Название | Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle |
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Автор произведения | Holger Weinbach |
Жанр | Историческая литература |
Серия | Die Eiswolf-Saga |
Издательство | Историческая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862827718 |
Entsetzen zeichnete sich in Ivos Gesicht ab, als er die Tragweite der Überlegung begriff. „Meinst du, wir beherbergen die leibhaftige Kainssünde in unserer Abtei?“
Degenar nickte und sprach weiter. „Umso heikler ist unsere Lage. Bruder Eberhardts Erzählung hat mir vor allem eines klar gemacht: Faolán ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der rechtmäßige Erbe der Grafschaft. Rogar gilt noch immer als verschollen, und Rurik sucht ihn mit allen Mitteln. Ich bezweifle stark, dass er ihm die Grafschaft nach der Schwertleite übergeben würde, sollte er ihn finden. Daher ist es jetzt wichtig, dass uns kein Fehler unterläuft!“
Ivos fragender Blick ließ Degenar fortfahren: „Wir müssen sicherstellen, dass Faolán auf keinen Fall am Mahl teilnimmt. Am besten wäre es, wenn wir ihn bis nach der Abreise unserer Gäste in einer Kammer verwahren.“
Der Cellerar wurde zusehends unruhiger. „Gütiger Herr, steh uns bei. Ich gehe besser sofort, wenn ich Faolán noch abfangen will. Er ist wahrscheinlich schon auf dem Weg hierher.“ Sogleich machte der Cellerar kehrt und eilte in Richtung Noviziat davon. Degenar war angespannt. Hoffentlich konnte Ivo den Jungen rechtzeitig aufhalten.
Kurz darauf erschienen die hohen Gäste, zu deren Ehren das außergewöhnliche Mahl heute gegeben wurde. Allen voran schritt Rurik. Beinahe gleichauf folgte seine Gemahlin, und hinter ihnen, mal rechts oder links ausscherend, lief Drogo einher, ohne Disziplin oder Respekt. Degenars Stirn zog sich in Missfallen zusammen. Schnell rügte sich der Abt im Stillen, rang um mehr Toleranz und Nachsicht gegenüber seinen Gästen und ignorierte schließlich die Ungezogenheit des Knaben. Er würde Jahre haben, um dieses Kind zu disziplinieren.
Im Anschluss an die Adelsfamilie folgten einige der vertrautesten Krieger und engsten Berater. Der Rest des Gefolges wurde im Gästehaus verköstigt. Degenar war nach wie vor angespannt, als die kleine Gruppe vor ihm zum Stehen kam. Noch immer hoffte er auf Ivos Rückkehr mit einer guten Nachricht über Faoláns Verbleib. Der Abt schluckte nervös und fand ein paar einfache Worte, um die Wartenden zum Mahl einzuladen. Rurik nahm die Einladung ebenso förmlich wie herzlos an. Er nahm sich sogar das Recht heraus, das Refektorium noch vor dem Abt zu betreten.
Degenar ließ ihn gewähren. Der Vortritt hatte keine Bedeutung für ihn, und deshalb ließ er sogar das gesamte Gefolge vor ihm einziehen. Gerade als der letzte Bewaffnete den Speisesaal betreten hatte und Degenar sich hinter ihm einreihen wollte, kam Ivo um die Ecke gelaufen. Schwer atmend nickte der seinem Freund kurz zu und bekundete damit, dass alles zum Besten erledigt war.
Erleichtert betrat Degenar nun mit dem Cellerar das Refektorium. Der Saal bot einen ungewohnten Anblick. Statt einer langen Tafel, an der üblicherweise alle Brüder des Klosters gleichermaßen Platz nahmen und einem kleinen Tisch, an dem der Abt mit wechselnden Brüdern saß, waren heute zwei nahezu gleichgroße Tafeln aufgebaut worden.
Der Abt nahm den für ihn bestimmten Platz an der Mitte der vorderen Tafel ein, genau gegenüber von Rurik. Das war Degenar nicht gewohnt und er verspürte einen Anflug von Unsicherheit.
Mit einem aufgesetzten Lächeln versuchte er, Gelassenheit auszustrahlen und hoffte, dass es nicht allzu gezwungen aussehen mochte. Insgeheim sehnte er schon das Ende des Mahls herbei, bedeutete es doch auch das Ende seiner Verpflichtungen gegenüber den Gästen.
Nachdem alle ihre Plätze eingenommen hatten, wurden Speisen und Trank von mehreren Mönchen aufgetragen. Statt stark gewässerten Weines gab es heute puren Rebensaft. Auch das Essen war üppiger als sonst. Als Hauptgang wurde zu Ehren der Gäste ein frisch geschlachtetes und seit Stunden bratendes Schwein serviert. Die Mehrzahl der Brüder war über die außergewöhnliche Fülle sichtlich erfreut und sie konnten es nur schwer vor ihrem Abt verbergen. Degenar ließ sie gewähren, waren Fleischspeisen doch ohnehin selten. Er selbst aß lustlos und beteiligte sich lediglich mit kargen Höflichkeiten und Floskeln an den Tischgesprächen.
Dafür beobachtete Degenar aufmerksam, aber unauffällig sein Umfeld. Immer wieder blieb sein Blick auf der massigen Frau am unteren Ende der Tafel haften. Hätte sie ein Messer in der Hand gehabt und kurzes Haar getragen, hätte sie sich mühelos als Mann ausgeben können. Sie benahm sich zwar standesgemäß, jedoch fehlte ihren Bewegungen jegliche Grazie. Ihr Kleid wirkte merkwürdig fehl an ihrem fülligen Körper. Ihre Haltung war alles andere als erhaben, wie man es von einer Dame ihres Standes erwartete. Selbst die Art und Weise, wie sie den Löffel zum Munde führte, erinnerte mehr an einen Bauern als an eine Adelsfrau.
Trotz ihrer fehlenden Eleganz ließ Wulfhild keinen Zweifel daran aufkommen, welche Position sie innehatte. Obwohl nur am Tischende platziert, strahlte sie eine Präsenz aus, die auf besondere Weise den Saal für sich einnahm, trotz der Anwesenheit ihres Mannes.
Als Degenar das erkannte, zollte er Rurik einen gewissen Respekt. Einer derart dominanten Frau täglich gewachsen zu sein, war sicherlich keine leichte Aufgabe. So mancher Mann wäre schon längst an ihr zerbrochen. Diese Erkenntnis brachte ein leichtes Schmunzeln auf Degenars Lippen und es schien, als wolle sich doch noch ein Hauch guter Laune in seinem Herzen ausbreiten.
Just in diesem Augenblick sprach ihn Wulfhild an: „Erheitert Euch die Aussicht, meinen Sohn in Eure Verantwortung zu nehmen – ehrwürdiger Abt? Ich hoffe nicht!“
Die Gespräche der Gefolgschaft verstummten schlagartig und alle Augen richteten sich auf Degenar. Der Abt war sichtlich überrascht, antwortete Wulfhild jedoch nach kurzem Zögern höflich: „Verzeiht mir, Verehrteste, dies ist keineswegs der Fall. Mein Lächeln wurde durch einen fröhlichen, plötzlich auftauchenden anderen Gedanken hervorgerufen, und ich kann Euch versichern, dass er nicht im Zusammenhang mit Eurem Sohn stand.“
„Gut für Euch! Denn solltet Ihr die Euch gestellte Aufgabe nicht mit aller Ernsthaftigkeit annehmen, würde ich mich gezwungen sehen, unsere Übereinkunft wieder rückgängig zu machen. Ich kann mir vorstellen, dass dies nicht in Eurem Interesse wäre, auch wenn Ihr Euch bevorzugt enthaltsam gebt.“
Degenars Blick richtete sich auf den schweigenden Rurik. Lediglich das Verharren seines Löffels auf dem Weg zum Mund ließ erkennen, dass Wulfhild kurz davor stand, ihre Grenzen zu überschreiten. Dass sie am gleichen Tisch saß wie er, war schon ein Privileg. Dass sie aber darüber hinaus in dieser Weise das Wort ergriff, war eine Unverfrorenheit. Doch statt seiner Gemahlin Einhalt zu gebieten, ließ Rurik sie zunächst gewähren.
Schnell erkannte Degenar den Grund, weshalb Wulfhild ihn angesprochen hatte. Es ging nicht um ihn und seine Ansichten, sondern um das ständige eheliche Kräftemessen, in das er hineingezogen wurde. Seine Erwiderung fiel entsprechend geschickt aus.
„Da es Euch sehr am Herzen zu liegen scheint, kann ich Euch nur versichern, dass es der Bruderschaft an Ernsthaftigkeit in keiner Weise mangelt. Ich persönlich bin der Auffassung, dass jeder Mensch seinen vom Herrn gestellten Lebensaufgaben mit absoluter Ehrfurcht entgegentreten muss. Dies gilt auch für die schwersten Prüfungen. Erst dann, wenn der Mensch an seine Grenzen gelangt und ihm nur noch das Vertrauen in den Herrn bleibt, wird Gott sich ihm offenbaren. Und mit Gottes Hilfe kann jede Aufgabe gemeistert werden. Doch um seiner Aufgabe gewachsen zu sein, gibt es neben dem Gottvertrauen noch eine weitere, wichtige Voraussetzung.“
Degenar legte eine Pause ein, um zu sehen, ob Wulfhild ihm folgen konnte. Doch ihre Geduld war von kurzer Dauer. Leicht genervt fragte sie schließlich nach: „Und welche Voraussetzung sollte das Eurer Ansicht nach sein?“
„Dass die Aufgabe klar gestellt ist. Denn ein Unwissender wird das Wesentliche einer Aufgabe niemals als solches erkennen und schon gar nicht meistern können. Ebenso verhält es sich mit einem Novizen. Wir können ihn viel lehren, doch eines können wir dem Kinde niemals geben: Die Erkenntnis, weshalb er unter uns weilt.“
„Ihr verkennt die Lage, ehrwürdiger Abt. Hier geht es nicht um Erkenntnis!“
Die Worte kamen schnell und hart aus Wulfhilds Mund, als fühle sie sich bedrängt. Degenar hatte diese Aussage erwartet und ging darauf ein: „Möglicherweise