Küstengold. Kurt Geisler

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Название Küstengold
Автор произведения Kurt Geisler
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839239384



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sind es dann sechs.«

      Schneider musste nun auch lachen. »Hab schon verstanden. Das ist nicht Ihre Welt. Lassen Sie uns noch einen Kleinen nehmen. Prost.«

      Stuhr prostete zurück, während er bemerkte, dass Verena bereits mit neuen Drinks im Anmarsch war. Bei Absenken auf den Tisch wirkten die rot schillernden Blutstürze harmlos.

      Jetzt rückte Schneider heran. »Ich setze mich zu Ihnen an den Tisch, da kann man sich besser unterhalten. Zu schade, dass es die Bundeswehr hier nicht mehr gibt. Das war eine regelrechte Goldquelle. Nach Übungen auf dem Sand oder Flugzeugabstürzen im Watt hat die Bundeswehrverwaltung immer gut Geld abgedrückt, um keinen schlechten Ruf zu hinterlassen. Ein Geschäftsfeld, das ich leider aufgeben musste. Trotzdem: pures Küstengold, die ganze Ecke hier. Glauben Sie mir.«

      Stuhr wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Schneider war ein abgebrühter Hund, ein richtiger Profitgeier. Aber das sollte Stuhr nicht weiter kratzen, denn er war nach St. Peter-Ording gekommen, um sich zu erholen. Mit Freuden registrierte er die gepflegten Hände von Verena, die neue Getränke servierte. Stuhr blieb nicht verborgen, dass anschließend diese Fingernägel den Rücken von Schneider herunterkratzten.

      Der reagierte unwirsch. »Bitte lass das, Verena. Kleine Mädchen sollten die großen Jungs nicht bei ihren Geschäften stören. Wir sind hier nicht im Streichelzoo.«

      Die Bedienung wich jedoch nicht von Schneider und begann mit beiden Händen, seinen Nacken intensiv zu massieren. Gequält lächelnd ließ Schneider die Prozedur über sich ergehen. Unangenehm konnte es nicht sein.

      Augenzwinkernd klärte die Kellnerin Stuhr auf. »Heutzutage muss man Kundenpflege betreiben. Es gibt nicht mehr genug zahlungskräftige Laufkundschaft wie früher. Die Zeiten ändern sich.«

      Als Schneider kurzzeitig genussvoll die Augen schloss, ging sie zum Generalangriff über. »Noch ein wenig Ganzkörperentspannung hinterher, der Herr Oberschneider?«

      Aber Schneider schüttelte ihre Hände von seiner Schulter und öffnete wieder die Augen. »Morgen vielleicht. Heute habe ich noch geschäftlich zu tun, meine kleine Honigschnute.«

      Verena bemerkte, dass sie zurzeit nicht mehr hilfreich sein konnte. »Dann erst einmal Wohlsein den Herren. Tja, wer nicht will, der hat schon.«

      Schnippisch drehte sie sich um und verließ die beiden, um die zahlreich aufgelaufenen Bestellwünsche von den Nachbartischen entgegenzunehmen.

      Erleichtert prostete Schneider Stuhr zu. »Verena ist schon eine klasse Frau, Stuhr. Aber einfangen lasse ich mich nicht.«

      Zum Trinken kam Schneider jedoch nicht, denn sein Handy klingelte. Offenbar war es der Pilot, der Bericht erstattete. Besonders aufzuregen schien Schneider dieser nicht. Er beendete das Gespräch, indem er den Piloten anwies, eine andere Maschine zu besorgen. Dann wendete er sich wieder Stuhr zu.

      »Jetzt aber. Prost.«

      Schneider kippte den Drink herunter und sog anschließend mit einem tiefen Zug eine gewaltige Menge Nikotin in sich hinein. Dieser Mann schien in allen Dingen maßlos zu sein.

      Stuhr tat es ihm nach, aber gewöhnen konnte er sich nicht an das Zeug. Zudem stieg es ihm mächtig in den Kopf.

      Schneider beugte sich wieder vor. »Meine Maschine muss geborgen und dann von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung begutachtet werden. Das kann Wochen dauern. Der Pilot soll deshalb eine andere Maschine auftreiben. Das wird am Wochenende nicht ganz so schnell gehen. Für mich heißt es, dass ich hier für ein paar Tage feststecke. Gibt es einen besseren Ort dafür?«

      Verena enterte mit neuen Drinks wieder den Platz und stellte die alten Gläser beiseite. »Darf ich ein Foto mit meinem Handy von den beiden Herren schießen?«

      Stuhr begann, die Gläser beiseite zu schieben, aber Verena stellte sie seelenruhig zurück. »Stehenlassen, das Rot bringt doch erst richtig Farbe für die beiden Herren auf das Foto.«

      Schneider ermunterte Stuhr, gemeinsam mit ihm ein Wort in den Mund zu nehmen, das ein Lächeln auf das Foto zaubern sollte: »Ameisenscheiße.« Stuhr tat es ihm nach, aber als das Klicken des Handys zu vernehmen war, war er nicht sicher, ob es im richtigen Moment aufgenommen wurde. Man würde sehen.

      Die Stimmung auf der Arche Noah wurde immer ausgelassener. Ja, in St. Peter-Ording abzufeiern, das war schon etwas ganz Besonderes. An jedem Wochenende steppte im Sommer hier der Bär, und dieses Mal würde Schneider in Feierlaune sicherlich noch einen oben draufsetzen.

      Je tiefer sie anschließend in das Gespräch versanken und je ausgelassener die Feierlaune wurde, umso mehr wurde Stuhr klar, dass dieser schillernde Schneider ihn so schnell nicht mehr loslassen würde. Immer wieder zuckten Fotoblitze über die Sonnenterrasse bis in die späte Nacht. Irgendwie haben Typen wie Schneider ja auch etwas Besonderes an sich.

      Stuhr blickte verstohlen zur Bedienung. Sie sah wirklich klasse aus. Jetzt bemerkte auch Verena seinen interessierten Blick und hielt mit ihren stechenden blauen Augen dagegen, während ihr Lächeln immer diabolischer wurde.

      Bei Gott, in welche Mördergrube war er nur hineingeraten? Nein. Stuhr maßregelte sich. Er hatte im letzten Jahr schon genug Mist gebaut und ein unmittelbarer Nachfolger von Schneider bei dieser Verena wollte er nicht werden.

      Gesichert war nur, dass Stuhr heute nicht mehr nüchtern vom Sand kommen würde.

      Mit Pauken und Trompeten

      Todmüde jagte Stuhr viel zu schnell über die von den trüben Scheinwerfern seines alten Golfs kaum erleuchtete Landstraße. Ungläubig schaute er auf die Uhr. Es war noch keine sechs Uhr am frühen Morgen.

      Kommissar Hansen hatte ihn aus dem Schlaf gerissen. Stuhr fragte sich, warum er das eigentlich immer mit sich machen ließ. Der Kommissar hatte sicherlich ohnehin Bereitschaft und schob ruhestandsfähigen Dienst. Aber er selbst hätte noch schön in seinem Hotelbett in Sankt Peter liegen bleiben können, zumal sein Schädel von dem Gelage am Abend vorher mit Schneider noch heftig schmerzte.

      Er durchwühlte das Handschuhfach nach einem Kaugummi, aber er wurde nicht fündig. Als Stuhr vorzeitig pensioniert worden war, hatte er sich geschworen, nie mehr vor neun Uhr morgens aufzustehen. Und jetzt versuchte er mühselig, im Morgengrauen den Weg nach Rendsburg zu finden.

      Am besten den Ring um den alten Ortskern wählen und dann mit der Schwebefähre übersetzen, hatte ihm Kommissar Hansen mit auf den Weg gegeben. Sie hatten sich vor Jahren in der Staatskanzlei kennengelernt, als Hansen zum Personenschutz des Ministerpräsidenten abkommandiert war. Stuhr wäre früher auch gerne zur Polizei gegangen, aber Freunde hatten ihm wegen der schlechten Aufstiegsmöglichkeiten abgeraten. Kommissar Hansen war schon in Ordnung, und wenn er mit seinen dienstlichen Mitteln nicht weiterkam, rief er Stuhr gern einmal an. So konnte Stuhr jetzt als Frühpensionär ermitteln, ohne jemals bei der Polizei gewesen zu sein.

      Als ehemaliger Beamter der Staatskanzlei hatte Stuhr immer noch viele Kontakte in den verschiedenen Ministerien und konnte dienstprivat schon noch das eine oder andere herausbekommen. Sein alter Dienstausweis, der bis zu seinem 65. Lebensjahr gültig sein würde, wurde ihm nie abverlangt und leistete nach wie vor treue Dienste.

      Das Rendsburger Ortsschild flog an ihm vorbei, und schnell erreichte er über den Stadtring und die Kreisverwaltung die Alte Kieler Landstraße. Wenig später tauchten in den Nebelschwaden die filigranen Bögen der alten Eisenbahnbrücke auf, die sich über die Kreisstadt in luftige Höhen hochschraubt und den Nord-Ostsee-Kanal Richtung Kiel überquert. Jetzt entdeckte er auch den Wegweiser zur Schwebefähre, einer Hängebahn, die unterhalb der Stahlbrücke montiert war. Stuhr bremste seinen Wagen ab und bog zum Kreishafengelände ein. Wenig später hielt er unterhalb der Eisenbahnbrücke vor einer Schranke, hinter der sich im Wasser des Kanals die Lichter der Laternen auf der gegen­überliegenden Seite spiegelten.

      Aus dem Morgengrauen glitt die an vielen Seilen hängende Schwebefähre heran, deren tiefliegender Bug sich unter der Fahrbahn einklinkte. Die Schranke öffnete sich, und Stuhr konnte auffahren. Die Fähre bot Platz für vier Fahrzeuge, aber da er der einzige Fahrgast war, zeigte