Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner

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Mal zublinzeln würde. Die Kälte der nassen Erde umfing ihn. Die Geräusche verschwammen. Irgendwo neben ihm schienen Knochen zu knacken. Der Luftzug erreichte ihn, Stoff streifte seinen Körper.

      Plötzlich hörte er ein Röcheln. Aigonn riss seine Augen auf, als müsste er sich davon überzeugen, dass er nicht seinen eigenen Körper in diesem Moment sterbend auf der Erde liegen sah. Aber was er erblickte, wollte er noch weniger glauben. Er öffnete die Augen zum zweiten Mal – und in diesem Augenblick setzte sein Herz einen Schlag aus.

      Der Körper des Eichenkriegers zuckte noch im Fall, während ein dünner Blutfluss aus seinem Mund troff. Bis zum Anschlag steckte Aigonns Schwert in dessen Brust. Er erkannte, wie irgendjemand – irgendetwas – den Griff festhielt, während der sterbende Körper zu Boden sackte und das Schwert mit einem tiefen Schnitt aus dem blutenden Fleisch befreit wurde.

      Aigonn wagte nicht zu atmen. Über ihm stand in der gut vier Fuß tiefen Grube eine Frauengestalt. Erschrocken schnellte seine Hand nach links, tastete über die Erde, dort, wo die Leiche gelegen hatte. Er fand sie nicht. Stattdessen stand dort die junge Frau, mit gebückten Knien, sie berührten sich fast, die Leiche des Kriegers von sich stoßend, die im Fall noch einmal Aigonns verletzten Arm streifte.

      Einen Herzschlag lang starrte er durch den Schwindel des Schmerzes, der ihn zu übermannen drohte. Es war bekannt, dass Menschen im Angesicht ihres Todes Wahnvorstellungen bekamen. Sein Geist weigerte sich vehement, auch nur in Betracht zu ziehen, es könnte wahr sein, was er soeben vor sich sah. Die junge Frau blieb vollkommen reglos. In der Dunkelheit konnte Aigonn es nicht erkennen, doch er wusste, dass ihr Blick auf ihm haftete. Die Augen einer Lebenden.

      Dann auf einmal wandte sie sich um. Der Lufthauch ihres Kleides streifte ihn, als sie sich aus der Grube schwang und er leise ihre Schritte auf dem feuchten Laub aufkommen hörte.

      Aigonn rührte sich nicht. Selbst wenn er es gewollt hätte, in diesem Moment des Schocks überwog der Schmerz allen Willen, den er aufbringen konnte. Die Nerven in seinem linken Arm pochten unerträglich – genauso wie in seinem Brustkorb. Nun, da das Adrenalin ihn verlassen hatte, versteiften seine verletzten Glieder. Die Knochen waren gebrochen – das wusste er ohne hinzusehen.

      Es dauerte einen langen Moment, bis er endlich die Kraft fand, sich aufzurichten. Sein Schwert war fort. Er wunderte sich gar nicht mehr darüber. Ebenso wenig wie über die Tatsache, dass nun anstelle einer Frau ein erstochener Krieger an seiner Seite lag.

      Der Aufschrei schien Aigonn erbärmlich, als er sich aus der Grube hievte. Seine Beine wollten ihm den Dienst versagen, sodass er Stütze an einem Baumstamm finden musste. Der Geruch der Kräuter aus der Opfergrube, der überall an seinem Körper klebte, trug nicht dazu bei, seiner Übelkeit abzuhelfen.

      Trotz allem gelang es ihm, sich bis in unmittelbare Nähe des Schlachtfeldes zu schleppen – so abseits, dass ihm im ersten Moment niemand Aufmerksamkeit zollte. Der Lärm war ohrenbetäubend, die Erde getränkt und übersät von blutenden Körpern, über welchen die Lebenden die letzten Züge dieses Kampfes fochten.

      Eine Seite war am Zurückweichen. Aigonn hatte nicht mehr die Kraft, um sich darauf zu konzentrieren. Der Schwindel begann ihn zu übermannen. Mit letzter Kraft gelang es ihm, seinen Blick zu klären, während er sich schwankend an einen Baum klammerte. Vom Rand aus schien es, als schlage jemand oder etwas eine Schneise in die Reihen der Männer. Immer mehr und mehr Krieger wichen zurück – nicht mehr erkennbar, ob Eichenkrieger oder Bärenjäger.

      Aigonns Beine gaben nach. Zwanghaft versuchte er, sich zu fangen, doch es war zu spät dafür. Seine Augen flackerten. Die Bilder begannen zu verschwimmen. Das Letzte, was er sah, bevor die Dunkelheit ihn einhüllte, war eine Frauengestalt. Eine Kriegerin in einem wollweißen Leinenkleid, die wie ein böser Geist durch die Reihen der Eichenkrieger jagte und niederzwang, wer immer versuchte, sich ihr in den Weg zu stellen.

      Geopfert

      Seine Lider flackerten, als Aigonn versuchte, die Augen aufzuschlagen. Die Bilder hatten jeglichen Fixpunkt verloren, sodass Schwindel in ihm aufstieg, je länger er hinsah. Unwirsch schloss er die Augen wieder, versuchte, zurück in den wohligen Schlaf zu fallen, der ihn von all diesen Unannehmlichkeiten fernhielt. Doch es gelang ihm nicht. Aigonn konnte dem Schmerz nicht mehr entkommen, der dumpf und unbarmherzig in Rippen und Arm zu pochen begonnen hatte. Seine Kehle wollte zu würgen beginnen, doch sein Wille war stark genug, um sich im Zaum zu halten.

      Aigonn war müde. Er war so unendlich müde, dass er weder denken noch sich bewegen wollte. Am liebsten hätte er geschlafen, bis zum Ende seines Lebens, doch etwas in seinem Kopf hielt ihn bei Bewusstsein. Er wusste nicht, was es war, doch in Gedanken verfluchte er es unzählige Male.

      Erschöpft fielen seine Augen zu, während er die Stirn in Falten legte. An seinen Rücken schmiegte sich ein Tierfell – vermutlich dasselbe Schafsfell aus seinem Zelt im Heerlager, das irgendjemand mit sich genommen hatte. Leise Stimmen drangen gedämpft bis zu ihm hervor. Mehrere Menschen – scheinbar fast eine ganze Versammlung – unterhielten sich leise, doch in hörbar erregtem Ton. Aigonn wollte nicht darüber nachdenken, was Ursache dafür war.

      Plötzlich stutzte er. Seine Lider schossen so schnell in die Höhe, dass ihn der Schwindel zum zweiten Mal überkam. Die Schlacht! Sie war vorüber, er in Sicherheit. Die Eichenleute hatten sie ziehen lassen? Aigonn wollte es kaum glauben. Es wäre fast zu schön gewesen, wenn sie alle dieselbe Halluzination gehabt hätten wie er – eine geopferte Frau, die aus ihrem Grab auferstanden und wie eine Kriegsgöttin über die Feinde hergefallen war. Die sinneserweiternden Kräuter, welche der Schamane in der Opfergrube und überall rund herum verbrannt hatte, mussten seine Wahnvorstellungen begünstigt haben. Immerhin – Nebelgeister mochte er wirklich sehen können. Was allerdings die Toten betraf, so wagte er dies doch zu bezweifeln.

      Das leise Schleifen einer Tür auf dem mit Strohmatten belegten Boden ließ Aigonn aufsehen. Er bereute die abrupte Bewegung sofort – denn scheinbar hatte sein Schädel die Schlacht schlechter überstanden, als er geglaubt hatte. Neuer Schwindel betäubte seine Sinne und verwandelte die Gestalt, die sich Aigonn auf Zehenspitzen näherte, in kaum erkennbare Farbmuster.

      „Aigonn?“ Die flüsternde Stimme war ihm vertraut. Als er die Welt um sich – ein abgedunkeltes Zimmer mit mehreren Schlaflagern, Vorratskrügen, nur von einer einzigen Fackel erhellt – endlich richtig erkannte, entdeckte er dort auch einen jungen Mann, der sich ihm erst vorsichtig, dann mutiger näherte. „Ah, du bist wach! Ein Glück, ich hatte schon Angst, dich wecken zu müssen. Bei den Tränken, die Rowilan dir eingeflößt hat, wäre das kein Vergnügen geworden!“

      Rowilan …, Tränke, … Die Stimme gehörte Efoh. Aigonn konnte nicht leugnen, erleichtert zu sein, als ihm das schmale Gesicht seines jüngeren Bruders mit den großen, braunen Augen und den halblangen, dunklen Haaren entgegensah. Efoh war kaum älter als sechzehn. Jung noch für einen Krieger. Aigonn hatte sich beinahe mehr um ihn gesorgt als um sich selbst, als sie gemeinsam in die Schlacht gezogen waren. Eine unschöne Schnittwunde wurde auf seiner linken Wange sichtbar, als der junge Krieger neben dem Schlaflager in die Knie ging, und Aigonn noch mit leichtem Schwindel fragte: „Aufwecken? Wieso, was ist passiert?“

      „Geht es dir wieder gut? Diese Eichenleute haben dir einen ganz schönen Schlag auf den Hinterkopf versetzt. Rowilan hat den Verband abgenommen und nur lose ein Tuch unter die Wunde gelegt, weil sie so genässt und sich ständig verklebt hat. Ich glaube, es ist besser, wenn du dich wieder hinlegst …“

      „Efoh!“ Aigonns Stimme war so scharf, dass sein Bruder abrupt abbrach. „Was – ist – passiert?“

      Efoh suchte einen Herzschlag lang nach Worten. „Die Frau, die so plötzlich auf dem Schlachtfeld erschienen ist und die Eichenleute Hals über Kopf in die Flucht geschlagen hat … Behlenos hofft, du könntest ihm etwas über sie sagen!“

      Aigonn hielt einen Moment inne, um zu verinnerlichen, was er soeben gehört hatte. Ungläubig schüttelte er den Kopf, bevor er nachhakte: „Du willst mir nicht sagen, du hast sie auch gesehen!“

      Efoh machte große Augen. „Wir haben sie alle gesehen. Es war kaum etwas anderes möglich, während sie über