Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

Читать онлайн.



Скачать книгу

der Sinn stand.

      Aus diesem Grunde fand er sich eines Nachmittags mitten im Weiher wieder, wo Svea ihm das Schwimmen beizubringen versuchte. Das war ein großes Planschen und Rudern mit Armen und Beinen und Faolán fürchtete anfangs zu ertrinken. Svea hingegen war eine geduldige Lehrerin und mit jedem weiteren Treffen verbesserten sich Faoláns Schwimmkünste. Schon nach kurzer Zeit konnte er sich allein frei im Wasser bewegen, wenn es auch nicht elegant aussah. Ab diesem Zeitpunkt half Svea ihm allerdings nicht mehr, sich über Wasser zu halten und schon bald vermisste der Novize die zarten, lehrenden Berührungen ihrer Arme und Hände.

      Wenn Faolán nach einem solchen Treffen wieder zum Klosterwagen zurückkehrte, plagte ihn oft das schlechte Gewissen, etwas Verbotenes getan zu haben. Bruder Ivo hingegen ignorierte die nassen Haare seines Gehilfen und Faolán war erleichtert, dass er deshalb nicht nach Ausflüchten suchen musste. Der Cellerar erwies sich ohnehin als sehr tolerant. Weder fragte er, was Faolán im Wald trieb, noch drängte er ihn zu einer schnellen Rückkehr zum Wagen. Stets wartete der Mönch geduldig, bis sein Gehilfe wieder auftauchte. Er vertraute dem Novizen in seinem Handeln voll und ganz. Faolán kannte die Beweggründe für dieses Vertrauen nicht. Sie waren ihm auch egal, solange der Cellerar seine Haltung beibehielt.

      Der Sommer verging auf diese Weise schnell. Ein sonniger und warmer Herbst folgte, doch er hielt nicht so lange an, wie Faolán es sich erhoffte. Kurz nach der Erntezeit wurde es bereits so kalt, dass es im November tagsüber dauerhaft regnete und sich des Nachts Frost über das Land legte. Fahrten zum Markt wurden in Hoffnung auf besseres Wetter immer wieder verschoben. Am Ende blieb dieser letzte Markttag des Jahres jedoch ganz aus. Die Trennung von Svea erfolgte dadurch so plötzlich, dass Faolán es bedauerte, sich nicht richtig von ihr verabschiedet zu haben.

      Daher hoffte der Novize, dass der frühe Frost auch einen baldigen Frühling zur Folge hätte. Diese Hoffnung zerschlug sich allerdings, als nicht einmal im März Besserung eintrat. Inzwischen war es Ende April und es fiel noch immer Schnee vom Himmel, in dem es einen endlosen Vorrat davon zu geben schien. Faolán blieb nichts anderes übrig, als hinter der trüben Scheibe sitzend den Herrn zu bitten, den Schnee doch wenigstens in Wasser zu wandeln. Ein halbes Jahr war nun seit dem letzten Treffen mit Svea vergangen. Selbst wenn er sich anstrengte, hatte der Novize inzwischen Mühe, sich ihr Gesicht genau vorzustellen.

      In seiner Verzweiflung hatte er während des Winters dem Cellerar oft angeboten, die dringend notwendigen Besorgungen in Neustatt zu erledigen. Bruder Ivo hatte jedoch stets abgelehnt. Es sei zu gefährlich für einen jungen Novizen bei diesem Wetter allein durch den Wald zu ziehen, selbst zu Pferd. Nicht nur hungrige Raubtiere wären auf der Suche nach Beute, sondern auch die Geächteten, die im Wald hausten. In Faoláns Augen waren das nur schwache Ausreden, denn seine Sehnsucht nach Svea schien viel stärker zu sein als alle drohenden Gefahren zusammen. Allein die Ungewissheit, ob er Svea in Neustatt überhaupt antreffen würde, hielt ihn von dem Wagnis ab, das Kloster auf eigene Faust zu verlassen.

      Faolán träumte vor sich hin und starrte durch die milchige Scheibe. Als er sich seiner geistigen Abwesenheit bewusst wurde, senkte er sein Haupt, um in seinem Schriftstück weiter zu lesen. In diesem Augenblick bemerkte er Bruder Notger neben sich. Die plötzliche Nähe des Mönchs ließ Faolán zusammenzucken. Wie lange der Gelehrte dort schon gestanden haben mochte, wusste Faolán nicht. Er wusste nur, dass der Bibliothekar es nicht in guter Absicht tat. Seit der Freveltat des Novizen war der Mönch alles andere als gut auf ihn zu sprechen.

      Bruder Notger ergriff sogleich in übertrieben höflichem Tonfall das Wort: „Hat sich unser ehrwürdiger Novize Faolán wieder einmal dazu herabgelassen, eine Zeile zu studieren? Oder steht ihm der Sinn nach anderen Dingen? Scheinbar fliegen ihm die Worte der Schriften einfach so in den Kopf, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen. Ein wahres Wunderkind des Herrn, könnte man meinen.“

      Faolán vernahm das unterdrückte Prusten und Kichern der anderen Novizen. Er sah Drogos breites, triumphales Grinsen, einige Bänke weiter hinten. Offensichtlich hatte er den Mönch auf die geistige Abwesenheit des Novizen aufmerksam gemacht.

      Schnell suchte Faolán nach einer plausiblen Erklärung, um die unausweichliche Strafe zumindest etwas zu mildern. „Ich habe mir nur Gedanken über das Gelesene gemacht, ehrwürdiger Bruder.“

      „In der Tat?“, fragte der Bibliothekar zweifelnd. „Dann dürfte es dir ja keine Schwierigkeiten bereiten, mir den Inhalt des letzten Absatzes wiederzugeben. Deine eloquenten Überlegungen interessieren mich über alle Maßen.“

      Faolán konnte aber beim besten Willen nicht einmal den letzten Absatz rezitieren. Noch bevor er eine Antwort parat hatte, riss Bruder Notger ihm das Buch aus der Hand. Der Novize schwieg, was allemal besser war als sich auch noch in Lügen zu verstricken. Um seinen Zorn gegen Drogo und seine eigene Leichtfertigkeit zu verbergen, hielt er den Blick gesenkt und versuchte, einen möglichst demütigen Eindruck zu erwecken.

      „Dachte ich es mir doch“, triumphierte der Mönch vor allen Novizen, die ihre Schriften vergessen hatten und ihr Augenmerk nun einzig auf Faolán gerichtet hielten. „Mach dir keine Mühe, dich zu erklären. Das kannst du gleich vor Prior Walram tun. Entferne dich und suche ihn augenblicklich für eine Strafe auf!“

      Ohne ein weiteres Wort machte sich Faolán auf den Weg. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, schritt er über das noch unberührte Weiß des Klosterhofs durch den steten, dichten Schneefall, direkt zur Kammer des Priors, wo er mit schneebedeckten Schultern und Haupt eintraf. Im Gegensatz zum Lehrsaal des Skriptoriums war es in Walrams Gemach bei weitem nicht so kalt, denn der Prior machte oft von dem Privileg seines Amtes Gebrauch und ließ sich einen Feuertopf mit wärmender Glut aus dem Kochhaus bringen. Faolán beschlich ein mulmiges Gefühl als er darauf wartete, dass der Prior ihn ansprach. Er konnte sich noch gut daran erinnern, als ihn Bruder Notger nach dem Zwischenfall im Skriptorium hierher gebracht hatte. Seit jener Erfahrung mit Walram, die er beinahe mit dem Leben bezahlt hätte, wusste Faolán, dass der Prior mit Härte nicht sparte.

      Zunächst musterte der Mönch den Novizen geringschätzig von oben bis unten, während sich der Schnee von Faoláns Schuhen auf dem Boden zu kleinen Pfützen wandelte. Dann allerdings nahm das Gesicht des Priors einen vergnügten Ausdruck an. Er wusste, dass der Novize ihn nur auf Anweisung eines anderen Mönches aufsuchen würde und der Grund hierfür konnte nur ein Vergehen sein. Walrams Worte klangen heiter und verlogen zugleich: „Ich freue mich, dich hier zu sehen. Berichte mir sofort was vorgefallen ist, und zwar lückenlos! Wage es nicht, mich zu belügen oder etwas auszulassen. Ich werde es ja doch erfahren.“

      Das gehässige Grinsen auf dem frisch rasierten Gesicht des Mannes verriet dessen Vorfreude, Faolán noch einmal zu züchtigen. Walram wurde wie schon damals förmlich zum Wolf, der kurz davor war, seine Beute zu reißen. Um den Prior nicht weiter zu reizen, berichtete Faolán gehorsam was vorgefallen war und das schadenfreudige Lächeln des Priors wurde mit jedem Satz hämischer. Nach dem knappen Bericht schien das breite Grinsen des Mönches wie eingebrannt zu sein. Selbst als er zu sprechen ansetzte, blieben seine Mundwinkel nach oben verzerrt und das Gesicht glich einer diabolischen Fratze.

      Doch noch bevor der Prior ein Wort von sich geben konnte, öffnete sich die Tür und schlug krachend gegen die Wand. Erbost drehte sich Walram dem Störenfried zu, um ihn zurechtzuweisen. Als er jedoch sah, wer sich Zutritt verschaffte, blieben ihm die Worte im Halse stecken.

      Von wirbelnden Schneeflocken und kaltem Wind umgeben, betrat Bruder Ivo schwer atmend den Raum. Unter Walrams genervtem Blick schloss der Kellermeister die Tür und klopfte anschließend den Schnee von Haupt und Habit. Ivos Gesichtszüge entspannten sich, als er Faolán erblickte und Walrams Mundwinkel sanken zusehends nach unten.

      Verächtlich schaute er auf den Cellerar, als er ihn ansprach. „Was gibt es?“

      „Entschuldigt die Störung, ehrwürdiger Prior“, rechtfertigte sich Bruder Ivo in freundlichem Plauderton. „Ich komme auf direkte Anweisung des Abtes.“

      Argwöhnisch wanderte Walrams Blick zwischen Ivo und Faolán hin und her. Der Novize spürte regelrecht die Befürchtung des Priors, er könne seine Beute verlieren, bevor er ihr einen einzigen Stockhieb verabreicht hätte. Walram ahnte, dass der Cellerar einzig aus diesem Grund bei ihm