Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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will der Abt von mir? Weshalb kommt er nicht persönlich, wenn er mich zu sprechen wünscht?“

      „Es ist weniger Eure Person, von der er etwas wünscht. Vielmehr erwartet der Abt etwas von mir.“

      „Und was habe ich mit Euren Angelegenheiten zu schaffen?“

      „Der ehrwürdige Abt und ich sind der Meinung, dass trotz des schlechten Wetters der nächste Markttag zu Neustatt unbedingt genutzt werden muss. Wir benötigen dringend einige Güter, da wir sonst um unser tägliches Mahl fürchten müssen. Einige wichtige Vorräte sind während des Winters aufgebraucht worden.“

      „Soll ich Euch etwa auf den Mark begleiten, meinen Segen dazu geben oder was ist Euer Begehr? Kommt endlich zur Sache!“

      „Nicht Euch, sondern dem Novizen Faolán gilt mein Interesse. Ich benötige seine unverzichtbare Hilfe, um die Restbestände aufzunehmen und die Fahrt vorzubereiten, wie es seine Pflicht ist.“

      Prior Walram hatte es geahnt! Er entblößte seine Zähne wie ein knurrender Hund, seine Worte klangen giftig.

      „In diesem Falle, ehrwürdiger Kellermeister, bedaure ich sehr Euch mitteilen zu müssen, dass Euer Gehilfe nicht zur Verfügung steht. Er wurde soeben zu mir geschickt, um eine Strafe zu erhalten. Ihr wisst selbst, wie wichtig die Züchtigung aufsässiger Novizen ist. Nur so werden sie davor bewahrt, falsche Wege einzuschlagen.“

      „In gewissem Maße habt Ihr sicherlich Recht, ehrwürdiger Prior. Die Sättigung der Bruderschaft ist aber weitaus wichtiger als eine Züchtigung. Für den Marktgang benötige ich die Hilfe dieses Novizen und zwar sofort. Daher muss Euer Anliegen zurückstehen. Der Abt sieht das genauso. Solltet Ihr mir nicht glauben, so könnt Ihr ihn gerne aufsuchen und Eure Beschwerde vorbringen.“

      Mit einem verächtlichen Blick auf den Cellerar antwortete Walram: „Einige unserer Mitglieder könnten eine Fastenzeit gut vertragen. Doch wenn Euch der Marktgang so wichtig ist, so nehmt Euch doch einen anderen Handlanger!“

      Bruder Ivo ignorierte die Anspielung auf seine Körperfülle und blieb äußerlich ruhig. „Gerne würde ich Eurem Wunsch entsprechen, doch das ist gänzlich unmöglich. Außer mir kennt sich keiner so gut in den Lagerräumen aus wie Faolán. Ohne ihn ist es ausgeschlossen, den nächsten Marktgang, der bereits in wenigen Tagen stattfinden soll, vorzubereiten. Wie lautet also Eure Entscheidung? Muss ich Abt Degenar um eine zusätzliche Fastenzeit bitten, damit Ihr einen Novizen zurechtweisen könnt?“

      Walrams Unterkiefer mahlte unentwegt, während er nach einem weiteren Argument suchte. Die Unverhältnismäßigkeit seines Wunsches lag allerdings klar auf der Hand. Seine Gesichtszüge wurden eisern, als er begriff, dass er keine andere Wahl hatte, als nachzugeben. Dennoch weigerte er sich, den Novizen freizugeben.

      Bruder Ivo setzte noch einmal nach. „Wenn es Euch bei der Entscheidungsfindung hilft, ehrwürdiger Prior, so solltet Ihr unverzüglich den Abt konsultieren. Ich werde so lange hier mit dem Novizen warten, damit er kein weiteres Unheil anrichten kann, wie Ihr es mit Sicherheit befürchtet.“

      Der Unterkiefer des Priors mahlte weiter. Die Hände ballten sich zu Fäusten, als wolle er jemanden schlagen. Plötzlich brach es aus dem sonst so beherrschten önch zornig heraus: „Verschwindet! Und nehmt diesen respektlosen Novizen mit. Doch die Strafe für seine heutige Tat ist nicht vergessen! Sie ist lediglich aufgeschoben! Er hat sich unverzüglich wieder bei mir einzufinden, sobald seine Aufgaben erledigt sind! Dafür tragt Ihr allein die Verantwortung, Cellerar!“

      „Selbstverständlich. Habt Dank für Euer Verständnis, ehrwürdiger Prior.“

      Bruder Ivo gab dem Novizen ein Zeichen zu folgen und verließ daraufhin die Kammer des Priors. Faolán konnte es kaum fassen, dass er vorerst seiner Strafe entgangen war. Mit einem verborgenen Lächeln umrundete er den Prior schnell und eilte dem Cellerar nach. Es erschien ihm wie ein Gang in die Freiheit.

      Mittlerweile hatte es aufgehört zu schneien, und zwischen den Wolken zeigte sich vereinzelt der blaue Himmel. Hin und wieder blitzte die Sonne durch die Lücken und ließ das winterliche Weiß derart grell aufscheinen, dass Faolán die Augen zukneifen musste und dem Cellerar blind nacheilte. Mit ein paar schnellen Schritten hatte er Bruder Ivo eingeholt. Sein genuscheltes „Danke“ lenkte die Aufmerksamkeit des Cellerars auf seinen Gehilfen.

      „Oh, danke nicht mir, sondern dem Wetterumschwung. Der Frühling kommt jetzt, ich spüre es in meinen alten Knochen. Freue dich nicht zu früh, denn es bedeutet eine Menge Arbeit.“

      „Dessen bin ich mir bewusst. Zudem bleibt die Bestrafung bestehen“, stellte Faolán nüchtern fest. Doch in seinen Worten klang auch etwas Hoffnung. Hoffnung, der Kellermeister könne mehr für Faolán erreichen als lediglich einen Aufschub der Bestrafung.

      „Richtig“, bestätigte Bruder Ivo Faoláns Feststellung in gleichgültigem Tonfall. „Und ich werde genau das tun, was der Prior von mir verlangt hat: Dich unverzüglich zu ihm zurückschicken, sobald deine Aufgaben erledigt sind …“

      Mutlos ließ Faolán den Kopf hängen, wodurch ihm das verschmitzte Lächeln des Kellermeisters entging.

      „… es ist nur fraglich, ob deine Aufgaben jemals erledigt sein werden. Ich denke, das wird nicht so bald sein. Schließlich sind sie zahlreich und ich bin ein Cellerar, der nicht leicht zufrieden zu stellen ist …“

      Schlagartig begriff Faolán, was Bruder Ivo mit seinen Worten andeutete. Mit einem Mal hob sich seine Stimmung und dankbar folgte er dem Mönch in die Lagerräume, um seinen endlosen Aufgaben gerecht zu werden.

      * * *

      Die folgenden Tage eilten an Faolán vorüber, gefüllt mit den Vorbereitungen des ersten Marktgangs im neuen Jahr. Der Cellerar hatte nicht übertrieben: Es bedeutete tatsächlich harte Arbeit. Die Bestände des Klosters mussten in jeder Hinsicht überprüft werden. Es wurde jetzt nicht nur fassweise gezählt, sondern stückweise kontrolliert und aussortiert, selbst bei den kleinsten Nüssen. Nur so ließ sich verhindern, dass verdorbenes Obst oder Gemüse die Fäulnis verbreiten würde.

      Faolán scheute die Mühe nicht. Er war sogar froh, auf diese Weise Drogo und dem Prior aus dem Weg gehen zu können. Außerdem lenkte es seine Gedanken um Svea etwas ab.

      Tag um Tag stieg die Temperatur an und der Schnee war bereits nach wenigen Tagen geschmolzen. Schon nach kurzer Zeit waren weite Bereiche des schlammigen Klosterhofes und der unbefestigten Wege wieder abgetrocknet, denn die Sonne schien unaufhörlich und ein steter, warmer Wind wehte. Gerüche und Düfte, wie sie nur der Frühling hervorbringen konnte, stiegen Faolán in die Nase. Der Novize befand sich schon seit Tagen in bester Laune und freute sich auf das bevorstehende Ereignis.

      Endlich war es soweit. Obwohl Faolán im vergangenen Jahr schon oft die Vorbereitungen für die Fahrt nach Neustatt getroffen hatte, war er aufgeregter als beim ersten Mal. Nach dem Beladen erschienen der Kellermeister und der Abt auf dem Hof, der Segen wurde ausgesprochen und die holprige Fahrt begann.

      Die Bäume des Waldes waren noch kahl. Vereinzelt ließen aber die aufgehenden Knospen schon ein zartes Grün durchschimmern. An den Nordhängen lagen zwischen den Baumstämmen nur noch wenige Schneefelder. Auf seinem Weg fuhr der Klosterwagen an Bauern mit Handkarren und Rückentragen vorbei und einige fahrende Händler befanden sich mit ihren Packtieren ebenfalls auf dem Weg zum Markt.

      Offensichtlich hatten nicht nur die Benediktiner auf besseres Wetter gewartet. Es versprach ein dichtes Gedränge auf dem Markt zu werden. Nach einer scheinbar endlosen Fahrt sah Faolán schließlich die lang ersehnten Dächer der Stadt in der Ferne auftauchen.

      Die Einfahrt war wieder ein Spektakel für sich und Faolán genoss die herrschende Umtriebigkeit. Zuerst durchfuhren sie die neue Wehranlage, an der während der Wintermonate nicht gearbeitet worden war. Inzwischen hatten die Maurer begonnen, den Mist auf der Mauerkrone zu entfernen, der zum Schutz gegen den Frost aufgebracht worden war. Vereinzelt entfernten sie lose Steine aus dem oberen Teil des Bauwerks, um sie später mit frischem Mörtel neu einzusetzen.

      Dieses Jahr sollte ein weiterer, großer Teil der Wehranlage fertiggestellt werden, damit sich im darauffolgenden