Название | unkaputtbar |
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Автор произведения | Moon River |
Жанр | Биографии и Мемуары |
Серия | |
Издательство | Биографии и Мемуары |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347077645 |
In den Augen von Susis Mutter war sie eine böse Hexe, ein Heidenweib, eine Hure. Sonst war nichts zu erfahren. Kein gutes Wort über Granny. Soweit sich Susi an sie erinnern konnte, war sie eine stille Frau gewesen, nie recht glücklich und mit sehr viel Heimweh. Was Susi von ihr geblieben war, waren ein paar Brocken Tsalagi, einem Cherokee-Dialekt, die Namen einiger Verwandten, die sie dank Facebook fand und ein unbestimmtes Heimweh nach Orten, die sie nie kennengelernt hatte.
Grannys Mann, den Giovannino-Tagedieb, hatte Susi nie kennengelernt. Nicht einmal ihr Vater hatte eine Erinnerung an ihn. Er war bei der Fuchsjagd vom Pferd gefallen, in einem eisigen Bach gelandet und tot herausgezogen worden. Aus die Maus, Ende der Fahnenstange für ihn. Man lerne, wer morgens zur Jagd reitet, sollte am Vorabend nur massvoll dem Wein huldigen. Vor allem im Februar, wenn die Gewässer eiskalt sind. Mässigkeit war aber keine seiner Tugenden. Offenbar tat er, was er tat, immer im Übermass. Geld ausgeben, saufen, Weibern nachstellen, egal, wie viele Kinder zu Hause bei seiner Frau waren.
Susis Vater war zum Zeitpunkt des Jagdunfalls erst drei Jahre alt gewesen. Die Gemeinde reagierte sofort und nahm Müeti alle Kinder weg. Als Wilde konnte man nicht davon ausgehen, dass sie ihnen eine gute, christliche Erziehung angedeihen liess. Davon abgesehen, brachte der Verkauf der Kinder an verschiedene Bauern gutes Geld. Und das beachtliche Vermögen konnte selbstverständlich auch nicht der Wilden zur Verwaltung überlassen werden. Ihre Kinder bekamen nie einen Cent davon zu Gesicht.
Es muss ein schreckliches Gefühl sein, wenn einem alle Kinder weggenommen werden, ohne dass man sich etwas hat zu Schulden kommen lassen. Zu dieser Zeit begann auch das Elend von Susis Vater. Er berichtete wenig bis gar nichts über die Zeit in den 30er-Jahren als Verdingbub bei einem reichen Bauern im Emmental.
Es leuchtete ihm kein Mond, kein Stern
Anlässlich einer Wanderung durch dieses Gebiet trafen Susi und ihre Eltern zufällig eine Frau, die ihren Vater erkannte und ansprach. Es entwickelte sich ein Gespräch im Verlaufe dessen Susi einiges über die trostlose Kindheit und Jugend ihres Vaters mitbekam. Anstatt eines Bettes musste er als kleiner Junge allein im Ziegenstall auf einem Arm voller Heu schlafen. Alles was ihm ein bisschen Trost und Wärme spendete, waren der Hofhund und eine alte Katze. Die Frau, damals selber auch ein Kind, erzählte auch, dass er mehr Schläge als Brot erhielt. Immer genau so viel, dass er am Leben blieb, keinen Krümel mehr. Egal was schief gelaufen war auf dem Hof, der Ledergurt des Bauern peitschte auf Susis Vater nieder.
Eines Tages kamen die langen Haare von Elsi, der Tochter des Bauern, in ein Schwungrad. Sie war etwas jünger als Simme. Dieser erkannte die Gefahr und schnitt mit der Sichel die Zöpfe des Mädchens ab, so schnell er konnte. Man konnte sich vorstellen, dass sie nachher nicht sonderlich gut aussah. Aber er hatte ihr damit wohl das Leben gerettet. Als der Bauer seine Tochter sah, schlug er Simme halb tot. Er konnte daraufhin mehrere Tage nicht aufstehen. Als zusätzliche Strafe hatte der Bauer die alte Katze getötet und als Pfeffer zubereiten lassen. Sonst bekam Simme nie Fleisch, aber der Bauer zwang ihn, von der Katze zu essen.
Einige Monate später brannte ein Teil des Hofes während eines Gewitters ab. Simme trieb gemeinsam mit zwei Knechten das Vieh aus den Stallungen. Der jüngere Knecht, auch noch ein halbes Kind, kam in den Flammen um. Ebenso der Hofhund.
Nach dem Brand nahm der alte Knecht Simme unter seine Fittiche und das Leben wurde für beide etwas erträglicher. Der knorrige Kerl war selbst schon als Verdingbub auf den Hof gekommen und wusste, was der Bub durchmachte.
An Simmes vierzehntem Geburtstag reiste jener Knecht mit ihm nach Oberburg zu einer Gärtnerei. Als Geburtstagsgeschenk erhielt er eine Orange und eine Banane und in einer Wirtschaft gab es sogar eine Tasse warme Milch. Mit dem Gärtner hatte der Knecht einen Lehrvertrag für Susis Vater abgeschlossen und bereits für die Lehrjahre bezahlt. Simme sollte ein besseres Leben haben als er es gehabt hatte. Dafür hatte dieser herzensgute Mann seine ganzen Ersparnisse geopfert. Die Orange und die Banane wurden nicht gebührend gewürdigt, denn Simme fand den Duft zwar betörend, wusste aber nicht wie man sie essen sollte. Er wollte sie samt Schale essen.
Susi war früh in ihrem Leben klar geworden, dass jene Menschen am meisten geben und helfen, die selbst wissen, wie es sich anfühlt, in einer unguten Situation zu stecken. Auch sind es genau diese Menschen, die Gutes tun, schweigen und es nicht auf eine grosse Standarte drucken um es vor sich her zu tragen. Susi mochte keine Gutmenschen, die sich überall dick machten, mit ihren Taten auf Kosten jener, denen sie geholfen hatten. Gutmenschen taten immer nur etwas, um sich selbst darzustellen. Nie um der Sache Willen.
Langsam war es Spätnachmittag geworden. Die Sonne verschwand hinter dem gut 400 Jahre alten Stöckli, das Susi bei ihrer Arbeit etwas kühlenden Schatten spendete. Sie hatte nicht geahnt, dass die Sonne auch in dieser Höhenlage so unerbittlich brennen konnte. Die Luft stand still, nur hie und da wehte ein Lüftchen aus dem Wallis herüber – ein sanftes Streicheln der Natur – und trug den Duft nach frischem Heu und weidenden Kühen zu ihr.
Von Westen zogen dunkle Wolken auf, sie vernahm das dumpfe Grollen eines fernen Gewitters. Inzwischen brannten nicht nur die Nesselstiche auf ihrer Haut, sondern auch ein beginnender Sonnenbrand. Da niemand zugegen war, konnte sie sich kleiden, wie sie mochte und trug eine alte Jeans, deren Beine sie sehr kurz abgeschnitten hatte. Dazu ein Unterhemd, das auch schon bessere Tage gesehen hatte. Nein, sie fand es nicht sonderlich hübsch, aber die Mehrheit ihrer Sachen lag noch in irgendwelchen Umzugskartons. Irgendwo im Haus. Keiner wusste wo. Die meisten Kleider, welche sie zu jener Zeit trug, dienten eigentlich nur noch als Putzlappen, um die desolate und völlig verdreckte Küche zu reinigen. Einige ihrer guten Kleider hatte sie Schmutz sicher verstaut, falls sie irgendwohin mussten.
In Grosskopfkaff hätte sie es nie gewagt, sich so zu zeigen. Überhaupt hatte Susi es dort vermieden, sich unter die Menschen zu mischen. Zu oft hatte sie beobachtet, wie hinterhältig die Bevölkerung war. Sie lachten Mitmenschen ins Gesicht und stiessen ihnen einen Dolch zwischen die Rippen, sobald sich diese zum Gehen wandten. Es war ihr schon klar, dass es fast allen gleich erging, aber je länger desto mehr hatte sie Mühe mit dieser Art.
Hier oben konnte keiner hinterhältig sein. Weil keiner da war. Die meisten Häuser in Sichtweite waren Ferienhäuser, deren betagte Besitzer, falls überhaupt, höchstens einmal im Jahr anwesend waren. Die Häuser waren in einer Zeit gebaut worden, als man noch nicht geglaubt hatte, das Glück und die Erholung liege darin möglichst schnell möglichst weit weg zu kommen, um sich an einem überfüllten Strand braten zu lassen.
Es war Susi aber auch bewusst, dass die Bergler im Umgang nicht die einfachsten waren. Misstrauisch, abweisend, schroff, aber sehr direkt und entwaffnend ehrlich. Wenn die Menschen in den Bergen jemanden nicht ausstehen konnten, sagten sie es rundheraus, waren umgekehrt aber auch nicht zutiefst beleidigt, wenn man ihnen in gleicher Währung zurückgab. Man hielt wenig von Höflichkeitsfloskeln. Obwohl man sehr viel Zeit hatte. Und war jemand in Not, so stand man ihm bei. Wohl wissend, dass man vielleicht bald selbst Hilfe brauchen würde.
Susi machte eine Pause und liess ihren Blick über das Tal zu den Nachbarhügeln schweifen. Die Luft war nach dem kurzen Regenguss wieder klar und frisch. Seit sie hier angekommen waren, lief ihre Nase, als müsste alles Alte und Ungute raus. Der Körper reinigte sich selbst. Ohne ihr Zutun. Sie hätte gerne die juckenden Stellen gekratzt, aber sie wusste, dass es danach schlimmer werden würde. So liess sie es bleiben und genoss einfach die absolute Stille.
Ein Zwerg mit viel zu grossen Füssen
Als Kind hatte sie viele solche Plätzchen gehabt, an denen sie ganz allein gewesen war. Nur sie, mit ihren eigenen Gedanken, die sie überall hintrugen, wo sie gerne wollte. Sie konnte Tage lang sitzen. Träumen. Über das Leben nachdenken. Die Welt vergessen. Am liebsten unter Sträuchern. Noch lieber unter solchen