Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner

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      Heimkehr

      Der Wallach keuchte mindestens so sehr wie auf der Hinreise. Obgleich nun die Abendsonne als roter Glutball über dem Horizont hing, war es nun das Gewicht zweier Menschen, das das falbfarbene, kleine, aber im Grunde doch stämmige Tier belastete. Aigonn kraulte ihm immer wieder den Widerrist unter der dunkelbraunen Mähne, während das Tier den Hang des Hügels hinabtrabte.

      Der Wald, der Aigonn und die junge Frau umfing, war licht – sonst wären sie wohl nicht mit einer solchen Geschwindigkeit vorangekommen. Von weitem erkannte Aigonn, wie der Strom der Rur die nahen, leicht sumpfigen Flussauen durchschnitt. Bis die Sonne hinter dem Horizont verschwunden war, würden sie die Siedlung der Bärenjäger erreicht haben. Aigonn hoffte dies zumindest.

      Die ersten Schreie der Waldkäuze durchbrachen das Dämmerlicht des Abends. Aigonn fühlte die erste, frische Kühle auf seinen Armen, während nur der Atem gegen seine Haare und der Griff um seine Taille verriet, dass die junge Frau noch immer hinter ihm auf dem Pferd saß.

      Schweigend verfolgte sie den Ritt, in ihre eigenen Gedanken versunken. Aigonn hatte es aufgegeben, ein Gespräch mit ihr zu beginnen – geschweige denn tiefere Fragen zu stellen. Denn sie antwortete nicht. Aigonn blieb somit allein mit seinen Gedanken – und den Erinnerungen, die ihn weiter verfolgten.

      Die Wirkung des Erlebnisses an diesem Nachmittag war immer noch nicht von ihm gewichen. Seine Finger fühlten sich unsicher an, während sie die Zügel festhielten. Es wurde Zeit, dass sie die Siedlung erreichten!

      Während die Sonne hinter den Horizont sank, fiel es Aigonn immer schwerer, den Weg zu erkennen. Er verließ sich zum Teil auf den Instinkt des Pferdes, das ihm schon einmal in einer solchen Lage gute Dienste getan hatte. Doch als die ersten Nebelschwaden im Zwielicht aufstiegen, musste er sich eingestehen, dass sie vom Weg abgekommen waren.

      Erst als er unruhig zu werden begann und immer wieder an markanten Wegpunkten Halt machte, um sich umzusehen, fragte die junge Frau: „Haben wir uns verirrt?“ Ihre Stimme zeigte keinerlei Beunruhigung. Viel mehr erweckte es den Anschein, als erwache sie gerade aus einem langen Schlaf – was Aigonn jedoch bezweifelte. Seine Antwort sollte sicher klingen: „Wir haben einen kleinen Umweg genommen, stelle ich fest. Ich glaube aber zu wissen, wo wir sind.“

      „Schön.“ Ihre Stimme verriet dezenten, aber amüsierten Spott.

      „Ich weiß es wirklich!“, bestärkte er seine Worte mit Nachdruck, während er zu ihr nach hinten sah. „Wir sollten uns nur vorsehen, den Jägern der Nacht nicht zu begegnen.“ … und was sich sonst noch alles herumtreibt.

      Damit lenkte Aigonn das Pferd herum, suchte sich einen Weg in der Nähe des Waldrandes – noch weit genug entfernt davon, um nicht in einen möglichen Sumpf zu geraten – und folgte im Zwielicht einer Mischung aus Wissen und Ahnung, wohin sie zu reiten hatten.

      Als die Rur wieder zwischen ihren Flussauen auftauchte, war Aigonn erleichtert. Die Bäume und der dichte Uferbewuchs verrieten ihm, dass der Boden an Stabilität gewann und sie bald würden im Freien reiten können. Je weiter er jedoch der Flussaue folgte, desto mehr beschlich ihn ein Gedanke. Das Strauchwerk, das eigentlich überall wachsen sollte, war von Menschenhand entfernt worden. Kleinere Äcker bestätigten diese Ahnung. Wir können noch gar nicht so weit geritten sein. Die Äcker unserer Siedlung sind anders gelegen, die Rur nimmt einen anderen Lauf. Hier beginnt nicht unser Siedlungsland!

      Auf einmal durchbrach flackernder Feuerschein die aufziehende Dunkelheit. Aigonn spürte, wie ihm das Herz in den Magen zu rutschen schien. Selbst von weitem erkannte er in dem zuckenden Fackellicht die gewaltige Eiche, die am Rand einer schlecht befestigten Siedlung thronte.

      Sie waren es, die Eichenleute. Niemand sonst grub jene mächtigen Bäume aus dem Boden der Wälder, um sie in die eigenen Siedlungen zu pflanzen. Es dauerte kaum zehn Herzschläge mehr, bis er das erste Echo leiser Stimmen vernahm. Die Nachtwache lief heiter und scheinbar leicht angetrunken an den Palisaden vorbei. Die Fackeln in ihren Händen wanderten, als ob Sterne vom Himmel fallen würden.

      So leise er konnte, zügelte Aigonn sein Pferd und brachte es augenblicklich zum Stillstand. Er hörte Besorgnis in ihrer Stimme, als die junge Frau in sein Ohr raunte: „Es scheint nicht so, als ob wir in deiner Heimat angekommen wären.“

      „Nein, wahrhaftig nicht.“ Lautlos drückte Aigonn seinen linken Fuß gegen das Fell des Pferdes, worauf dieses zurück in Richtung Waldrand lief. „Hier wohnen Menschen des Stammes, vor dem du uns gerettet hast, als du so unvermutet in die Schlacht eingegriffen hast.“

      Als Aigonn die frisch aufgeschütteten Grabhügel erkannte, die nahe der Palisaden wie verlassene Wohnstätten ihrer Ahnen in der Dunkelheit lagen, fügte er in Gedanken hinzu: Und ich glaube nicht, dass sie erfreut sein werden, uns zu sehen.

      Er hörte den Herzschlag in seinen Ohren pochen, als die Dunkelheit ihn und die junge Frau wieder verschluckt hatte. Einen Feuerstein hatte er mit sich genommen – nur wollte Aigonn nicht so töricht sein und sich durch ein offenes Feuer verraten. Würde er allerdings weiterhin im Dunkeln reiten, konnte er nicht sehen, wo knackende Äste und raschelnde Sträucher wuchsen. Sein Pferd konnte ja nicht ahnen, was sie gerade riskierten – auch wenn es Aigonns Anspannung spürte.

      Mit jedem Schritt durch das Unterholz schickte Aigonn ein Gebet gen Himmel und in die Erde hinab. Sein Blick verfolgte wie gebannt die beiden Wachposten, deren Fackeln ihre Position verrieten. Zwar wusste er, dass er damit sein Pferd verwirren und womöglich noch in die falsche Richtung lenken konnte, doch die unterschwellige Panik in ihm war stärker als sein Wille.

      Langsam entfernten sich die Wachposten, sie zogen an der Siedlung vorüber. Aigonn atmete auf.

      Plötzlich aber scheute der Wallach. Ein Lichtfleck, eine Fackel, schoss so unvermutet aus dem Dickicht des Waldes hervor, dass das Pferd vor lauter Schreck aufwieherte und mit den Vorderhufen ausschlug.

      Aigonn konnte sich kaum auf dem Pferderücken halten. Die junge Frau sog scharf die Luft ein, während sich ihr Griff um seine Taille verstärkte. Einen Herzschlag lang wedelte er hilflos mit den Zügeln, bevor das Pferd seine Vorderbeine wieder auf den Boden setzte – und er erkannte, was ihnen unvermutet vor die Hufe gekrochen war.

      Ein junger Mann, eher ein Halbwüchsiger, saß geduckt auf dem Boden und klammerte sich an seine Fackel, als ob diese sein Leben retten würde. Erschrocken lugte er in die Dunkelheit. Eine breite Schnittwunde auf seiner Wange wirkte sonderbar unpassend in seinem jugendlichen, von Pusteln übersäten Gesicht. Zusammen mit dem Schwert an seinem Gürtel bewies sie, dass er die Kriegerweihe längst abgelegt hatte.

      Für einen Moment schien die Zeit eingefroren. Die Hand des jungen Eichenkriegers zitterte wie Espenlaub, als er es wagte, die Fackel zu heben – und was er in ihrem Schein erkannte, schockierte ihn noch viel mehr.

      Seine Augen schienen aus ihren Höhlen zu fallen. Er saß wie versteinert, bevor er plötzlich die Fackel fallen ließ, stolpernd auf die Beine kam und mit einer solchen Panik zur nahen Siedlung rannte, als wäre ihm ein böser Geist auf den Fersen.

      Aigonn wartete nicht. Als die Schreie des Halbwüchsigen über die Palisaden drangen, galoppierte er in den Wald hinein, wie er es noch nie getan hatte. Die junge Frau hatte sich geduckt und ihren Griff nicht gelockert, sodass sie nun zwischen seinem Arm und der Armbeuge hindurchlugte, als sie fragte: „Was bitte hat er gesehen, dass er solche Angst bekommen hat? Er hätte doch als Krieger wenigstens reagieren und uns drohen können. So jung war er doch nun wirklich nicht mehr!“

      „Dich vermutlich.“ Gehetzt glitt Aigonns Blick immer wieder nach hinten, wo die Dunkelheit des Waldes ihre Spuren bereits verschluckt hatte. Laute Stimmen aus der Siedlung machten deutlich, dass man die Verfolgung nach ihnen aufnahm. Doch mit jedem Herzschlag, den das Pferd am Waldrand durch das Dickicht jagte, wurde ihr Vorsprung größer.

      „Ich könnte mir vorstellen, der Winzling wird bei der letzten Schlacht gegen Behlenos dabei gewesen sein. Du scheinst einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben.“

      „Ist das jetzt gut?“

      Ihre Stimme war so