Название | Der Frühlingsschläfer |
---|---|
Автор произведения | Friederike Gahm |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347079724 |
War er das, wollte meine Mutter natürlich sofort wissen. Wie ist er denn? Ich murmelte ein Ja und fügte hinzu, ich hätte einen sehr netten Abend verbracht. Wie war es bei euch, erkundigte ich mich, um weitere Fragen vorerst zu verhindern. Ziemlich langweilig, antwortete sie. Ich gähnte so laut, dass man es auch vorne im Auto hören konnte. Du musst aber müde sein, meinte mein Vater. Ich bestätigte eilig, dass ich wirklich todmüde sei, kroch in meiner Ecke in mich zusammen und gab vor, vor mich hin zu dösen. Eine Weile herrschte Ruhe, dann nahm meine Mutter ihren Faden wieder auf. Ich atmete tief und gleichmäßig. Schläfst du, hörte ich sie leise fragen. Ich schwieg beharrlich und beobachtete zwischen den Wimpern hindurch, wie sie sich zu mir herumdrehte. In diesem Moment beschleunigte mein Vater den Wagen, um auf die Autobahn aufzufahren. Meine Mutter sah wieder nach vorne. Dann hörte man nur noch das Fahrgeräusch.
Ich starrte in die Nacht hinaus und begann nachzudenken. Es war offensichtlich, dass Norbert Feuer gefangen hatte. Es war genauso offensichtlich, dass eine entsprechende Gegenreaktion bei mir nicht zu befürchten stand. Ich war noch bei keinem ersten Kuss so gleichgültig geblieben wie bei seinem. Weiterhin stand fest, dass meine Studentenfreiheit keineswegs so herrlich war, wie ich es erwartet hatte. Im Gegenteil, ich fühlte mich in dem fremden Tübingen sehr allein und sehnte mich nach jemandem, der da war, wenn man ihn brauchte. Manchmal beneidete ich Kommilitoninnen, die schon einen Trauring trugen. Heirat oder zumindest eine feste Partnerschaft schien kein schlechter Ausweg aus meiner Lage. Norbert, überlegte ich weiter, war für eine solche Beziehung durchaus nicht ungeeignet. Er wirkte anständig und verlässlich. Die kleinen äußerlichen Geschmacklosigkeiten könnte ich ihm wahrscheinlich ohne große Schwierigkeiten austreiben. Er stammte aus einem wohlhabenden Elternhaus und würde in Kürze Arzt sein, also einen relativ angesehen und einträglichen Beruf ausüben. So besehen, war er nicht nur eine gute, sondern sogar eine sehr gute Partie. Und man durfte nicht vergessen, dass er sich schon nach einem Abend in mich verliebt hatte. Natürlich würde ich meinerseits Verliebtheit vortäuschen müssen, aber Schauspielen wäscht Drachenblut nicht ab. Verwundbar würde nur Norbert sein, verwundbar und von mir abhängig. Das Ergebnis meiner Bilanz sah günstig aus. Es war eindeutig, wer bei diesem Spiel die besseren Karten in der Hand hielt. Am Neujahrsmorgen, kurz vor drei, beschloss ich, Norbert zu heiraten.
4
Als wir zu Hause ankamen, war ich tatsächlich müde - müde und sehr zufrieden. Ich sagte meinen Eltern gute Nacht und verschwand in meinem Zimmer. In dieser Nacht schlief ich sehr schnell ein. Ich träumte von Norbert. Wir waren zusammen irgendwo an der Nordsee und gingen am Fuß einer Düne spazieren. Es war ein stürmischer, grauer Tag; die Landschaft wirkte trostlos. Wir redeten nichts und gingen immer weiter an der endlosen Sanddüne entlang. Auf einmal erkannte ich oben auf der Düne in weiter Ferne eine Handvoll Menschen. Sie kamen uns entgegen, wurden größer und größer, und ich sah, dass alle sehr vergnügt waren. Sie waren bunt angezogen; ihre Kleider wehten lustig im Wind, als sie auf der Düne tanzten. Ich wäre gern bei ihnen gewesen, aber Norbert ergriff meine linke Hand. Als sich die Gruppe genau über uns befand, hielten plötzlich alle wie auf Kommando in ihren Bewegungen inne und blickten zu uns herab. Sie schienen mich zu kennen und riefen mir etwas zu. Im Heulen des Windes konnte ich jedoch nichts verstehen. Norbert hielt meine Linke jetzt so fest, dass es weh tat. Die Gestalten über uns fingen an, mir zuzuwinken. Sie schwenkten ihre Arme und bedeuteten mir, zu ihnen zu kommen.
Da riss ich mich mit aller Gewalt los und rannte so schnell ich konnte die Düne hoch, ohne mich noch einmal umzudrehen. Oben angekommen, blickte ich erleichtert hinunter. Norbert sah sehr klein aus. Als ich erwachte, wunderte ich mich über den merkwürdigen Traum.
Einige Tage später, am Dreikönigstag, fuhr ich zurück nach Tübingen. Ich brach erst abends auf. Trotzdem wälzte sich ein langer Blechwurm über die Autobahn. Es nieselte leicht, die Sicht war schlecht. Ich hatte Angst vor Glatteis. Nach über drei Stunden Fahrt tauchte schließlich das Ortsschild von Tübingen auf. Meine Schultern waren verspannt, die Augen taten von den grellen Scheinwerfern des Gegenverkehrs weh; ich freute mich auf die Entspannung und auf ein Glas Rotwein. Da war schon die Abzweigung von der Hauptstraße, die Telefonzelle, noch eine Linkskurve, das Einmanövrieren in die Parklücke. Ich schaltete den Motor aus, räkelte und streckte mich, schloss einen Moment die Augen, genoss es angekommen zu sein.
Natürlich hatte ich wieder viel zu viel Gepäck, um es auf einmal ausladen zu können. Ich musste mehrere Male gehen, bis das Auto leer war. Als ich endlich die Haustür aufschloss, hatte sich auf dem Treppenabsatz ein beachtliches Durcheinander von Taschen und Tüten angesammelt. Ich bemühte mich, meine Siebensachen möglichst unbemerkt in mein Zimmer weiterzutransportieren, weil mir nicht danach war, freundlich nichts sagende Begrüßungsformeln mit meinen Wirtsleuten auszutauschen. Aber Oma Kuch war wachsam. Schon öffnete sich ihre Tür um einen fast unsichtbaren Spalt. Aus dieser Spähposition pflegte sie meine wenigen Besucher zu inspizieren, wobei sich ihr Augenmerk ausschließlich auf solche männlichen Geschlechts richtete, über die sie später ihr Urteil verkündete. Anfangs hatte ich mich darüber geärgert, bis ich nach ein paar Wochen einsah, dass es offensichtlich die einzige Abwechslung im Leben der alten Frau war. Von diesem Zeitpunkt an störte mich ihr unsichtbares Auge nicht mehr. Vergebens hoffte ich an diesem Abend, dass es bei dem Türspalt bleiben würde. Nach kurzer Sondierung der Lage öffnete sich die Tür vollständig. Oma Kuch wollte mich nicht nur herzlich begrüßen, sondern mir auch noch ein gutes neues Jahr wünschen. Und drei Anrufe seien in den letzten Tagen für mich eingegangen - immer derselbe junge Mann. Sie sah mich neugierig und ein bisschen vorwurfsvoll an, weil ich nicht mit einem Wer-war-es-Denn? reagierte. Ich habe den Namen aufgeschrieben, sagte sie. Der Zettel liegt auf Ihrem Schreibtisch. Ich bedankte mich, murmelte etwas von Kopfschmerzen und dass ich sehr müde sei von der Fahrt. Enttäuscht zog sie sich zurück.
Ich schleppte die zahlreichen Tüten eiligst in mein Zimmer, um nicht noch weiteren Familienmitgliedern zu begegnen, und schloss die Tür. Es war kalt. Ich drehte die Heizung voll auf und ging ins Bad, um auch dort für Wärme zu sorgen. Den Mantel ließ ich vorsichtshalber an. In der Badezimmertür stehend betrachtete ich mein Reich. Ein eigenes Bad, das war für Tübinger Verhältnisse luxuriös, aber das Zimmer erschien mir noch abstoßender als bei der Abreise. Jetzt würde ich wieder jeden Tag über die Perserteppich-Imitation gehen - wie viele Schritte? Ich starrte angewidert auf das Muster, sah hinüber zu meiner Arbeitsecke, wie kahl sie wirkte, blickte auf den abgeschabten grünen Sessel, die hölzerne Stehlampe daneben, wie ein Galgen, an dem man versehentlich einen Lampenschirm gehenkt hatte. Hatte ich meine Lesestündchen dort nicht sogar als gemütlich empfunden? Meine Bücher, meine Platten, die Plakate und Grafiken an der Wand; was machten sie hier? Was machte ich hier? Ich fror und ging zum Heizkörper. Langsam wurde er warm. Ich presste meine Hände dagegen. Die Wärme tat mir gut. Ich begann, den Tüteninhalt in die verschiedenen Schränkchen und Kommoden zu verteilen. Als ich damit fertig war, sah das Zimmer etwas besser aus, und mir war nicht mehr so kalt. Ich zog den Mantel aus. Auf dem Regal lagen Zigaretten. Ich zündete mir eine an. Der Rauch kräuselte sich in der Luft; es roch nach meinen Zigaretten. Ich holte ein Weinglas aus der Ecke, die ich zur Küche umfunktioniert hatte, ein großes, glattes Kristallglas. Es war sehr teuer gewesen, und ich besaß nur zwei Stück davon. Ich füllte es halb mit Wein. Ich knipste die grelle Deckenleuchte aus und die Galgen-Lampe an; wenn sie brannte, sah sie wie eine normale Lampe aus. Aus dem Radio kam leise Musik. Ich setzte mich in den abgeschabten Sessel. Der Rotwein hatte eine schöne Farbe. Er war trocken und gut.
Am anderen Morgen stand ich früh auf. Als ich meine Sachen für die Vorlesung zusammenpackte, sah ich den Zettel auf meiner Schreibplatte liegen. Ich sah ihn mir an. Norbert Steinhoff, Telephon 2.,3. und 6. Januar - ruft wieder an, stand darauf in krakeliger Sütterlinschrift. Ich hätte Schwierigkeiten gehabt, die paar Zeilen zu entziffern, wenn ich nicht schon gewusst hätte, was sie enthalten würden. Der Zettel war an drei Seiten ausgefranst und gerade so groß, dass die Nachricht auf das Papier passte. Ich lebte in einem sparsamen Haushalt. 2. und 3. Januar, hatte ich ihm nicht gesagt, dass ich keinesfalls vor dem Wochenende zurückfahren wollte? Ich schüttelte den Kopf und trank meinen Kaffee - schwarz, ungesüßt und wie immer schon halb kalt.
Nach der Vorlesung ging