Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek. Peter Schrenk

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Название Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek
Автор произведения Peter Schrenk
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783745212532



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Dünne, fest verschlossene Lippen. Knochige Arme über Kreuz vor den zusammengesunkenen Oberkörper gepresst. Weiße Hände zu kleinen

      Fäusten geballt. Die Füße eng beieinander auf dem Stützbrett des Krankenstuhls. Totenstarre inmitten des Chaos. Keine Reaktion auf die Menschen, die herantreten.

      »Sie kann nicht allein sein!«

      Benedict schüttelt ärgerlich den Kopf. Kriminalrätin Kolzow sagt leise: »Sie ist erst zwanzig!«

      Benedict schluckt.

      »Wir gehen besser wieder!«, sagt die Ärztin zu einem der Pfleger. Aus dem Lautsprecher neben der Milchglastür quäkt es. »Ja?«

      »Lassen Sie uns bitte heraus?«

      Im Zimmer der Ärztin stehen drei Tassen mit dampfendem Kaffee.

      »Jetzt erwarte ich aber endlich eine Erklärung«, sagt Benedict zu den beiden Frauen und setzt sich auf den angebotenen Stuhl.

      Dr. Mertens sieht kurz auf den schmalen Einhefter in ihrer Hand. »Die Patientin, die wir Ihnen gerade gezeigt haben, ist bei uns in ununterbrochener Behandlung seit August 1983. Also fast vier Jahre. Ihr Zustand hat sich seitdem nur unwesentlich verändert!«

      »Sie wollen sagen, dass sie seit vier Jahren in diesem Rollstuhl sitzt? In diesem Zustand?«

      »Ja. - Die körperlichen Folgen des an ihr begangenen Verbrechens bewältigte sie innerhalb weniger Monate. An den seelischen Zerstörungen werden wir wohl noch sehr lange zu arbeiten haben.« Die Ärztin bläst in den heißen Kaffee. »Nach dem jetzigen Zustand der Patientin - wahrscheinlich erfolglos!«

      »Ein Vergewaltigungsopfer?«, fragt der Polizist noch immer mitgenommen von dem eben Erlebten.

      »Ja«, ist die knappe Antwort der Ärztin. »Das Mädchen wurde im Alter von 16 Jahren in ihrem Elternhaus von zwei dort eingedrungenen Männern roh zusammengeschlagen und mehrmals vergewaltigt. Soviel ich weiß«, ihr Blick geht hinüber zur Kriminalrätin, »wurden die Täter bis heute nicht gefasst. Aber ein Fahndungserfolg hätte an dem Zustand der Patientin auch nichts geändert, vermutlich. Nein, sicher nicht! Das Mädchen befand sich an dem Abend allein im Haus. Vielleicht wollten die beiden einbrechen und stießen dabei auf sie. Die Eltern waren zu Bekannten gegangen und erst viel später zurückgekommen als eigentlich geplant. Und da war alles schon vorbei. Die ältere Schwester der Patientin, die nicht mehr im Elternhaus wohnte, hatte sich an diesem Abend mit der jüngeren Schwester verabredet, wurde aber wegen einer dringenden Angelegenheit an dem Treffen gehindert. Ein tragisches Zusammentreffen ungünstiger Umstände, wenn Sie so wollen. Sie erfuhr erst am nächsten Tag von dem schrecklichen Vorfall im Haus der Eltern. Die schweren seelischen Störungen der Patientin setzten ein, nachdem die körperlichen Wunden geheilt waren: eine totale Blockade gegenüber der gesamten Außenwelt, die engsten Verwandten eingeschlossen. Der Verlust der grundlegenden und anerzogenen Sicherheit ihres jungen Lebens, die Zerstörung des Bewusstseins von Menschenwürde, Stolz, der Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Der grausame Einbruch in die intimsten Bereiche hat zu Chaos, Verwirrung, Orientierungslosigkeit, Furcht und Misstrauen gegen jeden geführt. Diese Reaktion richtete sich ganz besonders gegen die Eltern und die größere Schwester, die die ihnen zugewiesenen Rollen als Vertrauens- und Schutzpersonen nicht erfüllt hatten. Aus der Sicht der Patientin! Folge dieser Blockade ist: Apathie, Sprachverlust, Lähmung der unteren Extremitäten ohne diagnostizierbare Ursachen, Appetitmangel, Schlafstörungen, Alpträume, Schreikrämpfe, Bedrohungs- und Verfolgungsphobien. Ein besonders schwerer Fall.«

      Schon während des nüchtern gegebenen Berichtes der Ärztin hat es begonnen: Die drei Eisklumpen in Benedicts Rücken senden pulsierende Kälteschauer aus. Steif fasst sich Benedict in den verspannten Nacken und fragt heiser: »Und wie ist der Name der Patientin?«

      Die Stimme der Kölner Kriminalrätin lässt eine weitere Welle der Vereisung seinen Rücken herunterrollen.

      »Die Frau dort oben heißt Ruth ... Ruth Leiden.«

      Den Rest der Geschichte erfährt der Hauptkommissar erst im Büro der Kriminalrätin.

      Maria Leiden - damals führte sie noch nicht den durch Heirat erworbenen Doppelnamen - ist die ältere Schwester des unglücklichen Wesens in der Rheinischen Landesklinik. Sie musste an dem bewussten Abend wegen eines dringenden Polizeieinsatzes die Verabredung absagen. Im Nachhinein legte sie sich eine Mitschuld an dem Zustand ihrer Schwester auf, genau wie die Eltern, die bald danach aus der mit so schrecklichen Erinnerungen behafteten Gegend fortzogen.

      Maria Leiden heiratete dann sehr plötzlich. Ebenso schnell wurde die Ehe wieder geschieden. Den Schuldlasten der Maria Leiden waren die Eheleute nicht gewachsen. Mit sturer, fast fanatischer Verbissenheit stürzte sich Maria Leiden-Oster in die Bekämpfung und Aufdeckung von Sexualstraftaten. Sie fand in Ingeborg Kolzow eine Vorgesetzte, die vor dem eigenen Wissenshintergrund die oftmals übertriebenen Anstrengungen der jungen Beamtin zu mäßigen und zu lenken wusste.

      So schien nach einigen Dienstjahren die Karriere von Maria Leiden-Oster bei der Kripo Köln einen normalen Verlauf zu nehmen. Ingeborg Kolzow befürwortete die Versetzung nach Düsseldorf sogar selbst.

      »Allerdings habe ich nicht berücksichtigt, dass die Düsseldorfer Verhältnisse sich für Maria derart ... schwierig gestalten würden!«

      Benedict hat es plötzlich sehr eilig.

      *

      »Ist der Ganser immer noch nicht da?«, faucht er Läppert im Ersten aufgebracht an.

      »Nein, der observiert einen Tatverdächtigen in Gerresheim!«

      »Das ist mir völlig egal. Lassen Sie ihn ablösen! Er soll sich unverzüglich bei mir drüben melden!«

      Eine halbe Stunde später erscheint der Gesuchte mit empörtem Gesicht im ISAT-Büro. »Mensch, Chef, was ist denn los?«

      Dann allerdings reagiert er gewohnt schnell. »Verflucht! Wenn die man wirklich krank ist. Hoffentlich dreht die jetzt nicht durch!«

      Zusammen fahren sie zu der kleinen Wohnung im Düsseldorfer Stadtteil Vennhausen.

      Die Vermieterin schließt den ungeduldigen Beamten freundlicherweise die Tür auf, als sich auf Klingeln und Klopfen nichts in der Wohnung rührt. Von der Kommissarin keine Spur.

      »Die ist heute Morgen schon aus dem Haus gegangen. Hatte eine große Tasche bei sich.«

      Benedict gibt ihr seine Karte und schreibt noch die ISAT-Nummer auf. »Rufen Sie mich an, wenn sie zurückkommen sollte!«

      Aber daran glauben die beiden Männer nicht mehr, als sie in Gansers rotem Flitzer zurückfahren.

      Wieder und wieder stellt sich Benedict die gleichen zwei Fragen. »Wo ist Maria Leiden-Oster? Wo ist das Kommando?«

      16

      Nein. Kein Bedauern über diesen toten Landespolitiker in der Genfer Badewanne eines Luxushotels vor 14 Tagen. Auch nicht über das lange Ende dieses ausgetrockneten Kirchenfürsten in der vergangenen Woche. Aber das nahm ihn mit. Das Dackelfaltenantlitz des Filmbullen mit dem italienischen Namen würden viele vermissen. Traurig, wie die wirklichen Charaktere abtreten. Dinosaurier vergangener