Die Eiswolf-Saga. Teil 1-3: Brudermord / Irrwege / Wolfsbrüder. Drei historische Romane in einem Bundle. Holger Weinbach

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mit einem weltlichen Herrn auf diese Weise zu messen. Dennoch weigerte sich der Abt gerade jetzt als erster den Blick zu lösen. Rurik hatte es begonnen, also sollte er es auch zu Ende führen.

      Ruriks Männer warteten angespannt im Kirchenschiff. Je länger das Ringen zwischen Degenar und dem Sachwalter andauerte, desto nervöser wurden die Recken. Der Abt genoss die Unsicherheit der Männer, die wie Hühner unruhig mit den Füßen scharrten.

      Nach einiger Zeit schritt Rurik zur Tat. Leise vor sich hinfluchend, machte er unerwartet kehrt, um die Kirche zu verlassen. Seine Getreuen folgten ihm unaufgefordert, wenn auch mit fragenden Blicken.

      Das war Degenars Gelegenheit! Er griff nach seinem Stab und stieß ihn drei Mal fest auf den Steinboden des Chors. Die Schläge donnerten und hallten lautstark von den Mauern wider. Nicht nur die Köpfe der Mönche hoben sich unversehens, sondern Degenar erhielt auch die Aufmerksamkeit der im Abzug begriffenen Recken. Sie hielten inne, als habe man ihnen den Befehl erteilt, augenblicklich zu erstarren. Einzig Rurik schritt völlig unbeeindruckt weiter.

      „Wer wagt es, im Hause und im Angesicht des Herrn auf gotteslästerliche Art zu fluchen und dem Kreuze Christi respektlos den Rücken zu kehren?“

      Die zornigen Worte des Abtes galten Rurik und sie brachten ihn tatsächlich zum Stehen. Er verharrte und überlegte kurz, wandte sich schließlich um und ging den Weg zum Presbyterium zurück. Degenar kam ihm sogar ein paar Schritte entgegen, den Stab fest in beiden Händen wie zum Schutz vor seinen Körper haltend.

      Rurik baute sich groß vor Degenar auf, wirkte aber trotzdem kleiner als der Abt auf dem leicht erhöhten Podest des Chors. Mit fester und selbstsicherer Stimme antwortete der Krieger: „Ich, Rurik, Sachwalter der Grafschaft und Sprecher über Recht und Ordnung in diesen Ländereien. Ich wage es!“

      „Nicht innerhalb dieser Mauern“, wies Degenar ihn sofort zurecht. „Hier seid Ihr nicht der Sprecher über Recht und Ordnung. Dies obliegt einzig dem Herrn, dem wir dienen! Zu Eurem Bedauern muss ich Euch mitteilen, dass Ihr dieser Herr nicht seid. In unserem Kloster seid Ihr als Gast willkommen und als solcher solltet Ihr Euch auch zu benehmen wissen.“

      Rurik ließ sich durch die Zurechtweisung nicht einschüchtern. „Ich bin keiner der namenlosen und zahllosen Gäste, denen Ihr schon Obdach und Speisen gewährt habt. Ihr solltet inzwischen wissen, welche Position ich innehabe. Dies ist das Kloster meiner Familie und es befindet sich auf dem Gebiet der Grafschaft. Ich komme nicht als Bittsteller!“

      „Ist dem tatsächlich so?“ Degenar blieb äußerlich gelassen, auch wenn er seinen rasenden Herzschlag im Halse spürte. „Und doch steht Ihr hier und wartet, gerade wie ein solcher.“

      „Ich warte nicht …“

      „Fürwahr nicht“, unterbrach ihn Degenar rasch. Mutig machte er noch einen Schritt auf den Krieger zu und seine Stimme klang eisig und trocken, als er fortfuhr: „Vielmehr betretet Ihr das Haus Gottes, als wolltet Ihr einer Hure beiliegen. Verächtlich und wild, mit ein paar Silbermünzen in Eurer Geldkatze.

      Statt Respekt zu zollen und Ehrfurcht zu zeigen, besudelt Ihr diese heilige Stätte mit schändlichem Maul, einem Ochsentreiber gleich. Und das als ein Mann, der für alle Menschen in der Grafschaft ein Vorbild sein sollte und zudem wissen müsste, wie er sich in einem Gotteshaus zu benehmen hat. Was steht Ihr noch da? Kniet endlich nieder und bittet den Herrn um Vergebung!“

      Degenar war trotz der deutlichen Worte äußerlich ruhig geblieben. Innerlich jedoch schlug sein Herz vor Aufregung immer schneller. Er vernahm eine leise, innere Stimme, die ihn davor warnte, nicht zu weit zu gehen. Immerhin war die Abtei als Eigenkloster des Grafen von den irdischen Mächten abhängig.

      Rurik bewegte sich nicht. Er stand herausfordernd vor dem Presbyterium, als wolle er ein erneutes Kräftemessen beginnen. Degenar wagte sich deshalb noch weiter vor, seine innere Warnung ignorierend. Flüsternd, dass seine Worte einzig von Rurik gehört wurden, sprach er weiter: „Auf die Knie! Oder legt Ihr es etwa darauf an, die Strafe und den Groll des Herrn auf Euch zu ziehen, vor all Euren Männern?“

      Zornesröte färbte Ruriks Gesicht dunkel. Degenar erwartete, dass er jeden Moment einen Wutausbruch erleben würde. Einige Augenblicke tat sich nichts, dann rührte sich der Gotteslästerer schließlich. Doch statt auf die Knie zu sinken, befahl er seine Männer allesamt hinaus. Erst als der letzte von ihnen das Portal hinter sich geschlossen hatte, widmete Rurik sich wieder dem Abt.

      In diesem Augenblick schien es, als gäbe es nur die beiden Männer in der Kirche. Die Mönche in ihrer dunklen Gewandung schienen gänzlich mit dem dunklen Chorgestühl zu einem bewegungslosen Relief verschmolzen zu sein.

      Rurik kam zwei Schritte auf den Abt zu. Demonstrativ legte der Krieger seine Hand auf den Schwertknauf. Er war sich seines Rechts durchaus bewusst, als Adeliger eine Waffe in der Kirche tragen zu dürfen. Degenar hoffte, dass man ihm seine aufkeimende Angst nicht ansehen konnte.

      Ruriks gesenkte Stimme polterte los wie das ferne Donnern eines Steinschlages im Gebirge. „Dass Ihr nur nicht zu viel wagt, Mönch.“

      „Ehrwürdiger Abt!“, korrigierte Degenar ihn sofort.

      „Wie meint Ihr?“

      „Ehrwürdiger Abt heißt es. Oder hat man vergessen, Euch als Knabe die Anreden der Gottesdiener beizubringen?“

      Ruriks rotes Gesicht wurde noch dunkler. Seine Worte stießen hart zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Dass Ihr nur nicht zu viel wagt, ehrwürdiger Abt!“

      Degenar wusste, dass er eine Grenze überschritten hatte. Doch er konnte nicht mehr umkehren. „Sorgt Euch nicht um mich, sorgt Euch lieber um Euch und Euer Seelenheil! Kniet nieder und bittet um Vergebung!“

      Widerwillig kniete der Krieger nieder. Er war es offensichtlich nicht gewohnt, sich vor einem anderen Menschen zu beugen. In demütiger Haltung sprach er den von Degenar vorgegebenen Wortlaut nach und seine Stimme war klar und deutlich im gesamten Chor zu vernehmen.

      „Vergebt mir, allmächtiger Herr. Vergebt mir, ehrwürdiger Abt“, lauteten Ruriks letzte Worte und es war nicht zu überhören, dass er Degenars Betitelung mit einem gewissen Spott über die Lippen brachte. Dennoch lösten die Worte in Degenar eine große Erleichterung aus. Er überwand den letzten Schritt zu Rurik und hielt die Hand über dessen Haupt, wobei er hoffte, sie möge nicht zu sehr zittern.

      Um die Situation nicht noch weiter eskalieren zu lassen, lenkte Degenar ein. Die auferlegte Buße fiel gering aus im Vergleich zu dem, was er einem Mitbruder auferlegt hätte. Zudem glaubte der Abt ohnehin nicht, dass Rurik diese Strafe ernst nehmen würde. Degenar war das gleich, denn es genügte ihm vollkommen, aus diesem Ringen als Sieger hervorgegangen zu sein.

      Nach gezeigter Reue erhob sich Rurik wieder, strafte den vor ihm stehenden Abt mit einem finsteren Blick und verließ das Gotteshaus, ohne eine weitere Silbe zu verlieren. Mit ein paar zeremoniellen Worten entließ Degenar seine Mitbrüder aus ihrer andächtigen Starre, die das Presbyterium über eine Nebentür in den Kreuzgang schweigend verließen. Nur der Abt und der Cellerar blieben zurück. Ivo trat an Degenar heran und riss seinen Freund mit einem Raunen aus seinen Gedanken. „Verrate mir nur eines: Welcher Teufel hat dich zu diesem irrsinnigen Wagnis getrieben?“

      „Um ehrlich zu sein: Ich weiß es selbst nicht!“ Degenar schien, als würde er aus einem Traum erwachen und blickte Ivo ruhig an. „Doch eines weiß ich ganz gewiss. Wenn Rurik glaubt, in diesen Mauern in gleicher Weise auftreten zu können, wie vor seinen dreckverschmierten Männern in seinem eigenen Verschlag, dann hat er sich mächtig getäuscht.“

      „Nun, der Verschlag ist eine gewaltige Burg aus massivem Fels und Stein, mit festen Mauern und hohen Türmen“, gab Ivo zu bedenken. „Und seine Männer mögen vielleicht dreckverschmiert sein, sind aber dennoch kampferprobte Krieger, die schon manche Schlacht geschlagen haben. Rurik ist Sachwalter der Grafschaft und somit untersteht ihm auch unser Kloster. Wir müssen vorsichtig sein, er ist ein gefährlicher, unberechenbarer Mann!“

      „Das ist mir klar, Ivo. Und leider stimmt es, dass er als Sachwalter diese Privilegien genießt. Wir werden einige seiner Wünsche