Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell

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Название Begegnungen mit Bismarck
Автор произведения Robert von Keudell
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783806242683



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liegt er meist auf dem Sofa, liest oder hört, was ich ihm vorspiele auf einem mittelmäßigen Pianino, und ich sitze bei ihm von früh bis spät. So leben wir ohne Abwechslung, ganz stillchen eine Stunde nach der andern. Die Frankfurter Bekannten sind alle auf dem Lande oder in entfernten Bädern. Hier in Wiesbaden kennen wir keine Seele – mich freut’s für seine Nerven, denen die Ruhe so Noth thut, die so entzwei waren, daß er in Berlin, als es etwas besser ging, er dringend nach Musik verlangte und ich ihn eines Morgens, nachdem er aufgewacht, auf einem heimlich beschafften Klavierchen mit einem Choral überraschte – in helle Thränen ausbrach vor Freude und Wehmuth! Daran können Sie abmessen, wie furchtbar elend er durch und durch gewesen … Gott der Herr ist mir aber recht nahe gewesen, immer und immer, so habe ich mir schon durchhelfen können.“ …

      Reinfeld, 23. Oktober.

      … „In Wiesbaden haben wir in heißer Luft und heißem Wasser 14 Tage lang Heilkraft gesucht, aber nicht gefunden, es blieb ziemlich gleich von Anfang bis zu Ende, die Schmerzen kehrten sogar wieder. Ich zog unsern früheren Frankfurter Arzt Dr. Struck zu Rath. Der stimmte aber sofort gegen alles, was man in Berlin und Wiesbaden verordnet, und schickte uns eilends nach Nauheim, was meinem lieben Otto in jeder Weise so wunderbar gut that, daß er nach 8 Tagen wie ein anderer Mensch war und nach 16 so viel besser, daß man uns ziehen ließ. Am 7. September früh ging’s von Nauheim nach Berlin und dort fanden wir eine telegraphische Depesche vom Regenten, die Bismarck schleunigst nach Baden beschied. Wir besorgten in kurzer Zeit möglichst viel und jagten dann nach Norden und Süden auseinander.“ …

      Ende Oktober kamen der Prinzregent und der Kaiser Alexander in Warschau zusammen und reisten dann zu einer Truppenbesichtigung nach Breslau. Bismarck war natürlich immer zugegen. In Breslau konnte ich ihm während zweier Tage morgens vorspielen und später verschiedene kleine Dienste erweisen. Er lud mich ein, ihn bald in Petersburg zu besuchen, erzählte viel von seiner Krankheit und äußerte sich abfällig auch über Berliner Aerzte, welche ihn durch zu starke Dosen von Jod dem Tode nahegebracht hätten. Erst nachdem seine Frau die Jodflasche zum Fenster hinausgeworfen, wäre ihm besser geworden.

      Bald darauf trat er mit der Familie die Reise nach Petersburg an, erkrankte aber schwer an einem Ruhetag bei Herrn von Below in Hohendorf (Ostpreußen).

      Frau von Bismarck schrieb am 30. Januar 1860 aus Hohendorf:

      … „Zwölf Wochen sind wir nun hier, und was Liebe und Güte irgend auf der Welt zu leisten vermag, das haben wir hier in überreichem Maß von der ersten Stunde an jeden Augenblick erfahren, so daß kein Mund genug davon rühmen, kein Herz genug dafür danken kann! Wer ebenso ist’s auch nimmer zu beschreiben, was wir ausgestanden in namenloser Todesangst und Sorge, Verzagtheit – ach fast Verzweiflung – alle die schreckliche Krankheitszeit der ersten gefährlichsten Wochen, wie nachher, als die Genesung wohl eintrat, nach Doktors Worten – er aber stets zurückfiel in die alten Zustände und ich mich fast aufrieb in unaufhörlicher Todesbetrübniß. ‒

      „Seit Neujahr ist es nun doch anders geworden; wenn die große Mattigkeit, Trübseligkeit, Schlaflosigkeit auch noch wiederkehrte und die aufkeimende Hoffnung zu Schanden machen wollte, so sah es doch im Ganzen besser aus, seit er hinauskonnte – 5 Minuten, 10 Minuten, nach und nach bis zur halben Stunde.

      „Und seit den letzten 8 Tagen scheint es mir weit frischer zu gehen und ich glaube nun fest, daß Gottes Barmherzigkeit ihm die alten Kräfte noch einmal wiedergeben wird – worauf ich nicht zu hoffen wagte all die vergangenen Wochen. ‒

      „Was wird nun? Ja, wer weiß es! Ich nicht! Kein Mensch kann’s sagen. Bismarck spricht entschieden von Rückkehr nach dem gräßlichen Petersburg, wogegen Aerzte predigen und Freunde warnen. Wenn er alles aufgeben möchte, was mit Politik und Diplomatie zusammenhängt, wenn wir, sobald er ganz gesund wäre, schnurstracks nach Schönhausen gingen, uns um nichts kümmernd als um uns selbst, um unsre Kinder, Eltern und die wirklichen wahrhaften Freunde, das wäre meine Wonne. Dann würde er gewiß bald wieder so stark und frisch werden wie vor 10 Jahren, als er eintrat in diese unleidliche stürmische Diplomaten-Welt, die ihm gar nichts Gutes gebracht – nur Krankheit, Aerger, Feindschaft, Mißgunst, Undankbarkeit und – Verbannung; wenn er den Staub seiner lieben Füße über den ganzen nichtsnutzigen Schwindel schütteln und all’ dem Unsinn entrinnen wollte, in den er mit seinem ehrlichen, anständigen grundedlen Charakter nie hineinpaßt – dann wäre ich vollkommen glücklich und zufrieden! – Aber – er wird’s leider wohl nicht thun, weil er sich einbildet, dem „theuren Vaterland“ seine Dienste schuldig zu sein, was ich vollkommen übrig finde.“

      Hohendorf, 26. Februar 1860.

      … „Endlich kann ich Ihnen die liebliche Botschaft von seiner Genesung geben. Sie wissen, wie viel an seinem geliebten Leben hängt! Mein Herz ist so voll von dem Jubel über sein Wohlsein, daß die Feder gleich davon überströmen muß! Gottlob, daß sie es kann …“

      Berlin, 14. April 1860.

      „… wir sitzen seit Anfang März noch immer hier, erst durch Krankheit, dann durch Entschlußlosigkeit des Ministeriums aufgehalten! In welcher Stimmung, können Sie sich ungefähr denken, wenn ich Ihnen sage, daß wir Abschied von den Kindern und Eltern genommen auf höchstens 8 Tage, die jetzt runde vier Wochen geworden sind.“

      Petersburg, 23. Juni 1860.

      … „Seit dem 5ten sind wir hier eingezogen, hatten eine langsame ziemlich bequeme Reise durch polnische und russische Steppen von Mittwoch früh bis Dienstag früh, fast 8 Tage, sind den ersten Morgen hier derb durchgeweht worden von einem eisigen Orkan (Thermometer stand auf 0), haben die ersten 8 Tage bitter gefroren, sind dann aber durchglüht worden von einer Hitze, die mir im Vaterlande nie vorgekommen … Es ist eine merkwürdige, unendliche Stadt, dies in jeder Beziehung steinreiche Petersburg. Schön, man kann’s nicht leugnen, und großartig. Unsere Wohnung liegt charmant am Quai – und der Schiffsverkehr ohne Ende von einem Licht in’s andre – der wundervolle Sonnenuntergang, die ewige Abendröthe durch die ganze Nacht, die eigentlich nur helle Dämmerung genannt werden kann, macht mir viel Freude! Ebenso die Spazierfahrten auf den Inseln in sausender Carriere und nach Zarske und Pawlowsky… Bismarck geht’s, Gott sei gepriesen, recht gut! Er ist wohl noch nicht der Alte wieder, aber ich hoffe, das kommt mit der Zeit. … Musik habe ich bis jetzt nur genossen in den russischen höchst merkwürdigen mysteriösen Melodien, die das Volk auf der Straße, auf den Inseln, fahrend, gehend, reitend, arbeitend immer und immer singt …“

      21. Juli.

      … „Bismarck hat vier Wochen Karlsbader Brunnen getrunken, der ihm gar nicht gut that, so daß ich zu meiner Freude endlich den Schluß durchgesetzt, der erst zwei Wochen später erfolgen sollte … Er mußte Ruhe haben, der geliebte Bismarck, aber er hat keine Ruhe d a z u und fühlt sich höchst unglücklich ohne Beschäftigung – so muß man sich fügen. Aber Angst ist mir sehr um ihn und Gott möge in Gnaden dreinsehen, ihm mehr Schlaf und Nervenstärkung geben. Krank ist er gottlob nicht, aber es war noch kein Tag, an dem er sich vollkommen kräftig gefühlt …“

      * * *

      Wiederholten Einladungen folgend, erreichte ich auf dem Stettin-Petersburger Postdampfer am Morgen des 28. August die Newa-Stadt. Oberhalb der Landungsstelle am südlichen Ufer lag damals die Wohnung unseres Gesandten.

      Das Haus enthielt große und bequeme Wohnräume und ausreichenden Platz für die Kanzlei. Das hübsche Arbeitszimmer des Gesandten lag an der Nordseite und gewährte aus zwei Fenstern den Blick auf den Strom, eine Brücke und in der Ferne einen Waldessaum. Dieselbe Aussicht war aus den vier Fenstern des großen Damensalons, in dessen Mitte der Flügel stand. Das Eßzimmer lag am Hofe und führte zum Hinterhause. Die ganze Wohnung war größer und eleganter als die beiden in Frankfurt verlassenen, aber für große Gesellschaften gegenüber den Petersburger Ansprüchen nicht groß genug.

      Beim Frühstück sagte mein gütiger Wirt: „Da Sie gern reiten, habe ich Pferde nach den Inseln vorausgeschickt. Ist es Ihnen recht, so fahren wir dorthin.“

      Frau von Bismarck fuhr nicht mit; nach der Frankfurter Zeit hat sie nicht mehr geritten, um sich ganz den heranwachsenden Kindern widmen zu können. ‒

      Wir