Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

Читать онлайн.



Скачать книгу

unterbrach das beklemmende Schweigen. „Vielleicht liegt es daran, dass du in einer Gemeinschaft mit Männern aufgewachsen bist. Möglicherweise kommst du mit der Veränderung meines Körpers nicht zurecht, weil sich – wie viele sind es? – etwa zehn Dutzend Männer eine heilige Mutter teilen müssen!“

      Die spaßig gemeinte Bemerkung, die Faolán hätte aufmuntern sollen, verfehlte ihre Absicht. Stattdessen reagierte er gereizt. „Lass das Kloster aus dem Spiel! Immer wieder treibst du deine Scherze über Mönche und ihr angebliches Unvermögen, die Welt zu verstehen. Die Abtei hat nichts mit uns zu tun. Außer vielleicht mit dem, dass ich bald selbst einer dieser Mönche sein könnte!“

      Die harschen Worte trafen Svea und sie wich sichtlich erschüttert zurück. So einen Ausbruch hatte sie von Faolán noch nicht erlebt. Doch sie erkannte auch, dass sie ihre Grenzen überschritten hatte. Versöhnlich griff sie nach seiner Hand. „Entschuldige bitte. Ich wollte niemanden verspotten. Wenn du aber über meine Bemerkung nachdenkst, wirst du auch einen Funken Wahrheit in ihr finden. Oder hast du schon einmal einen Mönch anders über das Weibsvolk reden hören, als dass es entweder heilig und ehrwürdig oder lasterhaft und teuflisch ist? Der einzige Unterschied liegt darin, dass die Heiligen alle schon lange tot sind, während die zweite Gruppe aus allen anderen Frauen besteht, vor allem den lebenden.“

      Faolán spürte erneut Zorn in sich aufsteigen, brachte sich jedoch dazu, über ihre Worte nachzudenken. Er stellte fest, dass sie gar nicht so Unrecht hatte. Abgesehen von der heiligen Jungfrau Maria und vielleicht noch einigen anderen heiligen Frauen wie Scholastika, die Schwester des heiligen Benedikt, wurden Frauennamen innerhalb der Abtei selten ausgesprochen. Sollte dennoch einmal von ihnen die Rede sein, so war die Lehre der Erbsünde nicht fern.

      Dass Svea mit ihrer Beobachtung Recht hatte, konnte sich Faolán allerdings im Augenblick nicht eingestehen. Stattdessen gab er dem Impuls nach, das Kloster, seine Heimat, zu verteidigen: „So schlicht verhält es sich auch wieder nicht. Die Mönche haben mir einiges beigebracht. Auch, dass es Frauen in dieser Welt gibt.“

      „Bei Gott, welch unglaublich wagemutige Lehre“, antwortete Svea sarkastisch. „Haben die Herren auch etwas Gutes an mir gelassen oder haben sie das rote Haar bei einem Mädchen als ein Zeichen für die leibliche Sünde gedeutet? Besitzt es nicht die Farbe des Höllenfeuers? Droht dir nicht ewige Verdammnis, solltest du dich mit mir einlassen?“

      Wut schwelte plötzlich in Svea auf. Schnell zog sie ihre Hand zurück und ihre Stirn legte sich in Falten. Faolán schaute sie bestürzt an. Diese Reaktion hatte er nicht beabsichtigt. Betroffen sprach er schließlich mit ruhigem Tonfall: „Einzig Bruder Ivo weiß um deine Haarfarbe und das nur, weil du dich ihm selbst zu erkennen gegeben hast. Sonst trage ich dein Aussehen wie auch deinen Namen nur in meinem Herzen. Ich schreie es nicht hinaus wie ein fahrender Händler auf dem Markt.“

      Sveas Gesicht entspannte sich mit einem Mal. Der Zorn in ihren Augen verflog und wurde durch ein zartes Lächeln ersetzt. Ihre Hand legte sich wieder auf seine. „Entschuldige bitte …“

      „Warum sage ich nur solche Dinge?“, fragte Faolán verwirrt.

      „Weil du sie tief in deinem Herzen trägst!“, flüsterte Svea. „So tief verborgen, dass nur du sie kennst. Und ich, wenn du sie mir anvertraust.“

      Faolán nahm ihre Hand in seine, und so blieben sie schweigend auf dem Baumstamm sitzen. Ihre Blicke reichten zur Verständigung vollkommen aus, es bedurfte keiner Worte mehr.

      Viel zu früh erhob sich Svea. „Es wird spät, mein Lieber, du musst gehen.“

      Faolán wollte es nicht hören. Sein Gesicht verzog sich, als habe er plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund. „Es kommt mir vor, als sei ich eben erst eingetroffen.“

      „Du bist schon lange bei mir, weißt du das denn nicht?“ Ein schelmisches Lächeln begleitete ihre tiefsinnigen Worte. „Wir sehen uns bald wieder, oder nicht?“

      „Sicher, zum nächsten Markttag!“

      „Ich werde auf dich warten.“

      Svea hätte jetzt einfach gehen und Faolán seines Weges ziehen lassen können, doch sie tat es nicht. Stattdessen machte sie einen Schritt auf den Novizen zu und küsste ihn zärtlich auf den Mund. Es war nur eine leichte Berührung, doch Faolán strauchelte beinahe. Als der sanfte Kuss endete und ihre Lippen sich lösten, entzog sie sich ihm langsam, mit ihrem für sie so typischen Lächeln.

      Faoláns Gedanken überschlugen sich. Was war das gewesen? Was hatte sie gemacht und vor allem: Wie hatte sie es gemacht? Schnell handelte der Novize, bevor es zu spät und Svea entschwunden sein würde. Er griff nach ihrer Hand, zog sie an sich und küsste sie erneut – länger und intensiver als beim ersten Mal. Svea erwiderte den Kuss leidenschaftlich, und Faolán verspürte eine unsägliche Lust in sich aufsteigen, wie er sie noch nie verspürt hatte. Sie kam einem Feuer gleich, das sich blitzartig ausbreitete und unmöglich einzudämmen war.

      So innig dieser Kuss auch war, Svea löste sich seines Erachtens viel zu schnell von der Umarmung und trat einen Schritt zurück. Faolán versuchte sie erneut an sich zu ziehen, doch sie wich ihm geschickt aus. Mit erhobenem Zeigefinger sprach sie leise: „Die Hitze in uns ist gefährlich und droht eine Flamme zu entzünden, die hoch lodern könnte. Wir müssen aufpassen, dass wir uns daran nicht verbrennen, selbst wenn wir uns im Augenblick so sehr nacheinander sehnen …“

      Rückwärts schreitend entfernte sie sich von Faolán und behielt ihn liebevoll lächelnd im Auge, damit er ihr nicht folgte. Dann war sie im Grau des Gehölzes verschwunden. Faolán war wieder allein.

      Der Novize konnte sich an seinen Rückweg nicht mehr erinnern, doch plötzlich stand er vor dem Klosterwagen. Bruder Ivo schreckte verwirrt auf, als Faolán aus dem Unterholz auftauchte. Er hatte offensichtlich geschlafen.

      „Du warst lange fort“, begann er. Faolán antwortete jedoch nicht, sondern bestieg wortlos den Wagen. „Hast du gefunden, wonach du gesucht hast?“, hakte der Mönch nach.

      Faolán antwortete immer noch nicht. Stattdessen errötete er, als er an Svea und die Küsse dachte. Plötzlich lachte der Cellerar und griff nach dem Wasserschlauch, den sein Gehilfe noch immer festhielt. „Ich meinte die Quelle, mein Junge! Offensichtlich hast du sie gefunden, prall wie der Schlauch ist. Deiner Röte entnehme ich allerdings, dass es nicht nur die Quelle war, auf die du gestoßen bist.“

      Während der Cellerar einen vollen Zug aus dem Wasserschlauch nahm, versuchte Faolán sich zu erinnern, wann und wo er ihn aufgefüllt hatte, doch es gelang ihm nicht.

      Erneut riss ihn der Meister aus den Gedanken. „Es war nicht ganz anständig von mir, dich derart hinters Licht zu führen. Aber ich wollte dir zeigen, dass du dich nicht so schnell verunsichern lassen sollst. Eine derart belanglose Anspielung darf dein Geheimnis niemals so leichtfertig ans Tageslicht fördern. Deine Schamesröte verrät dich, du wirkst dadurch verdächtig …“

      Faolán war erleichtert, dass Bruder Ivo es dabei bewenden ließ. Der Mönch trieb das Pferd an und schwieg für den Rest der Fahrt, sodass der Novize etwas Ruhe zum Nachdenken hatte. Es gab so viele neue Fragen.

      Würden ihn auch andere so schnell durchschauen wie der Kellermeister?

      Und was war mit ihm und Svea am Weiher geschehen?

      Weshalb hatte er sie so leidenschaftlich geküsst?

      Warum hätte er dabei am liebsten Svea Brüste angefasst?

      Noch einmal rief sich Faolán die Berührungen und den Geschmack ihrer Lippen in Erinnerung. Es war ein wundervoller, bisher ungekannter Genuss gewesen, der Hunger nach mehr weckte.

      In zwei Wochen erst würde der nächste Markttag stattfinden. Diese Zeit kam Faolán wie eine Ewigkeit vor, denn er konnte es kaum erwarten, Svea wieder zu sehen …

      Anno 963 – Der Sündenfall

      Auf einen späten, kurzen Frühling folgte ein heißer Sommer. Es schien, als wolle das Jahr die Kälte des langen, harten Winters durch ein Übermaß an Hitze wieder ausgleichen. Zu Faoláns Freude brachte das gute Wetter regelmäßige