Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

Читать онлайн.



Скачать книгу

den harten, kalten Steinboden zu setzen und zu warten. Zu warten und zu hoffen.

      * * *

      Faolán schreckte auf. Die Nacht war hereingebrochen und es war düster in der Zelle. Er hatte geschlafen, trotz des harten Untergrundes. Steif erhob er sich und lauschte. Etwas hatte ihn geweckt. Faolán vernahm ein merkwürdiges Geräusch. Er schaute zum Fenster hoch und sah einen sternenklaren Himmel. Ein Teil des Mondes war in dem kleinen Ausschnitt des Firmaments zu sehen und erhellte die Schwärze der Zelle ein wenig.

      Plötzlich flog etwas durch die Fensteröffnung, gefolgt von einem dumpfen Aufschlag. Neugierig tastete Faolán den Boden ab. Wenige Augenblicke später hielt er einen Apfel in der Hand. Ein zweiter traf ihn im Rücken und Faolán war klar, dass ihn jemand mit Nahrung versorgte! Außer dem Krug mit Wasser hatte man nichts weiter in die Zelle gebracht, nicht einmal ein Stück Brot. Gierig biss Faolán von der Frucht ab und schaute zum Fenster.

      „Wer ist da? Wer bist du?“, rief er vorsichtig, sobald er den ersten Bissen geschluckt hatte.

      „Wer wird es wohl sein?“, kam die leise Gegenfrage und Faolán erkannte mit großer Freude Erings Stimme. Doch sogleich verspürte er eine neue Angst in sich aufsteigen. Angst, auch diesen Freund in seine Angelegenheit hineinzuziehen und in Schwierigkeiten zu bringen.

      „Ering, bist du wahnsinnig? Wenn dich jemand entdeckt, steckt man dich ebenfalls in eine Zelle! Es ist besser, wenn du wieder gehst.“

      Doch Ering blieb. Seine Stimme klang ruhig und alles andere als besorgt.

      „Keine Angst, es ist alles organisiert. Glaubst du, ich hätte Bruder Ivo bestohlen, um euch beide zu verköstigen? Du solltest mich besser kennen, Faolán. Nein, Bruder Ivo passt in der Nähe des Dormitoriums auf, dass mir niemand folgt. Wir haben also etwas Zeit, und du kannst mir genau berichten, was geschehen ist. Wilde Gerüchte über eine frevelhafte Tat haben sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Ein Abbild des Leibhaftigen sollst du auf die Kirchenwand gemalt haben.“

      Faolán stöhnte leise. Er hatte befürchtet, dass Prior Walram solche Gerüchte in die Welt setzen würde. Allerdings hörte es sich jetzt schlimmer an, als er es sich ausgemalt hatte. Mit ein paar Sätzen schilderte er seinem Freund den Ablauf der Dinge. Ering berichtete dann ausführlich, dass Walram eine außerordentliche Sitzung im Kapitelsaal einberufen und dort sehr energisch die teuflischen Taten der Novizen geschildert hatte. Um die Mitbrüder dauerhaft zu beeindrucken, hatte der Prior im Anschluss Faoláns beflecktes Habit bei Abenddämmerung im Klosterhof verbrannt. Die Asche dieses reinigenden Feuers, wie Walram es genannt hatte, müsse solange liegen bleiben, bis sie von den Winden des Himmels davongetragen werde.

      „Als dein Habit in Flammen aufging, zeigte Walram dramatisch auf den Himmel und behauptete, er würde deiner Taten wegen die Farben der Hölle annehmen. Dabei war es nichts weiter als ein gewöhnliches Abendrot. Einige Brüder werden allerdings die Darstellung des Priors vorziehen und seine Sache unterstützen. Die ersten Stimmen fordern inzwischen laut, die vom Prior vorgeschlagene Bestrafungen zu verhängen.“

      „Hat sich Abt Degenar bereits geäußert?“

      „Natürlich hat er das. Doch seine Position ist äußerst schwach. Er darf dich in dieser Angelegenheit nicht bevorzugen, sonst könnte sich Walram auch noch gegen ihn wenden.“

      „Hast du eine Ahnung, wie lange wir auf ein Urteil warten müssen?“

      „Mit Sicherheit wird es noch einige Tage dauern. Möglicherweise versucht der Abt das Verfahren in die Länge zu ziehen, um die vom Prior entfachte Hitze in den Köpfen der Mitbrüder abkühlen zu lassen. Mit der Zeit werden hoffentlich einige von der Hetze abfallen und wieder gleichgültig werden. Dann könnten auch die Strafen milder ausfallen.“

      „Andererseits könnte der Prior aber auch weiterhin für erhitzte Gemüter sorgen, um die Lage zu verschlimmern“, antwortete Faolán skeptisch. „Er hat bestimmt schon seine nächsten Schritte gegen uns geplant.“ Faolán stellte sich eine fehlende Hand vor, und ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken.

      Ering brachte ihn wieder auf andere Gedanken. „Leider können wir nur abwarten. Es gibt keine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Der Einzige, der etwas ausrichten kann, ist der Abt selbst. Und der allmächtige Vater!“

      Faolán wusste, dass sein Freund Recht hatte. Nachdem sich Ering verabschiedet hatte, wurde es still unter dem Fenster der Büßerzelle. Faolán war wieder allein und er würde es sicher auch noch für einige Zeit bleiben.

      * * *

      Die Lage entwickelte sich, wie Ering es vermutet hatte. Die Entscheidung des Abtes ließ mehrere Tage auf sich warten. Beinahe täglich erhielt Faolán von Ering Berichte über die heftigen Diskussionen zwischen Walram und Degenar. Zu seiner Erleichterung hatte der Abt eine Verstümmelung von Faoláns Hand abgelehnt.

      Walrams nächster Vorschlag, die beiden Novizen auf eine lange und entbehrungsreiche Pilgerfahrt zu schicken, stellte für den Abt ebenfalls keine akzeptable Buße dar. Ein solches Unternehmen barg zahlreiche Gefahren und dauerte, sofern man es überhaupt überleben sollte, meist mehrere Jahre. Der Prior blieb jedoch hartnäckig. Auf die eine oder andere Weise schien er Faolán zu Tode kommen lassen zu wollen. Diese Absicht war für den Novizen unerklärlich. Was hatte er dem Prior angetan, dass der ihn dermaßen hasste?

      Diese Gedanken quälten Faolán Tag für Tag. Eines Nachts berichtete Ering, dass Bruder Ivo zum Markt gefahren war. Allein, denn der Cellerar hatte noch keinen Ersatz für seinen bisherigen Gehilfen gefunden. Faolán hoffte auf eine Nachricht von Svea, doch von ihr hatte Ering keine Neuigkeiten.

      Es wurde für Faolán immer unerträglicher, untätig in der kargen Zelle sitzen zu müssen. Er war jeder Möglichkeit beraubt, seinem Leben nachzugehen und seine Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Mit jedem Tag verabscheute er es mehr, auf die Gunst anderer angewiesen zu sein und hoffen zu müssen, dass sie in seinem Sinne entscheiden würden.

      * * *

      Brandolfs Auftrag war dringlich. Er hatte eigentlich keine Zeit, sich um dieses Kloster zu kümmern, zumal es direkt dem Grafen unterstand. Rurik hatte außerdem bestimmt schon beim hiesigen Abt im Namen des Kaisers um Mittel für die Verstärkung der Truppen gebeten. Der Kampf gegen König Berengar II. in Italien war aufreibender als anfangs geglaubt.

      Dennoch wollte er mit diesem Bittgesuch vorstellig werden, denn es war lediglich ein Vorwand. Wie sein Vater zu Lebzeiten, suchte auch Brandolf noch immer nach dem verschollenen Erben der Grafschaft. Er hatte einst dem sterbenden Grafen Farold einen Eid geleistet, dem er sich nach wie vor verpflichtet fühlte. Und er hatte das Wort des Kaisers, dass dem rechtmäßigen Erben die Grafschaft zugesprochen würde, sollte er gefunden und Ruriks Machenschaften nachgewiesen werden. Es gab außer den Belangen des Kaisers nichts, was Brandolf stärker beschäftigte, als Rurik das Handwerk zu legen. Deshalb führte er die Suche nach Rogar schon seit Jahren rastlos fort.

      Der Krieger hatte bereits viele Siedlungen, Städte und Abteien auf seinen weiten Reisen besucht und nach Rogar gefragt, bisher jedoch nicht einen einzigen Hinweis erhalten. In diesem Benediktinerkloster, nahe Neustatt, war er allerdings noch nicht gewesen. Wegen der Nähe zur Greifburg, hielt es Brandolf für unwahrscheinlich, dass Rogar hier versteckt sein könnte, ohne bereits in die Fänge des Grafen geraten zu sein. War hier nicht Ruriks Einfluss viel zu groß? Besuchte er die Abtei nicht hin und wieder? Dennoch hatte Brandolf entschieden, den Abt um eine kurze Unterredung zu bitten und damit nichts unversucht zu lassen.

      Mit drei getreuen Kriegern ritt Brandolf durch das offene Tor auf den großen Hof der Abtei. Zu seiner Überraschung traf er dort auf keine Menschenseele, nicht einmal einen Torhüter. Alles war still und es schien, als habe man das Kloster erst kürzlich aufgegeben. Brandolf wies seine Männer an, bei den Pferden zu bleiben, stieg ab und ging auf das erste Gebäude zu.

      Die Tür war verschlossen und so versuchte er es bei der nächsten. Auch diese gab nicht nach. Brandolf folgte einigen Gassen zwischen den Klosterbauten hindurch und klopfte an Türen, doch nirgends war ein Angehöriger der Gemeinschaft anzutreffen. Er hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, als er die Tür zu den Gemächern eines Amtsinhabers öffnete und darin zu