Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek. Peter Schrenk

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Название Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek
Автор произведения Peter Schrenk
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783745212532



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im Gästehaus der VP, riecht es nach alten Leuten und Bohnerwachs. Benedict muss sich eben daran gewöhnen. An manches andere wohl auch. Telefon ist nämlich nicht. Zumindest nicht in dem spartanisch eingerichteten Zimmer. Aber es gibt eine kleine Küche, und so beschließt er, nachdem Meißner sich verabschiedet hat, ein paar Einkäufe zu tätigen.

      Dann ist aber die Verlockung doch zu groß. Magisch zieht sie ihn an, die ocker-rotbraune Wagenschlange. Er steigt an der Karl-Maron-Straße für ein ungewöhnlich geringes Entgelt in einen der eckig altertümlichen Waggons. Und fährt. Und fährt. Marzahn, Bruno-Leuschner-Straße, Otto-Winzer-Straße, Ahrensfelde und zurück und weiter. Springpfuhl, Friedrichsfelde-Ost, Bahnhof Lichtenberg und Ostkreuz und nochmal und nochmal. Wie ein Süchtiger gibt er sich seiner Begierde hin. Wie hat er sie vermisst. Da, wo er herkam, gaben sie den von E-oder Diesel-Loks gezogenen Transportkapazitäten den Namen S-Bahn. Benedict hatte das immer schon als Hochstapelei empfunden. Jetzt endlich sitzt er wieder im Original.

      Spät abends dann, in dem ungewohnten Bett, rattert er noch immer über Weichen, schrillt das Abfahrtklingeln in seinen Ohren, hallt es hohl in seinem Kopf: „Zuurück bleiben!“. Kurz bevor endlich der Schlaf kommt, besteigt ein Fahrkartenkontrolleur den fast leeren, dahin rüttelnden Wagen. Als Benedict ihm seinen in Ost-Berlin gelösten Fahrschein vorzeigt, schüttelt er den Kopf. So als wollte er sagen: „Aber Sie sind doch aus dem Westen, wie können Sie denn da mit einem Fahrschein aus dem Osten fahren!“ Dabei richtet sich der Blick des Kontrolleurs mit bohrendem Misstrauen auf Benedict. Diese Augen gehören zu keinem Reichsbahner. Sie gehören zu einem Gesicht, dem er heute so unverhofft im Präsidium begegnet war. Im Vorzimmer des Leiters der K. Diese misstrauischen Augen gehören zum Gesicht des LKA-Mannes Beyer aus Berlin, in Klammern West.

      Warum der mich bloß so misstrauisch anglotzt? Kann dem doch wirklich egal sein, wo ich schlafe. Ob in West-Berlin oder in der Hauptstadt der ...

      3

      „Na, du alter Kriegsgewinnler!“

      Wie gerädert fühlt sich Benedict heute, an seinem ersten Arbeitstag im Präsidium der Volkspolizei. Auch in Düsseldorf ist frühes Aufstehen nicht seine Sache. Außerdem interessieren ihn diese Toten in der DDR nicht besonders. Ein kubanischer Gastarbeiter - Vertragsarbeiter werden sie hier genannt - ist in einem Arbeiterwohnheim in Lichtenberg mit einer Machete erstochen worden. Vernehmung des Täters in der U-Haft und so weiter. Warum wohl hat der Engel vorhin den Meißner als „Kriegsgewinnler“ angeredet? Wie hat er das gemeint? Jedenfalls hat der stockfischige MUK-Leiter innerlich ganz schön geschäumt. Sollte er den Engel nachher mal anzapfen? Scheint sowieso der einzig Lockere in diesem Laden zu sein.

      „Herr Benedict?“

      Da muss irgend etwas an ihm vorbeigegangen sein.

      „Noch nicht so ganz frisch, was?“ Der K-Leiter macht trotz der frühen Stunde einen gesünderen Eindruck als gestern bei der Begrüßung. Vielleicht liegt das aber einfach daran, dass der Kriminalrat Strötker aus Bonn auch nicht zu den Frühaufstehern zu zählen scheint.

      „Also, der Hauptkommissar Meißner hat für Sie unten einen Schreibtisch bereitgestellt, an dem Sie arbeiten können. Wenn Sie telefonieren müssen, innerhalb Berlins, also ... hm ..., unseres Berlins, ist das problemlos. Für Gespräche in die Republik müssen Sie über die Vermittlung gehen, das ist die Neun. Und, ja, wenn Sie mit anderen VP-Dienststellen sprechen müssen, können Sie über das Polizeisondernetz gehen. Zeig dem Kollegen das, Herbert. Und jetzt noch was ... also, da muss jetzt wirklich nicht die ganze MUK dabei sein ...“

      Hauptkommissar Meißner scheucht seine Leute mit einem kurzen Blick aus dem Zimmer des K-Leiters, und erst nachdem die Tür hinter ihnen zu ist, fährt Hennicks fort.

      „Wir haben Ihnen hier alles uns zur Verfügung stehende Material über den Fuchs zusammengestellt. Sie lesen sich das wohl besser durch, bevor Sie Genosse ... äh, der Hauptkommissar Meißner rüber in die Normannenstraße bringt.“

      „Zur Normannenstraße? Das ist doch ...“

      „Genau das. Aber darüber wird Ihnen Meißner gleich noch mehr sagen.“

      Unten in der MUK sieht Benedict, dass er es ganz gut getroffen hat. Er befindet sich mit seinem Schreibtisch in der Gesellschaft des Oberleutnants Engel, und das verbessert seine Stimmung doch erheblich. Während Meißner mit einem mürrischen. „kommen Sie dann gleich mal zu mir rein“; in seinem Dienstzimmer verschwindet, feixt Engel über das ganze Gesicht.

      „Na, vergattert worden? Habe Ihnen ’n paar Sachen hingelegt. Was man so als DDR-Gastkrimi-naler braucht.“

      Auch Benedict muss grinsen. Neben einem Notizblock mit der Aufschrift VEB VERPACKUNGSMITTELWERKE BERLIN liegt die Dienstagsausgabe des NEUEN DEUTSCHLAND. Kopfschüttelnd nimmt er eines der zwei bereitliegenden Bücher in die Hand. Es ist rot und trägt den Titel HANDBUCH DES KRIMINALISTEN. Als er den zweiten Titel liest, weiß er nicht, was er davon halten soll. WÖRTERBUCH SOZIALISTISCHER KRIMINALISTIK.

      „Schenke ich Ihnen aus meinen Beständen. Da, wo ich hingehe, brauche ich das nicht mehr!“ Bevor Vitus H. Benedict aber weiter fragen kann, erscheint Meißners Kopf in der Tür. Seinem drängenden „Bitte, Herr Benedict!“, kann er sich nicht verweigern.

      „Haben Sie schon mal rein gesehen?“

      „Oh, nein.“ Er hält den dünnen Hefter noch immer in der Hand.

      „Na ja, vielleicht lesen Sie das dann auch gleich im Archiv. Müssen sowieso los. Sage Ihnen auf dem Weg nach Lichtenberg, was Fakt ist!“

      *

      Die breite Karl-Marx-Allee mit ihrer exotisch anmutenden Zuckerbäckerarchitektur geht irgendwann in die Frankfurter Allee über. Für Benedict immer noch die Stalinallee, auch wenn sie im Gefolge des soundsovielten Parteitages der KPdSU plötzlich zur Karl-Marx- und Frankfurter Allee geworden war. Wolfgang Neuss, der mittlerweile wohl im Hasch-Himmel gelandete Pauken-Kabarettist, hatte in seiner kodderig-hinterfotzigen Art mal gefragt, wer denn nun wieder dieser Herr Frankfurter sei - man wird ja janz meschugge, janz nervös! Wieder einmal muss Benedict in Anwesenheit des MUK-Leiters unbewusst laut lachen. Und wieder einmal kann sein stieseliger Begleiter damit nichts anfangen.

      „Der Fuchs war kein Fuchs, der hieß nur so.“ Damit wiederum kann Benedict nichts anfangen. „Bitte?“

      „Wenn Sie vorhin da mal rein geguckt hätten, wüssten Sie’s!“, kartet der Ost-Kriminale nach. „Ihre Düsseldorfer Wasserleiche, der sogenannte Herr Joachim Fuchs aus der Bergstraße 19, war,Schild und Schwert der Partei der Arbeiterklasse1.“

      „Hmm?“

      „Nu, er gehörte zur Firma ..."

      Das muss Benedict erst mal verdauen.

      „Sie meinen ... er war ein IM oder so was?“

      „Nee. Kein Informeller, ein Richtiger. Und zwar einer von der ganz besonderen Sorte. Jedenfalls so besonders, dass wir bei uns keine Informationen darüber haben. Die gibt’s nur da!“

      Meißners Kopf deutet in Richtung des gewaltigen Gebäudekomplexes, der zu ihrer Linken auftaucht. Sie parken den Dienstwagen gegenüber einem

      Friedhof in der Ruschestraße,