Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell

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Название Begegnungen mit Bismarck
Автор произведения Robert von Keudell
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783806242683



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zu gefährlich.“

      In den Wohnzimmern erschienen damals mitunter zwei kleine Bären, deren possierliche Bewegungen Jung und Alt belustigten. Eines Abends war eine irdene Schale mit Milch für eines der Tierchen auf die Thürschwelle des Salons gesetzt. Die Milch war, wie nachher konstatiert wurde, sauer geworden. Der kleine Bär beschnupperte die Schale, holte dann mit der rechten Tatze aus und schlug von der Seite so heftig dagegen, daß die Schale an der nächsten Wand in Stücke sprang. Allgemeine Heiterkeit. – Als Bismarck Petersburg verließ, schenkte er die Bären dem Zoologischen Garten in Frankfurt a. M.

      Hoffeste gab es natürlich in der Fastenzeit nicht; doch hatte ich auf einem Raout bei dem Fürsten Gortschakoff Gelegenheit, den Kaiser Alexander zu sehen und zu hören, wie er sich längere Zeit mit Bismarck unterhielt, zum Teil in russischer Sprache. Ich bezweifle, daß je ein anderer Diplomat dem Kaiser dieses Vergnügen hat bereiten können. Bismarck aber hat während der ganzen Zeit seines Petersburger Aufenthaltes Unterricht im Russischen genommen. Abends, während Musik gemacht wurde, pflegte er immer in einem russischen Buche zu lesen.

      Mit den beiden Knaben, Herbert und Bill, lief ich fast täglich Schlittschuh auf der Newa, bei hellem Sonnenschein und 8‒10 Grad Kälte. Herbert begleitete mich auch mit seinem Hauslehrer, dem Kandidaten Braune, in die kaiserlichen Schlösser und zeigte dort vor historischen Bildern überraschende Kenntnisse in der neuesten Geschichte. Sein Vater hatte die große Güte, mich einmal in eine Gemäldegalerie zu führen, doch schien mir das mehr ein Akt ausgesuchter Höflichkeit als eine Folge besonderen Interesses für die Bilder.

      An dem Mittagessen (6 Uhr) pflegten teilzunehmen der damals schon als Schriftsteller bekannte Legationssekretär von Schlözer (nachmals Gesandter beim Vatikan) und der Attaché von Holstein. Von gelegentlichen Tischgästen darf ich erwähnen einen früheren preußischen Offizier, Oberst von Erckert, der lange im Kaukasus gewesen war und damals in Petersburg ein Infanterieregiment kommandierte, den Staatsrat von Brevern sowie den ehemals berühmten Klavierspieler und Komponisten Adolf von Henselt.

      In politischer Beziehung war Bismarck damals wenig mitteilsam, vielleicht, weil die bevorstehende Versetzung nach Paris und der nicht unwahrscheinliche spätere Einzug in das Ministerium seine Gedanken auf künftige Probleme richteten. Mehrmals erwähnte er, daß er dienstlich in der Vertretung der Interessen der in Rußland lebenden Deutschen „seine Schuldigkeit“ thue, in der europäischen Politik aber keinerlei Initiative nähme und sich passiv verhalte, was den immer auf Intrigen gefaßten Fürsten Gortschakoff sehr befriedigte.

      Als ich nach vierzehntägigem Aufenthalt abreiste, begleitete er mich wieder zum Bahnhof. Dort sagte er: „Ich würde mich über Ihren Besuch noch mehr gefreut haben, wenn ich Ihnen eine Bärenjagd geben und Sie da zu Schuß bringen gekonnt hätte. Aber in den letzten Wochen ist kein Bär gemeldet worden.“

      * * *

      Frau von Bismarck schrieb am 16. April:

      … „An Bismarcks Geburtstag wurden wir von der Großfürstin Helene zu einem kleinen Diner befohlen, worüber ziemliche Verblüffung in der kleinen und großen Familie herrschte. Nach Bismarcks Anordnung gab es hier um 3 Uhr mit sämtlichen Gesandtschaftsmitgliedern (5), Keyserling, Erckert, Kindern und Lehrer fröhliches Geburtstagsfrühstück und um ½ 7 zweite Auflage in Form und Feierlichkeit bei der Großfürstin. Die kleine Verstimmung vergaßen wir bald in Gesellschaft der wirklich strahlend liebenswürdigen Helena, die uns am ganz kleinen runden Tisch um sich versammelte (nur Keyserling, Suwarow und ihre bevorzugte Hofdame Fräulein von Rahden, außer uns) und eine so unbefangene, interessante, lustige Unterhaltung in Gang brachte, als wäre es der intimste Freundeskreis. Nach Tisch verwöhnte sie die passionierten Raucher noch mit ausgezeichneten Cigarren, und als sie uns um ½10 Uhr entließ, wollte sie keinen Abschied nehmen, „weil es ihr zu schwer würde“ … Jetzt werden täglich viele Visiten absolviert, 50 habe ich überwunden, 39 noch vor mir, dazu die wahrscheinlichen Abschieds-Couren in Palais Michael und Leuchtenberg und verschiedene Freundschaftsabende … So viel steht fest, daß wir eine angenehmere, bequemere Stellung wie hier nirgend wieder finden werden – weshalb wir wirklich mit Wehmuth von Petersburg scheiden, trotz Klima und Theuerung – die lieben Schrenck und Bertheau noch gar nicht eingerechnet, von denen der Abschied mir wahrhaft schwer werden wird. … Keyserling ist ein wahres Prachtexemplar innerlich, trotz äußerer Unscheinbarkeit. Er hat einen ganz ungewöhnlich scharfen Verstand und richtiges Urtheil nach jeder Richtung hin; er ist nicht wie ein trockner Gelehrter, sondern wie ein farben- und duftreicher Blumengarten – voll zarter Poesie –, wie man es sehr selten im Leben findet … Ich werde diesen liebsamen Freundschaftsverkehr schmerzlich vermissen, wenn ich mich in Paris oder sonstwo mit den langweiligsten Creaturen abquälen muß.“ …

      Den 30. April.

      … „Vorgestern Gratulationscour und Ball im Kaiserlichen Palais, höchst glänzend und fröhlich für die tanzlustige Jugend. Mir war’s zu voll und zu heiß für meine ehrsamen Jahre. Ich habe mich mit angenehmen Abschiedsregrets von rechts und links unterhalten lassen und meine Augen an den kaiserlichen Diamanten zum letzten Mal geblendet. … Des Kaisers wiederholter Händedruck wie der außerordentlich weiche herzliche Ton seiner wohlklingenden Stimme, mit dem er „aufrichtig lebhaft bedauerte“, daß man uns nicht in Petersburg lassen wollte, hatte wirklich etwas Rührendes. Bismarck hat mehrmals gesagt, daß die herzliche Manier des Kaisers unwiderstehlich sei, was ich nie glauben wollte – aber heute wurde ich selbst ergriffen, besonders bei seinen letzten Worten: „Aber wir bleiben doch immer Freunde, nicht wahr?“ Die Kaiserin war auch sehr freundlich mit huldvollster Umarmung, ebenso die Großfürstinnen Helene, Marie, Konstantine – es ging von einer Umarmung in die andere.“ …

      7Anfangsworte eines beliebten Liedes von Rob. Franz (op. 4 Nr. 7).

      8Frau Bertheau, Gattin eines deutschen Kaufherrn; Frau von Schrenck, Witwe eines esthländischen Grundbesitzers, lebte mit ihrer Tochter einige Jahre in Petersburg.

      V.

       Berlin. September 1862 bis November 1863.

      Reinfeld, 21. Juni 1862.

      … „Aus Paris bekomme ich oft liebe und Gott sei Dank gute Gesundheits-Briefe, nur stets in Angst um Berliner Telegramme, die Wilhelmstraßen-Gefängniß bringen könnten. Bismarck hat 14 Tage in Berlin auf Entscheidung gewartet, ist dann ärgerlich geworden, worauf man ihn schleunigst nach Paris ernannte, aber gleich dabei sagte, unter Umständen wäre wohl eine baldige Zurückberufung möglich. …“

      3. Juli.

      … „Von Bismarck hatte ich eben einen lieben Brief – gottlob gesund, aber unsicher wie immer. Heute sollte er in Fontainebleau bei Louis speisen und parforcejagen.“ …

      9. August.

      … „Von Bismarck kommen die liebsten Briefe – ganz berauscht von den wundervollen Gegenden, die er am Atlantischen Ocean wie in den schönen Pyrenäen täglich durchwandert. St. Sebastian scheint ihm bis jetzt den überwältigendsten Eindruck gemacht zu haben, aber er war auch sehr entzückt von verschiedenen französischen Schlössern (Chambord und Chenonceaux), von Bordeaux und Biarrits; er ist gottlob recht wohl und noch nicht entschieden, wie lange und wo er eigentlich bleiben will; vierzehn Tage hat er von seinen 6 Wochen Urlaub schon verreist und das Heimweh plagt ihn trotz aller himmlischen Naturgenüsse so sehr, daß er die Badekur in Biarrits, die er sich vorgenommen, wohl ziemlich kurz einrichten wird.“ …

      Reinfeld, den 7. September.

      … „In diesem Monat soll sich viel entscheiden. Bismarcks letzter Brief (vom 30ten aus Biarrits) war fast wehmüthig über die baldige Trennung von dem reizenden Meer, den liebenswürdigen Russen und der schönen Bummelzeit, die er mit ihnen vier Wochen dort vollführt – er ist ganz hingerissen von Kathi Orlow (Frau des russischen Gesandten in Brüssel), die ihm täglich alle Beethovens, Schuberts, Mendelssohns u. s. w. vorspielt; und wenn ich Anlage zu Neid und Eifersucht hätte, könnte ich mich jetzt wahrscheinlich bis in tiefste Abgründe von diesen Leidenschaften tyrannisieren lassen. In meiner Seele ist aber gar kein Stoff dazu vorhanden, ich freue mich nur immerzu ganz ungeheuer, daß mein lieber Gemahl die reizende Frau dort