Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek. Peter Schrenk

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Название Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek
Автор произведения Peter Schrenk
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783745212532



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      „Na, wo sind Sie denn her?“, versucht er die Atmosphäre zu lockern.

      Irgendwann hatte ja so was mal kommen müssen, aber als es jetzt wirklich passiert und der ihm immer noch vertraute, breite pommersche Dialekt an sein Ohr dringt, bleibt ihm doch fast die Luft weg.

      „Aus Greifswald.“ Wohl aus Gewohnheit schiebt sie noch rasch hinterher: „Das liegt an der Ostsee, im Norden der DDR, Bezirk Rostock.“

      „Das brauchen Sie mir nicht zu erklären!“, reagiert er heute schon zum zweiten Mal unangebracht heftig.

      *

      Der Mai versucht den April wieder einzuholen.

      Kleine, scharfe Regenschauer prasseln vom Rhein her gegen die Fenster. Kühle Zuglüfte zerren an den verzogenen Holztüren des Polizeipräsidiums und lassen den aschblonden Endvierziger am Schreibtisch leicht schaudern. Der alte Bau ist zwar erst kürzlich renoviert worden, bot aber auch danach nicht den Komfort eines Neubaus.

      Benedict rührt gedankenverloren in seiner Tasse kalten Lapsong Souchong Tee herum und blättert dabei reichlich lustlos in den Befragungsprotokollen der vergangenen Wochen. Wenigstens die K 1-Crew scheint sich wie Bolle zu amüsieren. Durch die angelehnte Tür schallt wieherndes Gelächter in das Dienstzimmer des K 1-Leiters. Verursacher dieser Heiterkeit ist, wie häufig im vergangenen Monat, Kommissar Gernot Ganser, der aus seinem schier unerschöpflichen Fundus sogenannter Ossi-Witze wieder mal ein paar Geschmacklosigkeiten zum Besten gibt.

      „Also noch einer ... passt auf...“

      Benedict erhebt sich von seinem langweiligen Schreibtischplatz und geht ins Nebenzimmer, wo er sich neben der Verbindungstür mit dem Rücken an die Wand lehnt.

      Ganser stockt etwas irritiert in seinem Vortrag, fährt aber nach einem vergewissernden Blick auf das Gesicht des Vorgesetzten fort. „Also, wie nennt man es, wenn zehn Mercedese zusammenstoßen? ... Krieg der Sterne! ... Und wenn zehn Trabis Zusammenstoßen? ... Eine Tupper-Party!“

      Auch der Mann an der Wand kann sich ein amüsiertes Schmunzeln nicht verkneifen. Er, der mit seinem Eintritt Schlimmeres verhüten wollte, muss zugeben, dass das keiner von der üblen Sorte war. Manche der zur Zeit auch unter den Kollegen belachten Ossi-Witze sind von einer Qualität, die ihn an die rohen und brutalen sogenannten Türkenwitze der Vorwendezeit erinnerten. Zu deren Hochzeit hatte der K 1-Leiter sogar zu einem schriftlichen Umlauf greifen müssen, in dem er für das Erzählen dieser nicht selten menschenverachtenden Witze innerhalb der Diensträume disziplinarische Maßnahmen androhte. Der Erfolg dieser Anweisung war allerdings nie zu kontrollieren gewesen, aber wenigstens in seinem näheren Dienstbereich kehrten danach halbwegs zumutbare Zustände ein. Freunde, nein, Freunde hatte er sich damit nicht gemacht

      „Noch einer“, sagt Ganser, vom Gelächter der Kollegen angespomt, „zwei, drei Tage nach Maueröffnung kommen die ersten Wessis mit dem Auto nach drüben. Fragt der Vopo an der Grenze einen Audi-Fahrer: ,Nu, was’n das für’n Audi?' Sagt der Fahrer: ,Ein Quattro!' Kratzt sich der Vopo am Kopf. ,Quattro? Das hääßt doch viere, ne war?' Der Wessi nickt. ,Und wieso sitzen da fümfe drinnen?““

      Als die kollektive Lachsalve erschallt, sitzt der Hauptkommissar schon wieder an seinem Schreibtisch über den Vemehmungsprotokollen.

      Zwei oder drei Pointen später befreit ihn das Telefon von seinen lustlosen Bemühungen. „Können Sie mal ’s Oberdeck entern, Benedict?“ Die Stimme des Leitenden Kriminaldirektors ist ziemlich barsch unterlegt.

      „Was nich’ in Ordnung, Leitender?“

      „Brauchen Sie eine Fax-Einladung, Herr Hauptkommissar?“, kommt es jetzt noch steifer aus dem Hörer.

      Das hört sich gar nicht gut an. Benedict hat zu seinem nächsten Vorgesetzten sonst ein sehr gutes Verhältnis, und manches Wochenende hat er schon gemeinsam mit dem „Leitenden“ auf dessen Schiff im Ijsselmeer verbracht. Fachsimpelnd über Tampen und Knoten und „Seefahrt tut Not“ und den von Benedict angeschleppten Burgunder flaschenweise leerend. Aber das jetzt klingt nach ziemlich rauer See.

      „Habt ihr noch was gefunden?“, versucht er sich bei seinen Leuten für eventuelle unangenehme Fragen zu wappnen. Das traurige Kopfschütteln der eben noch so laut lustigen Kollegen Ganser, Leiden-Oster & Co. veranlasst Benedict die Barschheit des „Leitenden“ ungefiltert weiterzugeben: „Wenn Ihr meint, Ihr könnt hier ,Lach- und Schießgesellschaft' spielen, dann müsst Ihr euch irgendwo mehr zahlendes Publikum besorgen! Solange der Staat euch bezahlt, macht, verdammt noch mal, eure Arbeit vernünftig!“

      Als er wütend die Tür hinter sich zuknallt, glaubt er zu wissen, dass Ganser ihm jetzt da drinnen den Vogel zeigen wird. „Der Alte spinnt in letzter Zeit, findet ihr nicht?“

      *

      Es ist einer der dicken Neumann-Zwillinge, der kopfschüttelnd auf die im Rahmen vibrierende Tür starrt, während sein Bruder dem Satz durch eine entsprechende Handbewegung an die Stirn zusätzlich Ausdruck verleiht.

      Es ist Gernot Ganser, dessen dunkle Augen sich zu engen Sehschlitzen verdichten, zischt scharf heraus: „Moment mal! Wir machen hier seit Wochen an dieser idiotischen Ossi-Leiche rum, kommen keinen Schritt weiter, und er muss sich außer meinen blöden Witzen auch noch die Anmache von ganz oben gefallen lassen ... und das, wo diese Sache für ihn ganz besonders wichtig ist!“

      Während die Neumänner mit rötlichen Gesichtern auf ihren Schreibtisch starren, Doemges und Läppert sich angelegentlich dem Verkehrsgeschehen auf der Lorettostraße widmen, liegt der Blick aus Maria Leiden-Osters weit aufgerissenen Augen mit unverhohlener Bewunderung auf Ganser. Nicht, dass sie ein besonderes Herz für Benedict hätte, ihre Gemeinsamkeiten lagen eher auf dem Felde kühl sachlicher Zusammenarbeit, aber die flammende Parteinahme des von ihr nicht nur kollegial geschätzten Jung-Kommissars erstaunte sie gerade zum jetzigen Zeitpunkt. Immerhin hatte sich, für alle Alten klar erkennbar, das bis dahin fast innig zu nennende Arbeitsverhältnis zwischen Benedict und Ganser, in den vergangenen Monaten merklich abgekühlt. Anfänglich und zu vorschnell hatte die Kommissarin vermutet, dass es mit der Beförderung Gansers zum Kommissar zu tun hätte, aber während der Ermittlungen zum Tod des Mannes von der

      English Lady wurden ihr die Hintergründe des Konflikts offenkundig, und sie musste ihre Meinung korrigieren.

      Unter Zuhilfenahme der jetzt schon besser zugänglichen Informationsquellen im Osten hatten sie zwar die Identität des Rheintoten aufgrund einer Fingerabdruck-Abgleichung binnen einer Woche feststellen können, aber viel weiter hatte sie dieses Wissen bei den Todesermittlungen nicht gebracht. Sicher, sie wussten danach, dass der Tote Joachim Fuchs hieß und 43 Jahre alt war, und sie kannten auch seinen letzten Wohnsitz in Ost-Berlin, aber Hinweise auf Tatmotiv und Täter, in Form verwertbarer Fakten für den Staatsanwalt, enthielten auch die Informationen der Ost-Dienststelle nicht.

      Ja, der Bericht der Rechtsmedizin hatte nach der Obduktion der Leiche keinerlei Zweifel mehr daran gelassen: der Tod des Mannes war gewaltsam herbeigeführt worden, und er war schon tot, bevor sein Körper an diesem lauen Aprilabend auf dem Wasser des trägen Stromes auf geklatscht war. Und wie gewaltsam! Maria Leiden-Oster hatte den mit Schlag-, Tritt- und Würgemalen gezeichneten Körper in der kalten Grelle der Pathologie in Augenschein nehmen müssen. Die Spurenfahndung hatte sogar in mühevoller Kleinarbeit die Stelle ermitteln können, an welcher der Leichnam über die Reeling geworfen worden war. Soweit waren die Ermittlungen ja auch erfolgreich gewesen, aber dann ...

      *

      „Woran hängt’s?“

      Die Stimme des Polizeipräsidenten ist zwar drängend, aber der Grundton der durch einen Vorhang blauen Zigarillorauches an Benedicts Ohren gelangenden Frage scheint