Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner

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zu besitzen, aber glaube mir, wenn ich sie wirklich besitzen würde, hätte ich sie euch nicht vorenthalten!“

      Aigonn blickte zu seinem Bruder, der prüfend zurücksah. Erst jetzt fiel ihm auf, dass die unterschwellige Lüge in seinen Worten Efoh nicht entgangen war. Doch der junge Mann schwieg. Sein Blick wanderte von Aigonn ins Gras, bevor er sich ihm wieder zuwandte und auf einmal tiefer Ernst in seiner Stimme lag: „Du weißt wirklich nicht, was geschehen ist?“

      „Nein, bei den Göttern! Ich schwöre es dir, wenn du willst!“ Efoh nickte, als ob Aigonn mit diesen Worten einen schmerzhaften Zweifel ausgelöscht hätte. Und Aigonn tat es ebenso weh. Er mochte es nicht, wenn sein kleiner Bruder ihn für einen Lügner hielt. Trotz allem war er nicht vorbereitet, als es plötzlich aus Efoh herausplatzte: „Aber die Frau in den Nebeln hat dir irgendetwas gesagt, nicht wahr? Ich weiß, dass du mit ihr sprichst – auch wenn du dich unbeobachtet fühlst. Verrätst du es mir?“

      Einen Moment lang starrte Aigonn schweigend seinen Bruder an. Dann, als er sich vergewissert hatte, dass der Weg zwischen den Häusern der kleinen Siedlung keine unerwünschten Zuhörer bot, raunte er Efoh zu: „Versprich mir, niemandem davon ein Wort zu sagen!“ Efoh nickte, bevor Aigonn fortfuhr: „Ich werde versuchen, den Weg zum Grab der Götter wiederzufinden.“

      Efoh erschrak. In seinen geweiteten Augen erkannte Aigonn die Funken einer Erinnerung, die ihnen beiden gemein war. Unterschwellige Angst – eine Furcht, die viel älter war als ein zurückliegender Kampf oder Krieg, sprach aus seiner Stimme, als er flehte: „Tu das nicht! Es bringt kein Glück, einen Ort aufzusuchen, der sich so weit von der Wirklichkeit entfernen kann! Die Macht der Menschen schwindet an der Grenze zwischen den Welten. Ich brauche dir nicht zu sagen, was dort geschehen ist!“

      Nein, das brauchte er wahrlich nicht. Wider Willen spürte Aigonn eine bleischwere Beklemmung in seinem Magen aufsteigen. Wenn es wenigstens nur die Wesen der Anderen Welt wären, denen ich gegenübertreten müsste!

      Doch Aigonn spürte, dass man ihm die Entscheidung längst abgenommen hatte. Irgendwann würde er sich diesem Ort stellen müssen. Doch vielleicht noch nicht heute.

      Die plötzliche Entschlossenheit in Aigonns Stimme verwirrte Efoh, als er sagte: „Es hat keinen Zweck, wenn ich weiterhin davor flüchte. Aber noch bleibt Zeit. Ich bezweifle sehr, dass Behlenos es wagen wird, am Grab der Götter zu suchen!“

      Damit stand Aigonn auf und lief auf den Eingang seines Elternhauses zu. Er fühlte den nachdenklichen Blick seines Bruders im Rücken. Efoh spürte wohl, dass Aigonn trotz aller Worte eine weitere Chance zur Flucht nutzen wollte. Als er im Türrahmen innehielt, wollte er sich noch einmal zu Efoh umdrehen. Doch stattdessen verwarf er den unausgesprochenen Gedanken und trat in das Haus ein.

      Schummriges Dämmerlicht lag über dem einzigen großen Raum. Mehr ließen die kleinen Windaugen nicht zu. Einen Herzschlag lang beobachtete Aigonn versonnen die Staubkörner, die in einer Lichtsäule vom Rauchabzug hinabtänzelten. Auf der Feuerstelle im Zentrum des Raumes glomm nur noch der schwache Rest einer Glut. Mit dem Sommer wurde die Luft draußen warm genug, dass ein größeres Feuer überflüssig wurde.

      Ein leises, melodisches Summen lag in der Luft. Aigonn suchte sich seinen Weg an den Schlaflagern vorbei bis zu einem Regal, das man aus mehreren Baumstämmen geschnitten hatte und somit Platz für allerlei Tontöpfe bot.

      Dort blieb er kurz stehen und lugte vorbei. Eine Frau kniete neben einem Webrahmen auf dem Boden. Ihr ausgewaschenes Leinenkleid wurde eins mit dem gleichfarbigen Rehfell, das ihr als Unterlage diente. Faltig und locker fiel der dünne Stoff an ihrem mageren Körper hinab. Lediglich spitze Schultern erkannte man unter einem breiten Ausschnitt, die umgeben waren von einer Flut hüftlanger, schneeweißer Haare.

      In Gedanken versunken glitt Aigonns Mutter die Melodie von den Lippen, während sie das Schiffchen wie mechanisch zwischen den einzelnen Fäden hin und her schob. Vorsichtig näherte sich Aigonn ein Stück. Sein prüfender Blick war ein Zeichen für seine Unsicherheit, ob er seine Mutter nun stören würde oder nicht. In Wahrheit aber kannte er die Antwort längst. Die Gewissheit versetzte ihm einen Stich. Seine Mutter störte man nicht mehr. Ihre großen, braunen Augen blickten so abwesend und leer durch den Webrahmen hindurch, dass man nicht sicher sein konnte, ob sie noch an der Außenwelt teilnahm. Aigonn bezweifelte es. Sie hatte es schon lange nicht mehr getan.

      „Mutter?“

      Er trat bis an den Webrahmen heran und ließ sich dort auf die Knie sinken. Die sonderbare Melodie brach nicht ab, als der Blick seiner Mutter durch ihn hindurchging. Kein Blinzeln, kein kurzes Flackern in ihren Augen verriet, dass sie ihn wahrnahm. Nur ihre Hand schien wie von selbst den Faden mit dem Schiffchen zu führen.

      „Er ist schön geworden … der Stoff.“ Seine Finger tasteten über den rostroten Wollstoff. „Was willst du daraus nähen?“

      „… Himmel stehen die Sterne, leuchten dort …“

      Aigonn schluckte. Erst jetzt erkannte er das alte Wiegenlied, das seine Mutter ihm früher immer zum Einschlafen gesungen hatte. Noch einmal fragte er: „Nähst du dir daraus ein Kleid?“

      „… allein sein. Denn ich bleibe da …“

      Aigonns Blick wurde traurig. Im Grunde wusste er, dass seine Versuche zwecklos waren. Seine Mutter sprach nicht mehr mit ihm. Nicht mit Efoh und auch nicht mit irgendjemand anderem. Seit Jahren nicht mehr. Sein Blick verriet mehr Kummer, als es ihm lieb war, während er seiner Mutter sanft über die Wange streichelte. Dünn wirkte ihre Haut, wie der Kokon, den eine Raupe zurückließ, nachdem sie zum Schmetterling geworden war. Sie schien unter seinen Fingern zu zerfallen, so fühlte es sich an. Er konnte den Kloß nicht vertreiben, der ihm plötzlich im Hals steckte.

      Wenn ich feige bleibe, wird damit auch nichts ungeschehen werden. Gar nichts.

      Wiederkehrer

      Das Grab der Götter war eine Gruppe von vier Monolithen, die – teilweise dreihundert Fuß hoch – schon von weitem über den Wipfeln des Waldes zu sehen waren. Aigonns Wallach schnaubte in der Hitze des Nachmittags. Seit dem späten Vormittag hatte das steile, hügelige Land Tier und Reiter zu schaffen gemacht. Sobald man die fruchtbaren Auen um Aigonns Heimatsiedlung verlassen hatte, trat man ein in das ungezähmte, wilde Land seiner Ahnen. Riesige Wälder bildeten eine fast geschlossene Decke über der hügeligen Region. Lediglich Niedermoore und sumpfige Feuchtwiesen unterbrachen das Dickicht, bevor die Bäume sich Land und Boden zurückeroberten.

      Beklemmung hatte Aigonns gesamten Körper erfasst. Es war dasselbe Gefühl, das jeden Menschen überkam, wenn er sich der ruhenden Kraft dieser Wildnis bewusst geworden war. Hier hatte kein Mann, keine Frau mehr Macht über den Lauf der Dinge. Die Wälder und Moore waren das Reich der Geister und menschenscheuen Wesen, die nur die wenigsten je mit eigenen Augen gesehen hatten.

      Prüfend blickte Aigonn über die Wiese hinweg, die vor ihm lag. Sauergras und Heidelbeere verrieten ihm, dass tückische Sumpflöcher unter der dünnen Schicht Bewuchs verborgen sein konnten. Mit Missfallen hörte er das Schmatzen des Bodens unter den Hufen seines Pferdes. Er würde bald absteigen müssen.

      Unbarmherzig brannte die Nachmittagssonne vom wolkenfreien Himmel. Aigonn erkannte von weitem das Gestein der vier Monolithen, das mit seiner goldgelben Farbe im Sonnenlicht leuchtete wie der Festschmuck der Fürsten. Es war eigenartig. Gäbe es nicht immer noch diese eine Erinnerung, die sich mit jedem Schritt voran immer schwerer verdrängen ließ, so hätte die Schönheit dieses Anblicks Aigonn wohl gefangen gehalten.

      Doch das vermochte das Grab der Götter nicht mehr. Faszination und Ehrfurcht hatten einer Bedrückung Platz gemacht, die jeden Baum, jeden Strauch auf dem Weg zu den Monolithen zu umgeben schien. Immer wieder huschte Aigonns Blick nach hinten, zur Seite. Er wusste, dass so nah an der Grenze zur Anderen Welt nicht nur Damwild, Bären und Wildschweine die Wälder bewohnten – dazu die Monolithen wie vier steinerne Wächter über den Baumkronen.

      Unwillkürlich kam Aigonn die alte Sage in den Sinn, welche diesem Ort ihren Namen gegeben hatte: Ein Krieg, am Anfang der Zeit, hatte zwischen den Mächten der Erde getobt. Ein Krieg um die Ordnung in