unkaputtbar. Moon River

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Название unkaputtbar
Автор произведения Moon River
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783347077645



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      Pünktlich um 9 und um 16 Uhr gab es im Spital für alle eine Pause. Das ganze Personal fand sich im grossen Saal ein, Mutter Oberin, die Chefärzte, die Putzfrauen, Schwestern und wer sonst noch herum wuselte. Sowie Susi und ihr Vater. Für jeden gab es zu trinken und zu essen. Für alle das Gleiche. Jeder hatte seinen festen Platz im Saal – auch Susi und ihr Vater. Er liebte Kakao und weil er ihn trank, wollte auch Susi einen solchen haben. Auf den Tellern waren Reste vom Vortag angerichtet. Aufschnitt, Käse, Sauermilch oder Konfitüre. Gab es Speisen, die Susi besonders schmeckten, sagte Vater, er sei schon satt und schob seinen Anteil auf Susis Teller. Im Winter gab es warme Speisen wie Rösti mit Spiegelei oder ähnliches. Bedenkt man, dass die Familie von Susi ziemlich arm war, kann man gut verstehen, dass diese Pausen für sie Glücksmomente waren. Zuhause gab es anstatt Milch eine Art Kaffee. Hauchdünn, mit einigen Tropfen Magermilch und ohne Zucker.

      Auch in der Spitalküche war Susi ein gern gesehener Gast. Sie konnte Gemüse rüsten und Plätzchen ausstechen. Letzteres tat sie mit besonderer Hingabe. Nicht ganz ohne den Hintergedanken, das sie immer eine gefüllte Papiertüte mitnehmen durfte. Besonders stolz war sie darauf, ihre Beute abends mit der Familie zu teilen. Genau wie Vater liebte sie es zu teilen. Weil die Küchenbelegschaft das wusste, achtete sie darauf, dass in der Tüte bestimmt genug für jeden war.

      (K)eine ganz normale Familie

      In den Bergen wurde es sehr schnell kühl, sobald die Sonne untergegangen war. Das kannte Susi von ihren sommerlichen Aufenthalten auf der Alp. Ihr Vater hatte den Senn gekannt und so stieg die Familie jeweils im Sommer für sechs Wochen in die Sennerei Ahorni hoch, was wiederum dem Alphirten eine Entlastung bescherte. Er nutzte die Zeit, um mit einem Teil der Kühe zur höher gelegenen Steini-Hütte zu ziehen. Die Ziegen blieben zurück. Diese Hütte war schwieriger zu erreichen und man musste rund drei Stunden zu ihr aufsteigen. Die Familie tat es jeweils zwei bis drei Mal pro Aufenthalt, um frische Butter zu bekommen und Käse. Unterwegs nutzte man die Gelegenheit, um von den reichlich gedeihenden Heidelbeeren und Pilzen zu sammeln.

      Zu jener Zeit gab es kaum Touristen und schon gar keine Mountainbiker, die rücksichtslos durch die Landschaft bretterten. Man konnte in Ruhe Tiere beobachten und noch viel mehr Pflanzen. Ihr Halbbruder Jürg verfiel jeweils beim Anblick irgendwelchen Getieres in Panik, begann zu schreien und mit Stöcken und Steinen auf das Wesen einzuprügeln, bis nur noch ein Matschfleck zu sehen war, wo das Tier einst war. Susi hasste dieses Verhalten. Susi mochte auch weder Spinnen noch Schlagen, aber sie ging einfach einen anderen Weg. Aber zu Brei schlagen. Nein. So teilte sie ihre Sichtungen nur noch dem Vater mit, wenn Jürg weit genug entfernt war. Aus sicherer Distanz beobachtete sie auch diese Wesen immer neugierig.

      Das Ahorni war etwa eine Tageswanderung von der Zivilisation entfernt und mehr als schlicht, aber damals für eine Alphütte durchaus üblich ausgestattet. Eine kleine Rauchküche und über dem offenen Feuer ein russgeschwärzter Kessel. Einfachheitshalber wurde das Feuer einfach in einem Steinkreis auf dem Küchenboden gemacht. Einen Kamin gab es nicht, der würzige duftende Rauch zog durch die Ritzen im Dach ab. Unter der Decke hingen in Netzchen verschiedene Lebensmitteln. Das hatte gleich mehrere positive Effekte. Ungeziefer blieb fern und die Speisen bekamen einen feinen Rauchgeschmack.

      Das Essen in der Sennerei unterschied sich nicht wesentlich vom Alltag zu Hause. Vater trug in seinem Rucksack die Lebensmittel für den gesamten Aufenthalt hoch, darunter eine Speckseite, Rollgerste und einige Kartoffeln. Mehl für Brote befand sich neben Kleidung, Seife, zwei Kilogramm Zucker, etwas Kaffee und Zigaretten für ihren Ehemann in Mutters Gepäck. Als Winzling trug Susi einen entsprechend leicht bepackten Rucksack. Sie trug zwei Kartenspiele, ein paar Buntstifte, einen Zeichenblock und einige andere nützliche, aber leichte Dinge. Das war‘s. Mehr brauchte man nicht.

      Der zehn Jahre älter Jürg weigerte sich, irgendetwas zu tragen. Er war Mutters Augenstern, der Prinz der Welt, wenn nicht sogar Gott selbst. Sie hatte ihn mit in die Ehe gebracht, ebenso ihre Eltern, die aber nicht mit auf die Alp kamen. Dazu waren sie definitiv zu vornehm und mit einem Rollstuhl war es zu mühsam, vor allem auch weil Vater sich ausnahmsweise weigerte, Opa hinaufzutragen. Bei Wanderungen im Flachland trug Vater Opa öfters auf dem Rücken mit. Vaters Schwiegereltern waren ohnehin gegen die Heirat gewesen. Ihre Tochter und ein kleiner, schwarzhaariger, eher dunkelhäutiger Mann. Gott bewahre. Der konnte nur von minderer Qualität sein.

      Als erste Amtshandlung bei ihrer Ankunft in der Hütte buddelte Vater ein Loch und errichtete mit Planen und kleinen Tännchen eine Latrine. Huflattichblätter wurden als Klopapier verwendet und eine Schaufel Erde respektive Asche bedeckte das Geschäft.

      Geschlafen wurde im Heu unter dem Dach. Man brauchte nichts weiter ausser der passenden Müdigkeit. Vor dem Einschlafen lauschte Susi den Geräuschen des Abends und der Nacht. Den Geigen der Grillen, dem Ruf der Käuzchen. Manchmal auch dem prasselnden Regen oder dem gewaltigen Grollen des Donners, dessen Echo von den umliegenden Bergen vielfach zurückgeworfen wurde. Die Eltern und Jürg spielten in der unteren Kammer Karten oder ein Brettspiel. Ihre murmelnden Stimmen begleiteten sie in den Schlaf.

      Weiter oben floss ein Bach friedlich am Haus vorbei und ein Teil davon in den Brunnen, der dazu diente, Wasser für Getränke zu spenden, aber auch um sich oder die Kleidung zu waschen. Susi spielte gerne im Bach. Sie staute ihn und baute aus Ästchen und Moos Häuser für die Zwerge, die bestimmt in der Gegend wohnten. Selbstverständlich durften auch Käfer, Schnecken und Schmetterlinge zu Gast sein. Hinter dem Haus war ein Tobel. Dort verwandelte sich der Bach in einen tosenden Wasserfall und stürzte viele Meter in die Tiefe. Susi wusste, dass sie von dort weit wegzubleiben hatte.

      Man hätte es als Paradies bezeichnen können, wäre da nicht Jürg gewesen. Er hasste Susi und alles was mit ihr zusammenhing. Sobald er die von Susi erbauten Dörfchen entdeckte, machte er sie dem Erdboden gleich. Susi nahm es ähnlich einer Naturkatastrophe hin und fing von vorne an. Manchmal suchte sie dafür neue Stellen, die nicht auf den ersten Blick sichtbar waren.

      An einem strahlenden Nachmittag war nichts von Jürg zu hören. Er schien sehr beschäftigt. Susi war neugierig zu wissen, was er tat. Sie fand ihn bäuchlings im Gras liegend, bewaffnet mit einer Lupe. Sie wunderte und freute sich zugleich. Hatte er nun auch gesehen, wie viele kleine Wunder es hier gab? Seltsam allerdings empfand sie den widerlichen Geruch und die ploppenden Geräusche, die sie nicht einzuordnen vermochte. Also kniete sie sich neben ihn, um genauer sehen, was er tat und es machte sie sehr böse. Mit der linken Hand fixierte er Heuschrecken, während er in der Rechten die Lupe hielt und die gebündelten Sonnenstrahlen als winzigen aber leuchtend hellen Punkt auf die Heuschrecke richtete. Es dauerte nur kurz, dann stieg eine kleine Rauchsäule auf und das Opfer explodierte. Entsetzt und wütend im selben Masse rannte Susi zum Vater, um ihm zu berichten, was vor sich ging. Vater nahm Jürg die Lupe weg und schalt ihn.

      Am nächsten Tag zeigte Vater Susi und Jürg, dass man mit einer Lupe und der Sonne auch Sinnvolles tun konnte. Er malte mit dem Brennpunkt auf ein Brett und erklärte, welch wunderbare Kraft die Sonne besässe, dass sie aber gefährlich sei und zerstören konnte. Jürg wollte nichts davon wissen.

      Am übernächsten Tag nahm Jürg Susi mit in die Sümpfe. Er war stolzer Besitzer eines mit Batterien betriebenen Bootes. Etwas weiter oben am Berg gab es einen kleinen See. Wunderschön anzusehen. Klar und von einer tief blaugrünen Farbe. Um den See herum wuchsen Arnika und Wollsumpfgras, Schilfrohr und andere Pflanzen, die Susi nicht kannte. Keine Luftblasen stiegen aus der torfigen Erde.

      Jürg warf sein Boot in den See und erklärte, dass Susi und er jetzt Piraten seien, die das Boot entern mussten. Er, Jürg, würde am Ufer bleiben um das Kommando haben. Sie sollte in den See steigen, um das Boot herausholen, er sei hier nicht tief. Susi tat wie ihr befohlen. Hinein ging ganz ordentlich, fast zu schnell. Heraus allerdings nicht mehr. Jürg war weg. Susi fing an zu rufen. Dann zu schreien. Sie hatte unsagbar kalt und konnte sich kaum bewegen. Es war, als zöge der eisige Boden sie hinunter. Dann hörte sie ihren Vater rufen. Er eilte mit Brettern heran und kroch auf dem Bauch zu ihr, um sie herauszuziehen.

      Es war der letzte Sommer, in dem Jürg auf der Alp dabei war. Für die restliche Zeit hatte Jürg die klare Ansage bekommen, mindestens fünf Meter