Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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Anblick der zahlreichen Krieger fragte sich Faolán, ob die Angst vor Überfällen überhaupt berechtigt war. Schließlich befanden sich die Plünderer in Form von Ruriks Schergen bereits innerhalb der eigenen Mauern!

      Entlang der Straße zwischen neuer Stadtmauer und altem Palisadenwall reihten sich wie im vergangenen Jahr die Zelte und Baracken. Von den Garküchen bis hin zu den Verschlägen der Huren, alles und alle waren wieder vertreten.

      Direkt vor dem Palisadentor drängten sich die Marktgänger und entrichteten mehr oder weniger mürrisch den Wegezoll. Die Bewaffneten waren sichtlich genervt wegen des plötzlichen Andrangs. Der Klosterwagen ließ schließlich das Tor hinter sich und quälte sich im Schritttempo durch die vollen Straßen der Stadt, bis hin zu der alten Stelle unter der Linde.

      Nachdem der Marktstand aufgebaut war, erschienen bald die ersten Kunden, die die Qualität der Waren prüften und um Preise feilschten. Doch sie waren zurückhaltend und nur selten kam es zu einem Handschlag. Zur Mittagsstunde sandte Bruder Ivo seinen Gehilfen aus, damit er nach den benötigten Gütern für das Kloster Ausschau hielt und die gegenwärtigen Preise in Erfahrung brachte.

      Faolán bekam dadurch endlich eine Gelegenheit, nach Svea Ausschau zu halten. Er rannte flink zwischen den Ständen umher, fand hier und da die vom Kloster benötigten Waren und prägte sich deren Tauschwert ein. Seine Suche nach Svea blieb allerdings erfolglos. So sehr er sich auch bemühte, ihren roten Schopf in der Menge zu entdecken, er konnte ihn einfach nicht finden. Entmutigt gab der Novize nach einiger Zeit auf und machte sich auf den Weg zurück zum Klosterstand.

      Inzwischen war es früher Nachmittag und recht ruhig geworden. Nur noch vereinzelt erschienen Kunden am Stand und Bruder Ivo rechnete nicht mehr mit einem großen Ansturm auf die restlichen Klostergüter. Deshalb machte er sich gleich auf, um den Handel bei den Ständen abzuschließen, die Faolán ihm nannte. Er überließ zum ersten Mal seinem Gehilfen den Stand und begab sich in das Gedränge.

      Nachdem Bruder Ivo gegangen war, positionierte sich Faolán selbstbewusst unter dem Vordach und versuchte die Augen nach allen Seiten offen zu halten. Nach einiger Zeit sah er zu seinem Schrecken zwei ihm wohlbekannte Markthüter auftauchen. Sein Herz begann schneller zu schlagen und er hoffte, die Kerle würden heute untätig vorüberziehen.

      Doch das war leider nicht der Fall!

      Die beiden hielten direkt auf den Klosterstand zu. Faoláns Anspannung wuchs, je näher Ruriks Männer kamen. Er versuchte zunächst so normal wie möglich zu wirken, doch das half nicht, sein Zittern zu verbergen.

      Faolán machte sich auf die übliche Konfrontation gefasst. Bisher hatte er sich dabei immer hinter Bruder Ivo verstecken können, doch jetzt war er allein. Der Cellerar mit seiner Leibesfülle und Erfahrung wusste den Kriegern selbstbewusst entgegenzutreten. Seinem Gehilfen hingegen stand kaum der Bartflaum im Gesicht. Faoláns Haltung straffte sich.

      In diesem Augenblick sah er hinter den beiden nahenden Männern für einen Wimpernschlag einen roten Haarschopf in der Menschenmenge auftauchen und gleich wieder verschwinden. Noch bevor er sich vergewissern konnte, ob es sich tatsächlich um Svea handelte, versperrten ihm die beiden Bewaffneten die Sicht.

      Der Anführer zeigte sich auch diesmal von seiner widerlichsten Seite: unrasiert und mit beschmutzter Gewandung, als habe er sich übergeben und vergessen, sich zu reinigen. Er schritt auf Faolán zu und setzte ein breites, fieses Grinsen auf.

      Faolán versuchte den abstoßenden Geruch der Männer zu ignorieren, der ihm schon entgegenschlug, obwohl sie noch einige Ellen entfernt waren. Fieberhaft überlegte er, was er tun sollte. Svea ging ihm nicht aus dem Kopf. War es tatsächlich ihr Haar gewesen, das er eben kurz gesehen hatte? Er musste es herausfinden, hatte jedoch keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Fragen überschlugen sich in seinem Kopf, als Faolán plötzlich eine wahnwitzige Idee kam. Er wusste nicht, ob sie funktionieren würde, doch er musste es darauf ankommen lassen.

      Als die beiden Männer den Stand erreicht hatten, kam Faolán ihnen zuvor: Er griff nach zwei gut aussehenden Rüben und bot sie den Recken an. Die hielten überrascht inne. Das Grinsen auf ihren Gesichtern wich einem fragenden Ausdruck, der von Begriffsstutzigkeit zeugte.

      Faolán nutzte seinen Vorteil und ergriff das Wort: „Ehrenvolle Krieger und Hüter des Marktfriedens, ich grüße Euch. Darf ich Euch als kleine Aufwartung diese köstlichen Rüben unseres Klosters anbieten? Sie haben in diesem harten Winter an Aroma gewonnen. Gegart sind sie ein wahrer Gaumenschmaus. Bitte, nehmt sie an.“

      Faolán drückte jedem der beiden Männer eine prächtige Wurzel in die Hand. Die Recken waren darauf nicht vorbereitet und der Schweigsame ließ das Gemüse beinahe fallen. Der Anführer versuchte, Herr der Lage zu werden, wusste jedoch nicht, wie er auf diese freiwillige Abgabe reagieren sollte.

      Faolán ließ ihm keine Zeit und sprach weiter: „Der Herr hat meine Gebete erhört und Euch zu mir geschickt. Ich befinde mich nämlich in einer misslichen Lage. Dringende Geschäfte erfordern meine kurzzeitige Abwesenheit. Daher ersuche ich Euch höflichst im Namen des Herrn, Eurer ehrenvollen Pflicht nachzukommen und diesen Marktstand für eine kurze Weile zu bewachen. Es soll Euer Schaden nicht sein und ich wäre Euch sehr zu Dank verpflichtet.“

      Kaum hatte Faolán die letzten Worte gesprochen, bedankte er sich mit einem Nicken bei den beiden Wachen, als hätten sie ihr Einverständnis gegeben. Dann lief er in die Richtung, in der er Svea gesehen hatte. Ein kurzer Blick zurück zeigte ihm, dass sich die beiden Bewaffneten nicht fortrührten. Verdutzt betrachteten sie die Rüben, als hielten sie eine solche zum ersten Mal in Händen. Faolán hoffte, die Krieger dermaßen überrumpelt zu haben, dass sie seiner Bitte tatsächlich nachkommen würden. Falls nicht, so wäre ihm großer Ärger mit Bruder Ivo und Abt Degenar gewiss. Doch dieses Risiko musste er eingehen.

      Sein Versuch, schnell durch den dichten Strom von Menschen zu gelangen, scheiterte kläglich. Obwohl Faolán sich wendig durch die kleinsten Lücken quetschte, sich an schmutzigen Gewändern und verdreckten Tieren vorbeizwängte, durch Jauchepfützen lief und über Essensreste und Exkremente hinweg sprang, fand er Svea nicht. Wäre er nicht ständig mit seiner weiten Habit irgendwo hängen geblieben, so wäre er vielleicht schneller vorangekommen.

      Der ein oder andere Rotschopf lief Faolán zwar über den Weg, doch es war nie das freche, aufgeweckte Mädchen, das er suchte. Nach einer Weile erkannte er seine aussichtslose Lage. Der Markt bestand aus zu vielen kleinen Gassen mit einer Vielzahl von Ständen, Karren und Wagen. Die Menschen drängten sich durch die verwinkelten Wege und Faolán war es unmöglich, sich einen Überblick zu verschaffen. Selbst sein verzweifelter Versuch, auf einem Karren stehend den Markt zu überblicken, brachte ihm lediglich Beschimpfungen des Besitzers ein. Svea war schlichtweg nicht auffindbar.

      Zunehmend bedrückten ihn die Gedanken an die angeworbenen Bewacher des Klosterstandes. Hoffentlich hatten sie die Waren nicht einfach im Stich gelassen! Hoffentlich war Bruder Ivo noch nicht zurückgekehrt! Faolán musste augenblicklich zum Klosterstand zurück.

      Erneut bahnte er sich einen Weg durch die Menschenmenge und wie schon zuvor ging es ihm nicht schnell genug. Als Faolán endlich freie Sicht auf den Klosterstand hatte, stellte er erleichtert fest, dass Bruder Ivo noch nicht zurückgekehrt war, und die beiden Markthüter noch immer vor dem Stand weilten. Sie hatten der Bitte des Novizen also Folge geleistet, schienen jedoch in einen Streit vertieft zu sein. Faolán musste schnell handeln.

      Die beiden Krieger bemerkten den Novizen erst, als er schon beinahe bei ihnen war. Mit festen Schritten kam er auf sie zu, verbeugte sich knapp und sprach sie höflich an: „Habt vielen Dank, ehrenvolle Krieger. Hoffentlich habe ich Euch nicht von wichtigen Pflichten abgehalten. Sicherlich werden die dankbaren Worte meines Abtes für Euer vorbildliches Pflichtbewusstsein bei Graf Rurik gerne gehört. Darf ich Euch als kleine Entschädigung noch etwas anbieten?“

      Erneut waren die beiden Männer überrumpelt, so dass sie nur verwirrt dreinschauten statt zu antworten. Die Erwähnung des Grafen trug das Seine dazu bei, dass Faolán die beiden gewissermaßen in der Hand hatte. Rasch griff er in zwei Kisten und drückte den Kriegern einen kleinen Laib Brot und ein Stück Ziegenkäse in die Hände.

      „Nehmt und teilt es