Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner

Читать онлайн.



Скачать книгу

klar machte, wie zwecklos all dieses Bitten und Flehen war, schüttelte er den Kopf und stürmte zornig zur Tür hinaus.

      Einen Moment lang herrschte Totenstille in dem kleinen Haus. Das Feuer war zu einer schwachen Glut heruntergebrannt, deren Knistern man nur noch mit Mühe hören konnte. Aigonns Mutter saß neben dem Regal und starrte mit fragendem Blick in den Raum, als kämpfte ihr Geist gegen die löchrige Barriere zur Außenwelt, die einen Teil der Auseinandersetzung hineingelassen haben mochte. Efoh hockte reglos neben dem Bierfass, den vollen Becher in der Hand, den Rowilan nicht angerührt hatte. Sein Blick ruhte auf Aigonn, der hasserfüllt zur Tür starrte, als könnte sein Blick dem Schamanen selbst durch die Hauswand einen Dolch in den Rücken jagen.

      Er hatte es so oft versucht! So oft wollte er Rowilan schon Glauben schenken, dass er unschuldig war, dass er für Derona immer nur das Beste gewollt hatte. Doch die Bilder, die Aigonn vor Augen hatte, sprachen eine andere Botschaft.

      Als Efoh den Becher abstellte, holte das Geräusch Aigonn in die Wirklichkeit zurück. Mit nach Bestätigung suchendem Blick sah er zu seinem Bruder, erhielt aber nur eine wortlose Antwort, die er nicht recht zu deuten wusste. Schon oft hatte Efoh bemerkt, dass er Aigonn zustimmte, dass er sich ebenso sicher war wie sein Bruder, was Deronas Tod betraf. Auch, wenn er sich ungern dazu geäußert hatte. Doch an diesem Abend gewann Aigonn den Eindruck, er hatte nie alles erfahren, was Efoh bewegte. Und was Efoh wirklich dachte, so klein er damals beim Tod ihrer beider Schwester auch gewesen war.

      Die Müdigkeit war es, die Aigonn dazu brachte, nicht weiter über diese Dinge nachzugrübeln. Efoh hüllte sich in Schweigen. Und als seine Mutter wieder leise vor sich hin zu summen begann, brachte ihm die Vertrautheit seines Zuhauses endlich die Ruhe, die er sich ersehnt hatte.

      Aber als er einschlief, entglitt sie ihm wieder.

      Derona stand vor dem Haus im Regen. Ihre brustlangen, dunkelblonden Haare klebten wie Schlangen an ihrem triefend nassen Kleid, das ihren abgemagerten Körper wie ein Leichentuch zu umgeben schien. Jung war sie, kaum neunzehn Jahre alt. Aigonn erinnerte sich an den Anblick ihrer grünen Augen, die gehetzt nach draußen starrten, ungewiss, welche Gedanken sich dahinter verbargen. Er sah sich selbst, ein Kind, einen kleinen Jungen, der am Rockzipfel seiner Schwester zupfte, bevor sie ihn mit einer unwirschen Bewegung davonscheuchte.

       Sie sprach nicht mit ihm. Auch nicht, als er zu weinen begann. Ihrer beider Mutter war nicht im Haus. Sie hatte ihre beiden ältesten Kinder voller Sorge zurückgelassen, um Efoh suchen zu gehen, der vom Spielen im Wald noch immer nicht zurückgekehrt war. Aigonn war allein mit Derona. Er hatte sich beim Schnitzen tief in den rechten Handballen geschnitten und presste weinend einen Stofffetzen auf die blutende Wunde. Seine Mutter hatte ihm immer die Wunden verbunden, mit Salben eingerieben. Doch er wusste nicht, welches Tontöpfchen er nehmen musste, denn manche von ihnen enthielten Gift, das seine Mutter gegen die Mäuse im Vorratslager verteilte.

      Derona hätte ihm das richtige Döschen geben können. Doch so sehr er um ihre Hilfe bettelte, sie beachtete ihn nicht. Sie schien ihn so wenig wahrzunehmen, dass ein Hund an seiner Stelle an ihrem Rock hätte reißen können.

      Es verging ein langer Moment, in welchem der blutende Aigonn hinter seiner Schwester ausgeharrt hatte, bis Rowilan durch den Regen seine Bitten erhörte. Rasch lief der Schamane zu ihrem Haus. Ein besorgter, furchtsamer Blick haftete auf Derona, bevor er Aigonn an der Hand nahm und ihn im schnellen Schritt ins Haus hineinführte.

      „Was hast du denn gemacht?“ Der Ton des Schamanen verriet, dass seine Gedanken nicht bei der Sache waren. Als Aigonn ihm den tiefen Schnitt in seiner Hand zeigte, ließ sich Rowilan sagen, wo Aigonns Mutter die Salben verwahrte. Es brauchte nur eine kurze Geruchsprobe an verschiedenen Töpfchen, bevor er gefunden hatte, was Aigonn brauchte. Die Salbe brannte in der Wunde, und der Verband, den Rowilan aus einem Lumpen band, saß unangenehm fest. Doch bald ließ der Schmerz nach.

      Der Schamane im Gegenzug vergaß den Jungen binnen weniger Herzschläge. Vorsichtig näherte er sich Derona. Aigonn sah seine Hand zittern, als Rowilan die junge Frau an der Schulter berührte, leise ihren Namen flüsterte und hinnahm, dass sie ihn ignorierte.

      „Derona! Derona, hörst du mich?“ Seine Stimme war sanft. So sanft, wie Aigonn es nur von seinem Vater kannte, wenn dieser mit seiner Mutter sprach. Er wusste, dass Derona Rowilans Schülerin war – auch wenn er damals nicht begriffen hatte, worin ihre besonderen Fähigkeiten bestanden. Sie beide verbrachten viel Zeit miteinander. Mehr, als es Aigonns Mutter lieb war.

      „Derona!“ Als Rowilans Hand zärtlich über Deronas Wange zu streichen begann, kehrten die Gedanken der jungen Frau einen Augenblick lang in die Wirklichkeit zurück. Ruckartig packte sie den Schamanen am Handgelenk. Der Hilfeschrei, der in ihrem Blick mitschwang, jagte Rowilan einen Schreck in die Knochen, den selbst Aigonn vom Haus aus erkennen konnte. Deronas Hände zitterten. Ihre Lippen vibrierten vor Anspannung, als sie dem Schamanen mit gebrochener Stimme zuflüsterte: „Ich bitte dich, hilf mir!“

      Das Bild verschwand vor Aigonns Augen. Er konnte sich erinnern, dass es andere Tage gegeben hatte. Tage, an welchen Rowilan voller Triumph mit seiner Schülerin vor die Menschen getreten war, um ihnen zu verkünden, welche großartigen Fortschritte sie machte. Niemals hatte er sich genau ausgedrückt, was hinter den Lehmwänden seiner leicht abgeschiedenen Behausung geschah. Denn das Wissen der Schamanen war ausnahmslos den Eingeweihten vorbehalten, in jeder Hinsicht. Weder Aigonn noch seine Eltern hatten erfahren, zu was Derona in der Lage war, was sie wirklich gesehen hatte. Aigonns Mutter hatte immer geglaubt, dass Rowilan die Fähigkeiten seiner Schülerin unterschätzte, verkannte. Aber der Schamane gab nichts auf ihre Worte.

      Die Monate zogen an Aigonn vorbei. Einzelne Bilder blitzten vor seinen Augen auf. Er sah seine Schwester, ihr helles Gesicht mit den klaren, strahlenden Augen, die binnen weniger Monate stumpf geworden waren, wie Edelsteine, die zu lange auf rauen Boden gerieben wurden. Er wusste, was kommen würde. Die Zukunft war so undankbar, ihm alles zu zeigen, ihn allem beiwohnen zu lassen – jetzt, wo er das Ende der Geschichte kannte, ganz gleich, ob er sie verstand.

      Aigonn wusste nicht, ob er schrie, ob er sich im Schlaf wehrte. Doch er entkam ihr nicht. Noch einmal sah er sie, die grünen Augen, ein warmes, strahlendes Lächeln, das plötzlich verblasste. Das Licht erlosch wie eine Fackel.

      Das Grab der Götter, der Fackelkreis, ihre Knochen, die brachen, zwei tote Augen, die ihn durch die Dunkelheit ansahen, mit einer Botschaft, die er nicht deuten konnte. Niemand wusste es, niemand hatte es verhindern können. Denn niemand hatte gewusst, wie weit Derona gegangen war, wie viel sie von der Anderen Welt gesehen hatte. Außer Rowilan.

      Zurückgekehrt

      Als Rowilan in den Vormittag hinaustrat, schäumte er vor Wut. Seine Beine fanden den Weg zurück zu seiner kleinen Hütte, die abseits des eigentlichen Dorfes gelegen war, fast von allein. Ein Bachlauf unterbrach dort die Palisaden und machte einen eigenen Wachposten nötig, der dort täglich eine besondere Runde abschritt. Denn selbst wenn es einem gepanzerten Krieger nicht gelingen würde, unbemerkt in die Siedlung einzudringen – groß genug für eine Frau oder ein Kind war der Durchlass allemal.

      Der Schamane grüßte den Krieger flüchtig, bevor er die Tür seiner Hütte aufriss. Der vertraute Duft getrockneter Kräuter, die wie Trophäen überall von der Decke hingen, bezähmte sein erhitztes Gemüt. Hier, in seinem Reich, geschahen die Dinge nur so, wie er es wollte. Hier gab es keinen Ärger, keine sinnlosen Debatten über Ehre, Vertrauen und Stolz. Nur den murmelnden Bach, dessen Geister in stiller Zufriedenheit über die schlammige Erde glitten, überall dorthin, wohin sie gehen wollten. Wasser hielt man nicht auf.

      Abgespannt ließ sich der Schamane auf sein Schlaflager fallen. Der Ärger über den Jungen Aigonn nagte noch immer an seinem Stolz. Er kam sich verhöhnt vor, an der Uneinsichtigkeit dieses jungen Mannes gescheitert. Am liebsten hätte er irgendeines seiner Tongefäße gegriffen und auf dem Boden zerschlagen. Doch es wäre vergebens gewesen.

      Deshalb entschied sich Rowilan, einen Moment lang neue Konzentration zu finden. Er verdrängte die Außenwelt aus seiner Behausung. Ohne auf die Geräusche der Siedlung zu achten, trank er lediglich den Anblick seiner Einrichtung in sich hinein: