Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner

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Bärenjäger, hatte niemals die kriegerischen Auseinandersetzungen gesucht. Es mochte oftmals die Anklage gefallen sein, ihr Anführer Behlenos sei zu feige und nicht in der Lage, ein fähiges Heer zu formieren. Doch was immer die Gründe auch sein mochten, um zu diskutieren war es nun zu spät.

      Die Eichenleute waren ihnen die längste Zeit wohlgesonnen gewesen. Aigonn wusste nicht, was der Anführer ihres Stammes getan hatte, um das befreundete Volk so gegen sich aufzubringen. Aber sie waren wütend genug gewesen, um mit einem Schlag fünfhundert Krieger der Bärenjäger zu ihren Ahnen zu schicken. Sie vierhundert waren der klägliche Rest, der Behlenos geblieben war, um sein Land zu verteidigen – nicht in einer Festung. Sie hatten sich auf dem offenen Gelände verschanzt, am Rand eines unwegsamen Steilhanges, der von zwei Seiten Schutz bot und einen entscheidenden Höhenvorteil. Das unzugängliche Dickicht rund um ihre Siedlung machte es Feinden schwer, unbemerkt an anderer Stelle bis dorthin vorzudringen, sodass sie nun den schnellsten Durchgang verteidigten. Fraglich war nur, wie viel ihnen all das nützen würde. Behlenos mochte einfache Palisaden errichtet haben, die Nachtwachen verstärkt. Doch das Raunen, das vom Wald her in das Lager drang, verriet Aigonn, dass ihr Anführer dasselbe Bild gesehen hatte, das sich ihnen am vergangenen Tag geboten hatte.

      Aigonn wusste nicht, ob er sich fürchten sollte. Er war neunzehn. Ein gutes Alter für einen Krieger, ein gutes Alter, um nach seinem Tod Teil mystischer Legenden zu werden. Alle großen Helden starben vor ihrer Zeit – zumindest die meisten, von denen sein Vater ihm früher erzählt hatte. Vielleicht war es seine Chance, nun auch auf diese Art und Weise unsterblich zu werden. Dann hatte dieses ganze Leben bis hierher wenigstens einen Sinn gehabt. Es gab niemanden mehr, der sie retten konnte. Selbst wenn sie wegrannten, wenn ein Geist aus der Anderen Welt sie holen würde, ihre Ehre und ihr Ethos als Krieger verlangte es, an der Seite ihrer Kameraden zu kämpfen und diesen beizustehen. Zu einem Stamm zu gehören bedeutete, eine Sippe zu sein, die Kinder derselben Ahnen zu sein, dasselbe Blut in seinen Adern zu haben. Einen Angehörigen seiner Sippe zu verraten bedeutete, seinen Bruder zu hintergehen. Wie viele Brudermorde es doch in den letzten Jahren gegeben hatte …

      Es war schwer zu sagen, was Aigonns Unterbewusstsein ihm kundtun wollte, dass er im Halbschlaf der alten Begegnung mit der Nebelfrau gedachte. Die Tochter des Morgentaus war ihm binnen der vergangenen Jahre eine merkwürdige und vor allem seltene Gefährtin gewesen. Manchmal suchte sie ihn auf und sprach mit ihm – zu keinem besonderen Anlass. Aigonn hatte sich eine Zeit lang eingeredet, sie würde kommen, wenn er ihre Hilfe bräuchte. Doch mit den Jahren schien es ihm immer mehr, als käme sie nur dann, wenn es ihr gerade passte. Warum also sollte sie ihm in dieser Nacht helfen? Sie hatte keinen Grund. Ebenso wenig dafür, dass sie mit ihm gesprochen hatte. Die Nebelgeister waren keine Menschen. Kein Mensch konnte also für sich behaupten, sie zu verstehen.

      Das Raunen am Waldrand verstummte. Aigonn spürte, wie ihm unmerklich ein Kloß in der Kehle wuchs. Die junge Frau war also tot, war ihnen vorausgegangen. Er wusste nicht, warum Behlenos und sein Schamane Rowilan den Göttern noch jenes letzte, sinnlose Opfer dargebracht hatten – das Leben einer jungen Frau, ganz gleich, ob sie sich aus freiem Willen dazu bereiterklärt hatte. Aigonn glaubte nicht mehr daran, dass die Götter ihnen ein Wunder schicken würden. Er glaubte gar nichts mehr.

      Damit hörte er auf zu denken. Es war ihm zu mühselig. Schweigend mit halb wachen Augen tippte sein Finger auf die Felle, manchmal im Einklang mit seinen Gefährten, jedoch nur, bis diese Tempo zulegten. Er nicht mehr.

      Bei dreihunderteinundneunzig hörte er den ersten Aufschlag auf den Palisaden, dann ertönte ein Schrei. Die Krieger jagten so mechanisch aus ihren Zelten, als wären sie nur noch Werkzeuge, keine denkenden Wesen mehr. Und auch, als Aigonn die ersten Fackeln über die Palisaden fliegen sah, setzte sein Verstand nicht mehr ein.

      Er wusste nicht, wie lange es dauerte. Beinahe fünfzig ihrer vierhundert Männer mussten von Lanzen durchbohrt von den Plattformen hinter den Palisaden fallen. Der Geruch von verbranntem Fleisch erfüllte die Luft wie ein Pesthauch. Er stach Aigonn in die Nase, schien den Brechreiz aus ihm herauskitzeln zu wollen, doch er nahm davon keine Notiz mehr. Fünfzig gefallene Männer, bis das Unvermeidliche kam.

      Der Lärm aus Kampfschreien und Kriegshörnern übertönte das Signal, als einer der Eichenkrieger die Palisaden erklommen hatte und nun von innen das Tor zum Lager öffnete. Die Faust, die sich krampfhaft um Aigonns Schwertgriff schlang, verriet ihm, dass er noch hier war, sein Körper noch mit seiner Seele verbunden – und er nicht neben sich stand.

      Gurgelnde Laute, als Schwertklingen sich in Kehlen bohrten. Das verzweifelte Aufbegehren ihrer winzigen Streitmacht. Aigonns Kopf war leer. Es gab nichts mehr, das ihn zurückhielt. Er packte sein Schwert noch fester, dann rannte er los.

      Der erste Gegner empfing ihn nach weniger als zehn Schritten. Aigonn roch die Wolke aus Schweiß und Blut, die ihm von dem nackten und mit Kraft spendenden Zeichen bemalten Oberkörper entgegenschlug, bevor ihre beiden Schwerter krachend aufeinandertrafen.

      Funken sprühten. Aigonn sah, dass der Eichenmann sein Schwert zu verkanten versuchte, entwand sich dem Griff mit einer Drehung und schlug zu. Blut spritzte. Aigonn hörte sich selbst schreien, als ob er eine dritte Person wäre, bis er dem nächsten Gegner in die offene Deckung rannte und diesen mit einem einzigen Schlag zu Boden fällte.

      Sein Geist war nicht anwesend, hatte sich längst von dem Körper gelöst, der sich verzweifelt einen Weg durch die Feinde suchte – und damit so kläglich scheiterte wie der Rest seines Stammes.

      Die Bärenjäger wurden in Richtung des Waldes gedrängt. Die wenigen Bäume vor dem Steilhang der Felswand schienen wie das Tor zum Jenseits auf sie zu warten. Aigonn wurde von seiner Gruppe getrennt und nach Osten gejagt.

      Als der Krieger ihn mit einem mörderischen Schlag zu Boden stieß und kaltes Metall das Fleisch seines Armes durchschnitt, kehrte Aigonns Geist zum ersten Mal wieder in seinen Körper zurück. Er wollte schreien, doch der Schmerz saugte alle Luft aus seinen Lungen. Einen Moment lang verschwammen die Bilder vor seinen Augen, dann wollte ihn ein Fußtritt gänzlich in die Schwärze reißen.

      Halb betäubt spuckte er blutiges Laub aus seinem Mund. Die Äste eines Strauches hatten sich in seinen halblangen Haaren verfangen, während Aigonn panisch den Gegner mit Fußtritten auf Distanz zu halten versuchte. Keuchend tastete er nach seinem Schwert, das ihm aus den Fingern geglitten war. Als er Laub statt Metall unter seinen Fingern spürte, überschlug sich sein Herzschlag. Er konnte es nicht finden! Der Eichenkrieger wich seinen Tritten immer besser aus, schlug energischer mit seinem Schwert auf den Boden, während Aigonn kaum noch ausweichen konnte. Seine Hand fegte über das Laub, fand das Schwert nicht, fühlte schließlich Erde unter den Fingern bröckeln.

      Erschrocken riss Aigonn seinen Kopf zur Seite. Unter seiner rechten Hand öffnete sich schwarz ein Loch, vier Fuß breit, sechs Fuß lang – nicht abschätzbar, wie tief. Der eigenwillige Geruch verbrannter Kräuter, wie die Schamanen sie zur Zwiesprache mit den Göttern nutzten, stieg ihm in die Nase. Die Opfergrube. Der Ort, an welchem man die junge Frau den Göttern als Geschenk dargebracht hatte, nicht tief, aber trotzdem zu tief für Aigonns Arm. Der Widerschein der brennenden Palisaden spiegelte sich auf der Schneide seines Schwertes. Es lag auf dem leblosen Körper der jungen Frau.

      Plötzlich presste ein Tritt Aigonn alle Luft aus den Lungen. Knochen knackten. Er spürte, wie ihm die Galle den Rachen hinaufjagte. Er hatte keine Kraft mehr, sein Gleichgewicht zu halten, Erde bröckelte, er fiel.

      Der Ekel übertrumpfte für einen Moment die Übelkeit, als der noch nicht vollständig erkaltete Körper Aigonns Fall bremste. Doch Zeit hatte er keine. Eine Schwertklinge jagte auf ihn zu. Er hatte kaum mehr die Kraft, seinen Kopf rechtzeitig zur Seite zu ziehen, es war keine Zeit da, um sich aufzurichten. Der feindliche Krieger stürzte sich mit einem ohrenbetäubenden Schrei zu ihm in die Grube. Aigonn wurde schwindelig. Er spürte den leblosen Körper der Frau an seinem gebrochenen Arm, während sein heißes Blut die erkaltende Haut wieder anzuwärmen begann.

      Die junge Frau hatte ihre Lider im Angesicht des Todes nicht geschlossen. Die toten Augen schienen Aigonn zu rufen, ihm den Weg weisen zu wollen im Angesicht der Gewissheit, die nicht mehr abwendbar war. Er konnte sein Schwert nicht mehr erreichen – dort, wo es lag, links neben dem Körper der Frau