Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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Je länger die Sitzung dauerte, umso mutloser wurde er.

      Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sich die Tür des Saales wieder öffnete. Erneut folgte ein Vorüberziehen der Mönche mit mehr oder minder heftigen Hieben. Diesmal fehlte allerdings der hasserfüllte Streich des Priors. Er war im Saal geblieben, gemeinsam mit dem Abt und dem Cellerar.

      Nachdem sich die Bruderschaft entfernt hatte, kam Bruder Ivo auf die Sünder zu und beorderte sie in den Kapitelsaal. Dort mussten sie erneut vor dem Altar die Büßerhaltung einnehmen, und bildeten das fleischliche Pendant zum Abbild des Gekreuzigten an der Wand über ihnen.

      Der Abt ergriff das Wort, leise und beinahe schon erschüttert. Er sprach niemanden an, sondern verkündete die Neuigkeiten in den Raum hinein, als wolle er den himmlischen Heerscharen berichten.

      „Soeben hat unsere heilige Gemeinschaft geurteilt, dass die Novizen Faolán und Konrad der hinreichend bekannten Taten schuldig sind. Nach zahlreichen Debatten über das Ausmaß der zu verhängenden Strafen wurde folgendes festgelegt: Die beiden Sünder sind nicht mehr länger Mitglieder unserer Abtei. Ihr Ausschluss aus der Gemeinschaft …“, dem Abt fiel es jetzt besonders schwer zu sprechen, „… erfolgt mit dem Antritt einer weiteren Strafe.“

      Als Faolán das vernahm, stockte ihm der Atem und sein Herz wollte stehen bleiben. Aus der Abtei ausgeschlossen zu sein, die er seit so vielen Jahren sein Zuhause nannte, in der er nahezu sein ganzes Leben verbracht hatte, war für ihn unvorstellbar. Das durfte nicht sein! Als habe der Abt die Gedanken des Novizen erraten, sprach er weiter: „Dennoch werden die Sünder nicht in das weltliche Chaos entlassen, in dem sie haltlos allem Schlechten ausgeliefert wären, sondern erhalten noch eine Gelegenheit, sich vor dem Herrn zu beweisen. Hierfür müssen sie uneingeschränkte Reue zeigen und werden zu diesem Zweck in die Obhut einer anderen Abtei übergeben.“

      Faolán traute seinen Ohren nicht. Eine Verbannung in ein anderes Kloster! Das war völlig unmöglich und schon gar nicht mit seinen Plänen vereinbar. In erster Linie bedeutete es, dass es dadurch weder Marktgänge noch weitere Treffen mit Svea geben würde. ‚Mächtiger als Drogo, hörte er Sveas warnende Worte noch einmal. Mächtig genug, um sein Leben mit nur einem einzigen Streich zunichte zu machen. Es war Walrams drohender Schatten, den sie damals mittels ihrer Gabe gesehen hatte. Faoláns Innerstes sträubte sich gegen dieses Urteil. Trotz all seiner Verzweiflung wollte er dieser hoffnungslosen Zukunft die Stirn bieten. Er richtete sich leicht auf und begann in all seiner Torheit zu sprechen, obwohl es ihm verboten war: „Nein, ehrwürdiger Abt! Das darf nicht die Strafe für eine Tat sein, auf die ich keinen …“

      „Schweig, du teuflische Ausgeburt!“ Prior Walram trat sofort an Faoláns Seite und zwang den Novizen mit ein paar schnellen Hieben wieder zu Boden, noch bevor der Abt oder der Cellerar einschreiten konnten. Faolán blieb regungslos mit zusammengebissenen Zähnen liegen. Tränen der Enttäuschung und der Wut, des Schmerzes und der Hilflosigkeit, fielen auf den Steinboden. Er war verloren! Und mit ihm Konrad!

      Walram nutzte Faoláns Aufbegehren für sich, geiferte regelrecht vor Aufregung. „Seht, ehrwürdiger Abt, sein aufsässiges Gemüt ist nur durch harte Züchtigung zu brechen. Daher bin ich der festen Überzeugung, dass Ihr in all Eurer Güte, Weisheit und Weitsicht damit einverstanden sein werdet, wenn ich das Kloster auswähle, das sich der beiden Novizen annehmen soll.“

      Degenar hatte bei der Urteilsfindung Walram bereits viele Zugeständnisse abgerungen. Jetzt war es an ihm, ebenfalls ein Zugeständnis zu machen, und so ließ er den Prior mit einem zustimmenden Nicken gewähren.

      „Ich empfehle, die beiden Novizen in mein altes Kloster zu bringen, das nach den Grundsätzen des heiligen Columban geleitet wird. Ich selbst habe die dortige Erziehung genossen. Dort kennt man einen erfolgreichen Weg, um teuflischen Einflüssen entgegen zu wirken. Bußfertig und gottesfürchtig werden sie dort fortan ihr Leben bestreiten. Wenn sie sich bemühen, so mag vielleicht sogar der Herr eines Tages wieder Freude und Gefallen an ihnen und ihrem Dienst finden.“

      An der versteinerten Miene des Abtes war dessen innerer Kampf abzulesen.

      Zu spät erkannte er seinen Fehler, Walram bei der Wahl des Verbannungsortes freie Hand gelassen zu haben. Doch er konnte seine Zusage nicht rückgängig machen. Nach einer Weile beendete Degenar das nachdenkliche Schweigen. Seine Stimme klang kraftlos und erschöpft, als habe er soeben eine Niederlage erlitten. „So sei es!“

      Daraufhin verließen Abt und Prior den Saal, der eine niedergeschlagen, der andere triumphierend. Bruder Ivo blieb, um die Novizen zurückzubringen. Wortlos streiften die Sünder grob gewobene, wollene Büßergewänder über, welche ihnen der Cellerar reichte. Danach folgten sie dem Mönch durch das Kloster, zurück zu ihren Zellen.

      Sichtlich zufrieden betrat Walram wieder seine Gemächer. Er hatte vergessen, dass dort der Edelherr auf ihn wartete und war überrascht, ihn noch anzutreffen. Brandolf erhob sich und sprach den Mönch sogleich an. „Ehrwürdiger Prior, ich bin in Eile. Wenn Ihr jetzt ein wenig Zeit aufbringen könntet, um Euch mein Anliegen anzuhören, wäre ich Euch sehr dankbar.“

      Bester Laune machte Walram eine gleichgültige und großzügig wirkende Handbewegung. „Wenn es Euch weiterhilft …“

      „Ich bin auf der Suche nach einem Jungen. Er ist im Sommer vor sieben Jahren verschwunden. Er dürfte jetzt etwa dreizehn oder vierzehn Jahre alt sein. Habt Ihr in Eurer Abtei zu jener Zeit vielleicht ein Waisenkind mit besagtem Alter aufgenommen?“

      Walram hatte zunächst nur halbherzig zugehört, doch mit jedem Wort richtete er seine Aufmerksamkeit immer mehr auf den Krieger. Als Brandolf endete, war der Prior angespannt, wie eine Katze vor dem Sprung. „Wie heißt der Knabe und welcher Familie entstammt er?“

      Das Funkeln in den Augen des Priors ließ Brandolf vorsichtig werden. „Das kann ich Euch nicht sagen, ich bin zur Geheimhaltung verpflichtet.“

      „Aus welchem Grund sucht Ihr ihn?“

      „Ich habe geschworen, mich um den Jungen zu kümmern.“

      „Und Ihr könnt diesem Eid nicht gerecht werden?“

      „Ohne den Knaben wohl kaum. Habt Ihr einen Novizen in Eurer Abtei, der meiner Beschreibung entspricht?“

      „Ich benötige weitere Einzelheiten, um Euch eine Antwort geben zu können. Seht Ihr denn keine Möglichkeit, mehr zu berichten?“

      „Jedes weitere Wort an falscher Stelle könnte den Jungen in Gefahr bringen.“

      „Traut Ihr mir nicht?“

      Brandolf gefiel die Frage nicht. Unverhohlen schaute er dem Prior in die Augen: „Es gibt nur wenige, die mein Vertrauen genießen!“

      Walram schien damit nicht zufrieden zu sein, nickte aber schließlich und fuhr fort: „Ich hoffe, Ihr vertraut dem Herrn! Um Eure Frage zu beantworten: Es gab in der Tat einen Knaben in unserem Kloster, der in besagtem Sommer bei uns aufgenommen wurde. Um genau zu sein sogar drei, doch nur einer von ihnen ist ein Waisenknabe. Die Gemeinschaft gab ihm den Namen Faolán. Sein richtiger Name scheint niemandem bekannt zu sein. Bedauerlicherweise muss ich Euch mitteilen, dass dieser Novize nicht mehr Mitglied unserer Gemeinschaft ist. Insofern ist Eure Suche nach ihm bei uns hoffnungslos.“

      Brandolf dachte fieberhaft nach. „Wo ist der Junge jetzt?“

      „Weshalb glaubt Ihr, könnte ich das wissen?“

      „Wann hat er die Bruderschaft verlassen?“

      „Vor einigen Tagen hat er eine sträfliche Tat begangen. Daraufhin wurde er aus der Bruderschaft verbannt.“

      „Vor einigen Tagen erst? Welchen Weg ist er gegangen?“

      Prior Walram schwieg. Brandolf wusste nicht, ob der Mönch keine Kenntnis darüber hatte oder es einfach nicht preisgeben wollte. Doch er spürte, dass er Rogar dicht auf der Fährte war. Der Prior hatte mit seinen Andeutungen mehr gesagt, als er es wahrscheinlich beabsichtigt hatte. „Ich danke Euch für Eure Offenheit, Prior. Es ist Zeit, zu gehen.“

      „Ich werde Euch nicht aufhalten. Möge der Herr Euch auf Eurer