Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner

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es nicht getan. Also, wo ist sie?“

      Einen Moment lang war Aigonn verführt, dieselbe Ausrede zu gebrauchen, die ihm schon bei seiner Ankunft in den Sinn gekommen war. Doch beim Anblick seines Fürsten und der umstehenden Krieger spürte er, dass es zwecklos war.

      „Ich habe sie gefunden“, antwortete er zögerlich. „Beim Grab der Götter. Aber sie wollte nicht mit mir kommen.“

      „Hast du sie nicht einfach mit dir genommen? Hat sie etwas zu dir gesagt?“ Behlenos’ Interesse war geweckt. Der Zorn schien im Angesicht dieser Informationen an hintere Stelle getreten zu sein.

      „Sie hat nicht viel gesprochen. Lhenia misstraut uns und möchte nicht zurückkommen. Sie hat Angst, ihr könntet ihr wegen der merkwürdigen Umstände ihrer Wiederkehr etwas antun. Ich habe ihr versichert, dass es nicht so ist, aber sie wollte nicht.“

      Die Lügen nun mit halben Wahrheiten zu spicken, fiel Aigonn leichter, als eine neue Geschichte zu erfinden. Einen Herzschlag lang gewann er den Eindruck, Behlenos würde ihn durchschauen. Doch der Fürst begnügte sich erstaunlicher Weise mit dieser Antwort. Vorerst wohl.

      „Dann wissen wir wenigstens, wo wir sie finden. Ich werde mich morgen selbst aufmachen und ihr unsere guten Absichten versichern.“ Der Fürst wirkte ermüdet. Erst jetzt bemerkte Aigonn die schwarzen Schatten unter seinen Augen, die ihn optisch um Jahre altern ließen.

      Trotz allem atmete er auf, als Behlenos seinen Rat zu sich befahl und sie nacheinander das kleine Haus verließen. Nur Efoh und seine Mutter blieben zurück und sahen zu – der eine mehr, die andere weniger – wie Aigonn sich auf das Bärenfell fallen ließ. Der Pelz strahlte noch immer die Wärme des Kriegers aus, der zuvor an diesem Platz gesessen hatte. Wie durch den Schleier eines Traumes hindurch musterte Aigonn die plattgesessenen Haare. Tarages war tot. Nun auch noch er.

      „Behlenos treibt es wirklich zu weit mit dir!“

      Aigonn sah auf. Er hatte nicht bemerkt, wie einer der Krieger in der ersten Hälfte des Hauses zurückgeblieben war und nun mit finsterem Gesicht an dem Regalaufbau lehnte. „Es mag sein, dass dir ein sonderbarer Ruf anhängt und du manchmal bei ungewöhnlichen Vorfällen direkt danebenstehst, oder -liegst …“ Ein Lächeln huschte über seinen von einem Vollbart umgebenen Mund. „… aber das ist kein Grund, dich zum Sündenbock für jede übernatürliche Erscheinung in diesem Land zu machen.“

      Aigonn nickte schweigend. Er kannte den Alten. Aehrel war mit seinen achtunddreißig Jahren ein reifer Mann, einer der Ältesten unter Behlenos’ Beratern und gelegentlicher Gehilfe Rowilans, verteidigte seine Position als Krieger jedoch schon seit Jahren vehement gegen alle jüngeren Anwärter. Graue Strähnen durchzogen sein struppiges, schulterlanges Haar. Doch sonst bot sein stämmiger, muskulöser Körper kaum Anzeichen dafür, wie alt Aehrel bereits war.

      Als er andeutete, sich wieder zurück in die nun deutlich geschrumpfte Runde zu setzen, holte Efoh vier tönerne Becher, füllte drei davon mit frischem Bier, das er selbst gebraut und in einem Fass in einer Ecke aufbewahrt hatte, und verteilte die Getränke. Seiner Mutter füllte er den Becher mit Milch, stieß damit behutsam gegen ihre polierenden Hände und wartete, bis sie – ohne hinzusehen – danach langte. Einen Herzschlag lang beobachteten alle Anwesenden ihre ungelenken Bewegungen, als sie trank. Dann sagte Aehrel mitfühlend: „Es tut mir Leid um die beiden Jungen, die heute sterben mussten. Man wird sie morgen angemessen auf ihre Reise in die Andere Welt vorbereiten.“

      Wieder nickte Aigonn nur. Seine Gedanken waren nicht anwesend, als er nippend das Bier hinunterschlürfte. Bis er schließlich blinzelte und Aehrel fragte: „Was genau ist eigentlich geschehen, dass die Eichenleute uns so zürnen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nur wegen dem Affront von Behlenos plötzlich wieder so außer sich geraten.“

      „Wenn ich das wüsste!“ Aehrel lachte witzlos. „Es scheint so, als ob bei ihnen irgendetwas oder irgendjemand ihre Kinder und jungen Krieger dahinrafft – oder zumindest verschwinden lässt. Damit sind sie schon beim letzten Mal zu Behlenos gekommen. Aus irgendeiner unergründbaren Begebenheit heraus geben sie uns die Schuld daran. Unsere Schamanen wären mit den Mächten des Bösen im Bunde. Wir würden Geister aus den finsteren Zeitaltern zurückrufen und sie gegen die Eichenleute aufhetzen – oder es zumindest versuchen. Frag mich nicht, womit sie das begründen!“

      Ungläubig schüttelte Aigonn den Kopf. Auch ihm war zu Ohren gekommen, dass eine Krankheit – ein Pilz im Getreide hieß es – in den Siedlungen der Eichenleute ausgebrochen sei. Doch dass man ihnen, den Bärenjägern, nun dafür die Schuld gab, war ihm unbegreiflich.

      Aehrel leerte geräuschvoll seinen Becher, bevor er kurz innehielt und Aigonn und Efoh daraufhin anbot: „Wenn … wenn ihr beiden einmal Hilfe brauchen solltet … Ihr wisst, dass ihr immer zu mir kommen könnt.“

      „Wir danken dir“, ergriff Aigonn für seinen Bruder das Wort. „Sollte es dazu kommen, werden wir es dich wissen lassen.“

      Der Alte nickte nachdenklich. Einen Moment lang ruhte sein Blick auf Aigonns und Efohs Mutter, ein unergründlicher Ausdruck darin, bevor er aufstand und sich mit knappen Worten verabschiedete. Aigonn sah ihm nach. Er hatte die Jahre über viel Zeit mit Aehrel, dem Bruder seiner Mutter, verbracht. Er war derjenige, der sich in ihrer Rolle versucht hatte und den Trost bot, dass es zumindest noch einen gab, der ihm und Efoh nahestand.

      Alte Seele

      Der frische Nachtwind trug Nebelschwaden über die Wiesen. Fast wie feine Wolken verbreitete sich der Dunst – nicht so dicht und undurchsichtig wie im Herbst und Winter, doch trüb genug, um so manche Gestalt darin verschwinden zu lassen.

      Die junge Frau saß mit geschlossenen Augen im hohen Gras. Der volle, weiße Mond am sternenklaren Himmel hatte der Dunkelheit ihre Schwärze genommen. Silbrig und schattenhaft erkannte man Silhouetten von Bäumen, Sträuchern, der Siedlung und den Jägern der Nacht, die in der Luft oder den nahen Wiesen auf Beutezug gingen.

      Sie hörte das Rascheln eines Dachses, der unweit von ihr durch das Gras strich. Er musste ihre Witterung längst aufgenommen haben. Doch mochte es ihre Ruhe sein, ihre Unbewegtheit oder jene merkwürdige Aura, die alle Menschen in ihrer Umgebung empfanden, das Tier näherte sich nicht.

      Diese Tiere fürchten sich vor den Menschen. Die Gedanken der jungen Frau hallten merkwürdig laut in ihrem eigenen Kopf wider. Es schien, als habe Lhenias Tod eine gähnende Leere hinterlassen, die es nun wieder mit ihren eigenen Erinnerungen zu füllen galt. Wie gut, dass sie bisher kaum solche hatte.

      Der Tod war ein Einschnitt gewesen. Der Gedanke fühlte sich sonderbar an, dass sie selbst schon einmal gestorben war, vielleicht vor Jahrzehnten, vielleicht aber erst vor gar nicht langer Zeit. Es war nicht normal, dass Menschen sich derart bewusst an dieses Detail ihrer früheren Leben erinnern konnten. Doch obgleich ihr kein Bild, keine Empfindung in den Sinn kam, spürte die junge Frau unbewusst, wie es sich anfühlte, das Sterben.

      Orte tragen Erinnerungen in sich. Solange ich diese nicht wiederfinde, werde ich mich auch nicht entsinnen können, warum ich möglicherweise wieder hierher geschickt wurde – auf so ungewöhnlichem Wege, in den erwachsenen Körper einer frisch Verstorbenen und nicht als Säugling.

      Der Wind schien zu flüstern, als er ihre kurzen Haare erfasste. Die junge Frau presste ihre Lider aufeinander und nahm einen Atemzug – so tief, bis sie die Kühle in ihrer Lunge spüren konnte. Sie war nicht ohne Grund hier. Kein Mensch wurde so unerwartet und abrupt wieder ins Leben gerufen, wenn es nicht etwas gab, das dieser dringend tun musste. Ihre Zeit war noch nicht gänzlich abgelaufen gewesen, als sie vor unbekannter Zeit gestorben war – dessen war die junge Frau sich jetzt sicher.

      Und irgendetwas gab es an diesem Ort. Sie konnte es spüren. Eine Empfindung, die ihr sagte, dass er auch Teil ihrer Vergangenheit gewesen war. Sicherlich, wie hätte es auch anders sein können?

      Doch anstatt die alten Erinnerungen wiederzufinden, blieb ihr Kopf leer. Sie spürte es, aber dem Gefühl fehlten die Bilder. Nicht einmal ob positiv oder negativ wusste sie zu sagen, obgleich sie sich – schon durch die sonderbare Begegnung mit jenem Mann namens Aigonn – sicher