Название | unkaputtbar |
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Автор произведения | Moon River |
Жанр | Биографии и Мемуары |
Серия | |
Издательство | Биографии и Мемуары |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347077645 |
Es war nicht der erste Versuch von Jürg, Susi loszuwerden und auch nicht der letzte. Susis Schutzengel musste wohl Verstärkung angefordert haben, denn immer im letzten Augenblick konnte sie den Kopf buchstäblich noch aus der Schlinge ziehen. Vielleicht war sie einfach unkaputtbar.
Das Verhältnis von Susi zu Mutters Familie war trostlos. Sie war Mittel zum Zweck, aber nicht das Ergebnis einer Liebe. Zumindest nicht einer gegenseitigen. Ihre Aufgabe war es, Vater am Gehen zu hindern. Halbbruder Jürg, Oma und Opa waren sich einig: «Das da» hätte es wirklich nicht mehr gebraucht. So lange Oma und Opa lebten blieb Susi «Das da». Sie konnte sich nicht erinnern, von ihnen jemals beim Namen genannt worden zu sein.
Sie wurde überhaupt nur selten beim Namen gerufen, hatte dafür jede Menge Spitznamen. Manche waren nett, andere verletzend. Muëti nannte sie Prinzessin, für Vati war sie der Heugümper und Greti nannte sie Elfenkind, weil sie so klein war. Nur für ihren Vater war sie einfach Susi. Er war nicht der Typ Mann, der Kosenamen verwendete. Jürg vermied jeglichen Kontakt mit ihr, wenn es nicht unbedingt erforderlich war oder ihm keine Vorteile versprach. Ebenso hielten es Oma und Opa.
Mutter war da viel einfallsreicher. Ganz von ihrer Tagesform abhängig. «Trampel», «Pimpernell», «fette Freundin», in guten Momenten auch mal «kleine, dicke Freundin», «Pimsmamsell» oder «Koddelsack». Koddelsack war das Gebilde, in welchem man damals Pferdeäpfel von der Strasse sammelte, um sie weiter zu verwenden. Im Ofen oder als Dünger im Garten. Koddelsäcke waren zweifelsohne nützlich, aber mit Sicherheit nicht schön.
Obwohl Susi nicht genau wusste, was eine «Pimpernell» war, einmal von einer Pflanze abgesehen, die zwar unscheinbar, aber immerhin nicht hässlich war, freute sie sich, wenn sie so gerufen wurde. Es verhiess zumindest nichts Schlechtes. Auch «Pimsmamsell» konnte sie nicht richtig einordnen, sie wurde so genannt, wenn sie weinte, was sie allerdings sehr selten tat. Pimsig war die Bezeichnung ihrer Mutter für mimosenhaftes Verhalten. Früh hatte sie gelernt, dass das Zeigen von Emotionen im Zweifelsfall dem anderen Menschen zu Oberwasser verhalf. Ihm anzeigte, wo verletzliche Stellen waren. Wie alle Lebewesen mochte Susi nicht gerne verletzt werden. Es machte sie traurig und liess sie sich unerwünscht fühlen.
Ihre Mutter und Jürg wussten dennoch haargenau, wann sie einen «Treffer und versenkt» gelandet hatten. Wahrscheinlich hatte Susi ihre Augen nicht im Griff, Muëti sagte immer, durch die Augen könne man direkt in die Seele eines Menschen blicken. Irgendwo in einer Ecke, im Innern von Susi sass dann jeweils ein kleines Mädchen und weinte, weil es Schmerzen oder Angst hatte. Äusserlich aber schien sie stark. Immer. Zumindest fast immer.
Susi war in die Küche gegangen, hatte sich einen Weg durch all die Umzugskartons gebahnt und eine kleine Ecke des Kochherdes frei gemacht. Mehr brauchte es nicht, da sie im Augenblick ohnehin nur einen Kochtopf, einen Wasserkocher, zwei Teller und Besteck für zwei Personen sowie eine Holzkelle hatte. Sie kochte, was Fionn liebte und sie auch gerne mochte. Eintopf. Dass am Kochherd nur eine Platte funktionierte, hatte sie noch nicht festgestellt. Auch nicht, dass es im Haus kein heisses Wasser gab. Der Wasserhahn war so verschmutzt, dass Susi es vorzog, mit Mineralwasser zu kochen.
Der Vorbesitzer hatte das Haus einfach offengelassen und ward nie wiedergesehen. Vermutlich, weil er genau wusste, wie sehr er Susi und Fionn betrogen hatte. Trotz allem schmeckte den beiden, im Gras vor der Tür sitzend, das Essen. Sie genossen die Stille und die untergehende Sonne, den Wind der sanft durch die Haare strich. Den Frieden, den beide in diesem Augenblick fühlten und den sie ein Leben lang vermisst hatten.
Fionn und Susi blieben noch eine ganze Weile im Gras liegen und beobachteten den Nachthimmel. In Grosskopfkaff, in dem Fionn geboren worden war und Susi einen Grossteil ihres Lebens verbracht hatte, konnte man keine Sterne sehen. Keine Sterne sehen, hiess für Susi, die Welt, das Leben nicht zur Gänze erfassen zu können. Nicht das Grosse im Kleinen zu entdecken. Irgendwie hiess es für sie auch, keine Hoffnung zu sehen, wenn die Nacht dunkel und die Last erdrückend schien. In Grosskopfkaff war es laut, stickig und überall gab es Licht. Die Schönheit des Himmels verblasste. Die Menschen rannten Wertlosigkeiten hinterher, von denen sie glaubten sie seien wertvoll, nicht bedenkend, dass sie ebenso nackt und besitzlos gehen würden, wie sie einst kamen. Was man vielleicht mitnehmen konnte, war Liebe und Wissen. Darüber war sich Susi aber noch nicht sicher. Sie kannte den Sternenhimmel von der Alp. Vielleicht brauchten Menschen in Grosskopfkaff keinen Himmel, keine Sterne, keine Träume. Diese Menschen sahen auch nur Äusserlichkeiten und nicht die Seelen im Innern des Gegenübers. Fionn und Susi mochten die Sterne und Sternschnuppen. Susi wäre gerne Astrophysikerin geworden.
Allmählich wurde es doch zu kühl und sie beschlossen, ins Haus zu gehen. Es gab nur zwei bewohnbare Zimmer. Rund 400 Jahre hatte es auf dem Buckel. Die Balken knackten, ächzten und knarrten. Susi hätte zu gerne gewusst, wer das Haus erbaut hatte. Was waren es für Menschen gewesen? Eher Vermögende, denn das Dach hatte immerhin eine Fläche von über dreihundert Quadratmeter und die Remise bot locker Platz für vier bis fünf Kutschen. Was mochten sie gefühlt und gedacht haben, als Napoleon durchs Land gezogen war? Waren manche Bewohner Opfer von Hexenverfolgung geworden oder waren sie womöglich die Denunzianten gewesen? Vielleicht würde sie mit der Zeit etwas über das Haus und seine Geschichte erfahren.
Im Erdgeschoss befand sich eine grosse Wohnstube, die wohl einst aus zwei Zimmern entstanden war. Die Küche war früher ein Ziegenstall gewesen. Die meisten alten Bauernhäuser hatten diese Einteilung. Es war sehr sinnvoll, das Vieh in die Wohnung zu integrieren, da dann alle im Winter weniger froren.
Licht gab es noch keines und überall standen Umzugskisten bis unter die Decke. Umziehen gehörte absolut nicht zu Susis Lieblingsbeschäftigungen und aufräumen ebenso wenig, vor allem dann nicht, wenn nichts seinen Platz fand.
Das mittlere Geschoss sollte einmal drei grosse Zimmer haben und einen geräumigen Durchgang. Bis dahin würde aber noch viel Arbeit und Zeit vergehen. Die Raumhöhe war allerdings nur 165 cm. Susi war das egal, sie passte nahezu überall durch. Endlich einmal war es von Vorteil, ein «Bodesurri» zu sein, wie Fionn sie manchmal nannte, wenn er sie aufziehen wollte. Dafür hatte er seine liebe Mühe. Immerhin war er fast 2 Meter gross. Also bekam er das Dachgeschoss, das rund zweieinhalb Meter hoch war. Die ehemalige Dreschkammer.
Alle Katzen befanden sich in einem Zimmer. Sie teilten es sich mit Susi. Zugegeben, es kam leichter Dichtestress auf, aber Susi war die Bezugsperson der kleinen Seelchen. Die Möblierung bestand nur aus einer Matratze am Boden, auf der alle schliefen. Und einigen Katzenklos. Das Zimmer durften die Katzen noch nicht verlassen. Susi hatte Angst, dass welche abhandenkommen könnten.
Am Tag vor ihrer Abreise hatte Buddha darum gebettelt, noch einmal in den Garten zu dürfen. Er war immer zurückgekommen. An diesem Tag kam ein Anruf. Er war auf die Strasse gerannt und überfahren worden. Der Autofahrer hatte nicht angehalten. Wahrscheinlich war Buddha sofort tot. Dennoch brach es ihr fast das Herz. Er war noch ein Kind, nicht einmal ein Jahr alt durfte er werden. Was waren das für Menschen, die ein Lebewesen anfuhren und sich nicht darum kümmerten!
Die Pferde waren noch nicht angekommen, die Hunde hatten ihren Auslauf gehabt und schliefen zur Sicherung der nicht verschliessbaren Haustüre im Eingangsbereich. Wobei sich Susis Angst im Rahmen hielt. Wer wollte schon so viele Kilometer fahren, um sie auszurauben? Im Übrigen gab es nichts Wertvolles im Haus.
There’s a place for me, somewhere, somehow,
sometime
(Da ist ein Platz für mich, irgendwo, irgendwie,
irgendwann)
Susi war es gewohnt, an winzigen Orten Platz zu finden. Kein Zimmer für sich zu haben. Sie glaubte, dass es ihr nichts ausmachte, ihr auch nicht zustehen würde. Später würde sie merken, dass das nicht ganz stimmte. Als sie zu Muëti und Vati zogen, hatte der ihnen zugedachte Hausteil drei Zimmer. Das grösste und hellste, wohl ursprünglich als Wohnzimmer gedacht, bekam selbstredend Jürg. Niemand ausser Mutter durfte es betreten. Sie durfte dort aufräumen und putzen –