Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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diesem Augenblick schritt Abt Degenar ein, dem das Funkeln in Walrams Augen nicht entgangen war.

      „Bitte schlagt jetzt keine körperliche Züchtigung vor, wie sie Euch als Novize zuteil wurde. Ihr wisst genau, dass übermäßige Züchtigung zur Austreibung der Lust nicht meiner Auffassung entspricht! Euer altes Kloster mit seinen strengen Regularien ist hier fehl am Platz. Faolán ist ein Mitglied unserer Gemeinschaft und nach unseren Grundsätzen wird seine Tat beurteilt und bestraft werden.“

      Walrams Tonfall wurde arrogant.

      „Wie Ihr feststellen könnt, hat mir die Züchtigung nicht geschadet. Im Gegenteil! Nicht zuletzt bin ich durch diese strenge Hand erst zu dem gottesfürchtigen Mann geworden, der heute vor Euch steht. Der Schmerz lehrte mich Demut und Genügsamkeit.“

      Der Prior senkte sein Haupt in scheinbarer Gefügigkeit, doch Faolán konnte genau sehen, dass die Augen des vermeintlich genügsamen Mönches alles andere als Unterwürfigkeit ausstrahlten. Was er darin sah waren Streitlust, Rache, Gier und Machthunger.

      Abt Degenar konnte es jedoch nicht sehen. Gemäßigt sprach er den Prior noch einmal darauf an: „Dennoch obliegt die Auferlegung einer Strafe in einem solch schweren Fall noch immer dem Abt eines Klosters. Und wenn ich mich recht entsinne, habe ich dieses Amt inne, und nicht Ihr, Prior! Für Demut und Genügsamkeit kann auch auf andere Weise gesorgt werden.“

      „Gewiss, ehrwürdiger Abt. Verzeiht mir, falls ich anmaßend gewirkt haben sollte. Es lag nicht in meiner Absicht.“

      Daraufhin widmete sich der Prior Konrad. Der hatte bisher unbeachtet mit gebundenen Händen kniend gewartet. Wie schon Faolán zuvor, packte Walram auch ihn an einem Ohr und zog ihn empor. Der Schmerz ließ Konrad schnell auf die Beine springen.

      „Und wie gedenkt Ihr mit diesem Handlanger des Leibhaftigen zu verfahren? Er ist wie sein Komplize auf das Härteste zu bestrafen. Offensichtlich stand er bei der Schandtat Wache. Dass ich die beiden dennoch überraschen konnte, war eine glückliche Fügung des Herrn, der noch einmal ein Einsehen mit unserer Abtei hatte. Wir sollten diese Gunst des Allmächtigen nicht ignorieren, indem wir bei diesem Novizen falsche Gnade walten lassen.“

      „Wenn ich Euch richtig verstehe, so habt Ihr den Novizen Faolán allein bei der Kirche angetroffen. Wie passt es nun zusammen, dass auch dieser Novize daran beteiligt sein soll?“, wollte der Abt wissen. Er missbilligte zwar Konrads Übergriffe, doch er wollte beide Vergehen getrennt beurteilen. Nur so würde er über Konrad eine geringere Strafe verhängen können als über Faolán.

      Irritiert von der Frage des Abtes begann Walram erneut Konrads Vergehen zu schildern. „Dieser Novize ist dafür bekannt, dass er stets als Faoláns Handlanger auftritt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war es auch in diesem Fall so. Zu unserem Glück war er nicht wachsam genug und beide Novizen konnten entdeckt und überwältigt werden, trotz gewaltsamer Gegenwehr.“

      Faolán konnte nicht mehr an sich halten, als er das vernahm. Dass er für sein Vergehen bestraft werden sollte, das leuchtete ihm ja noch ein. Dass man ihn irrtümlich der Sünde des Onan bezichtigte, war schon schlimm genug. Dass aber auch Konrad für diese Tat zur Verantwortung gezogen werden sollte, das war zu viel. Ohne weiter darüber nachzudenken, richtete er sich auf. „Das ist nicht wahr! Das ist eine Lüge. Konrad lief zufällig …“

      Sofort sprang Prior Walram auf Faolán zu. Mit unglaublicher Wucht schlug er dem Novizen ins Gesicht, dass dieser mit einer Platzwunde an der Lippe zu Boden ging. Schwer atmend stand der Mönch über ihm, die Hand drohend zum nächsten Streich erhoben. Faolán blickte benommen auf. Walram glich einem Wolf, der triumphierend und bedrohlich über seiner Beute stand, bereit, seine Fänge in das weiche Fleisch zu schlagen.

      „Schweig, du teuflischer Bastard!“, zischte der Prior, sichtlich bemüht die Fassung zu wahren.

      „Walram, beherrscht Euch!“

      Degenars Ausruf brachte den vor Wut schäumenden Mönch zur Besinnung, und der grenzenlose Zorn wich aus seinen Augen. Er trat zur Seite und entschuldigte sich gleichgültig beim Abt, während Ivo dem Novizen wieder auf die Beine half. Als der Prior das sah, schrie er den Cellerar an:

      „Lasst den Sünder gefälligst demütig vor dem Herrn knien. Das ist wohl das Mindeste, was man von ihm verlangen kann!“

      Bruder Ivo kam Walram zuvor und gab Faolán mit sanftem Druck auf die Schultern zu verstehen, dass er sich besser fügen solle. Abt Degenar hatte genug gesehen und wollte die Sache beenden.

      „Ich denke, dass ich alle Seiten vernommen habe und ein Urteil fällen kann. Hierfür benötige ich allerdings Zeit und Ruhe, denn es will wohl überlegt sein, was mit den beiden Novizen geschehen soll. Ist dem Gesagten abschließend noch etwas hinzuzufügen?“

      Der Abt ließ keinen Zweifel daran, dass damit alle entlassen waren, einschließlich der Novizen. Der Prior zögerte dennoch und nutzte die Gelegenheit, um noch einmal sein Anliegen vorzutragen.

      „Ich fordere erneut und mit aller Dringlichkeit die härteste Bestrafung für diese beiden Novizen. Für Taten dieses Ausmaßes darf es keine Gnade geben. Ein exemplum muss für alle statuiert werden. Wie diese Strafe aussehen mag, obliegt gewiss Euch, ehrwürdiger Abt. Doch Ihr solltet bedenken, dass ein ehrfürchtiger Novize nicht unbedingt beide Hände benötigt, um dem Herrn zu dienen. Vor allem nicht, wenn sie bereits solch teuflisches Werk verrichtet haben.“

      Faoláns Augen weiteten sich mit Schrecken, während Degenar von diesen Ausführungen unbeeindruckt blieb. „Ich danke Euch für Eure Empfehlung, ehrwürdiger Prior, und werde sie in meiner Entscheidung berücksichtigen. Doch jetzt sollten alle wieder ihren Pflichten nachkommen. Der Vorfall hat den Tagesablauf unseres Klosters bereits zur Genüge gestört.“

      Ohne weitere Reden ergriff der Prior das befleckte Habit und verließ mit seinen beiden Vertrauten die Räumlichkeiten. Abt Degenar zog sich in seine Bettkammer zurück und so war es an Bruder Ivo, die beiden Angeklagten mit sich zu nehmen. Die Novizen folgten dem schweigsamen Cellerar, der sie auf direktem Wege zum Büßerhaus brachte. Zuerst schloss er Konrad in eine Zelle, dann öffnete er die Tür zu Faoláns Büßerkammer. Bevor er sie wortlos wieder schloss, hielt er noch einmal inne und blickte lange in die Augen seines Gehilfen.

      Faolán setzte bereits an, die Geschehnisse ins rechte Licht zu rücken, als der Mönch ihm mit einer knappen Geste Einhalt gebot. Mit ein paar Handzeichen bekundete er, dass er sich um alles kümmern werde. Geduld und Vertrauen formte er zum Schluss mit den Händen, dann fiel die schwere, eisenbeschlagene Holztür zu und wurde von außen verriegelt. Es gab kein Entkommen aus dieser Kammer.

      Geduld und Vertrauen, etwas anderes blieb Faolán auch nicht übrig. Er musste dem Wohlwollen des Abtes und dessen Geschick, sich gegen den Prior durchzusetzen, vertrauen. Das würde nicht leicht werden und Faolán war sicher, dass Walram alles unternehmen würde, um die geforderten Strafen gegen Konrad und ihn auch verhängt zu sehen.

      Faolán sah sich in der kargen Zelle um. Nichts war in diesem engen Raum vorhanden, außer einem kleinen Loch im Boden, das als Abort diente. Ein schmaler Schlitz in der Außenwand war Fenster und einziger Kontakt nach draußen. Es war so hoch gelegen, dass Faolán sich strecken musste, um das Sims zu erreichen. Lediglich der Himmel war erkennbar und der Novize fragte sich, ob nicht genau das die Absicht des einstigen Baumeisters gewesen war, als er die Büßerzellen erdacht hatte. Ein Gefangener sollte sich wohl der Gnade des Allmächtigen auf diese Weise bewusst werden.

      Vorsichtig rief er nach Konrad in der Nachbarzelle. Hoffend lauschte er, vernahm jedoch keine Antwort. Dann versuchte er es noch einmal, etwas lauter. Tatsächlich konnte er diesmal etwas hören, doch die Worte wurden durch die dicken Mauern derart gedämpft, dass er sie nicht verstand.

      Plötzlich wurde Faoláns Zellentür geöffnet. Er drehte sich um und sah einen Mönch, der eine Kapuze trug. Der Bruder blieb an der Schwelle stehen, als wage er nicht in die Nähe des Sünders zu kommen. Er stellte einen Krug auf den Boden und legte noch ein Bündel daneben, dann verschloss er die Tür wieder von außen, noch bevor Faolán etwas sagen konnte.

      In dem Krug befand sich frisches Wasser, und das Bündel entpuppte sich als Novizenhabit.