5 Jahre aber gedachte man die Schlagfertigkeit des Heeres zu erhöhen, die Mobilmachungszeit abzukürzen und die älteren Leute zu schonen, welche im ersten Aufgebot der Landwehr zur Hälfte, im zweiten zu 5/6 verheiratet waren.

      Es kam auch in Betracht, daß die seit dem Aufhören der „heiligen Allianz“ wesentlich veränderte Lage von Europa militärische Demonstrationen nötig machen konnte, zu welchen die Landwehr heranzuziehen dem Lande Lasten auferlegt haben würde, wie sie bei den Mobilmachungen von 1850 und 1859 wegen der den Kreisbehörden obliegenden Ernährung der Familien einberufener Landwehrmänner als unverhältnismäßig schwer empfunden worden waren.

      Zur Ausführung der Heeresreform wurde eine Erhöhung des Militärbudgets um 9 ½ Millionen Thaler jährlich verlangt.

      Die von Vincke präsidierte Kommission des damals gemäßigt-liberal und ministeriell gefärbten Abgeordnetenhauses folgte den Ratschlägen des Generalmajors a. D. Stavenhagen, welcher zwar die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht billigte, aber die Erhaltung der Landwehr in der mobilen Feldarmee und Einführung zweijähriger statt der dreijährigen Dienstzeit bei der Infanterie forderte. Man bezeichnete die „durch ruhmvolle Erinnerungen geheiligte“ Institution der Landwehr als den kräftigsten Bestandteil des Heeres und als Bindeglied zwischen dem Volke und dem durch den exklusiven Corpsgeist der größtenteils adligen Offiziere unpopulären stehenden Heere. Wegen der zweijährigen Dienstzeit bezog man sich auf deren langjährige faktische Geltung und auf einige militärische Autoritäten früherer Zeit.

      Vergebens kämpfte der Kriegsminister von Roon mit Gründen überlegener Einsicht; die populären Schlagworte „Erhaltung der Landwehr“ und „zweijährige Dienstzeit“, deren sich fast die ganze liberale und demokratische Presse bemächtigt hatte, behielten auch in der Kommission die Oberhand, obwohl es kein Geheimnis war, daß der Prinzregent die dreijährige Dienstzeit zu kriegstüchtiger Ausbildung der Infanterie mit den modernen Waffen für unerläßlich, und daran festzuhalten für Gewissenspflicht hielt.

      Infolge der unbeugsamen Haltung der Kommission mußte das Ministerium die Ablehnung des Gesetzentwurfs im Plenum für sehr wahrscheinlich halten und zog denselben im Mai 1860 zurück.

      Nun hatte aber die europäische Lage nach dem italienischen Kriege notwendig gemacht, das Heer auf dem Fuße einer gewissen Kriegsbereitschaft zu halten; und daß dies Bedürfnis auch im Jahre 1860 noch fortdauerte, war von den einflußreichsten Abgeordneten mehrfach anerkannt worden. Diese für Bildung neuer Cadres günstigen Zeitverhältnisse sollten nicht unbenutzt bleiben.

      Man kam im Mai – leider um fünf Monate zu spät – im Kriegsministerium auf den Gedanken, daß es eines neuen Gesetzes gar nicht bedürfe, um neue Regimenter zu schaffen, und daß dazu nur eine Geldbewilligung erforderlich sei; diese würde durch den im Frühjahr bekannt gewordenen günstigen Finanzabschluß des letzten Jahres erleichtert werden.

      Allerdings waren die beabsichtigten Formationen neuer Cadres nach den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen ausführbar; und auf die danach im Frieden nicht zulässige Einberufung der jüngsten Jahrgänge der Landwehr zum Reservistendienste konnte man vorläufig verzichten.

      Man verlangte demnach vom Abgeordnetenhause neun Millionen auf 14 Monate zu dem Zwecke „der Aufrechterhaltung und Vervollständigung derjenigen Maßnahmen, welche für die fernere Kriegsbereitschaft und die erhöhte Streitbarkeit des Heeres erforderlich und auf den bisherigen gesetzlichen Grundlagen thunlich“ wären.

      An den Kommissionsverhandlungen über diese Vorlage hat Roon persönlich keinen Teil genommen. Er wußte, daß im Dezember 1859 seine Ernennung von der liberalen Partei mit Mißtrauen begrüßt worden war. Es wurde damals erzählt, sein in der Partei beliebter Vorgänger, General von Bonin, habe sich zurückgezogen, weil er einige von ihm gewünschte Einschränkungen des Reorganisationsprojektes wegen Widerspruchs des Generals Freiherrn Edwin von Manteuffel, damaligen Chefs des Militärkabinetts, nicht habe zur Geltung bringen können. Roon war noch nie in der Lage gewesen, eine politische Farbe zu bekennen; aber infolge unbestimmter Gerüchte und weil er alle von seinem Kriegsherrn beabsichtigten Neuerungen zu vertreten unbedenklich übernahm, wurde er als ein „Reaktionär“ angesehen. Die unfreundliche Stimmung der Majorität war ihm in der Kommission fühlbar geworden. Er mochte daher für geraten halten, in die Verhandlungen über den verlangten Kredit nicht einzugreifen und die Vertretung des Ministeriums in der Kommission dem persönlich beliebten Finanzminister Freiherrn Patow