Название | Ein Buch für Keinen |
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Автор произведения | Stefan Gruber |
Жанр | Афоризмы и цитаты |
Серия | |
Издательство | Афоризмы и цитаты |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347043282 |
Am Beginn von Debitismus und Machttheorie steht die menschliche Urschuld. Als Urschuld wird die Schuld bezeichnet, die jeder Mensch sich selbst gegenüber hat. Paul C. Martin und Walter Lüftl schreiben dazu in Der Kapitalismus – ein System, das funktioniert: »Jedes Kind, das auf die Welt kommt, ist verschuldet bis unter seinen süßen Haarflaum. Es sind die Schulden, die der neue Mensch sich selbst gegenüber hat. Schulden, die aufgrund seiner Existenz entstanden sind. Diese Schulden lassen sich überschlägig berechnen: Es sind die Kosten, die der neue Mensch hat, um sein Leben lang am Leben zu bleiben. Die Ausgaben für Nahrung, Wohnung, Kleidung usw., alles abgezinst auf die Gegenwart.«
Was wie selbstverständlich klingt, hat später weitreichende Konsequenzen, weshalb es für das Verstehen des Debitismus entscheidend ist, hier am Ursprung anzusetzen. Sich selbst etwas schuldig zu sein, bedeutet nichts anderes, als dynamisch zu sein, d.h. der Schuldige muss aktiv sein, um seine Schulden, den Zustand »Leben«, bedienbar zu halten.
In vorstaatlicher Zeit musste er sammeln und jagen, um seine Grundbedürfnisse zu tilgen und je weniger der Mensch in der Lage war, seine Urschuld zu tilgen, desto geschwächter wurde er im Zeitablauf und desto schwieriger wurde es für ihn, von dieser Schuld nicht erschlagen zu werden, denn ein Bankrott war und ist gleichbedeutend mit dem physischen Tod. War für den paläolithischen Wildbeuter die Vorratshaltung von Nahrung noch eine Last für sein nomadenhaftes Dasein, versuchen dagegen der sesshafte Stammesgenosse des Neolithikums seine Urschuld und der Kapitalist heute seine Geldschuld durch Hortung von Nahrung bzw. Geld dauerhaft zu tilgen und beide stehen in einem Konkurrenzkampf mit anderen Teilnehmern, anderen Kapitalisten oder anderen Stämmen und Tieren. Dem Kredit (männliche Dynamik) steht dabei immer ein Guthaben (weibliche Ruhe) gegenüber, so wie im Ungleichgewicht der Natur die erlegte oder gehortete Beute des einen die fehlende Beute des anderen im Konkurrenzkampf ist.1 Über der Urschuld des einzelnen Stammesgenossen steht seine Schuld der Natur gegenüber, der er seinen materiellen Körper entliehen hat. Tilgt er zuvor nur die permanent anlaufenden Zinsen, um den Zustand »Leben« zu erhalten, begleicht er mit dem Tod seine Hauptschuld. Das Analogon hierzu im Wirtschaftsleben ist, wie wir später noch sehen werden, die monatliche Steuerschuld dem Staat gegenüber, welche erst die Kontraktschuld des Kapitalisten und mit ihr die Geburt des Zinses evoziert. Sie ist erst mit dem Tod des Kapitalisten/Konsumenten oder der Zersetzung des Staates beglichen. Die nicht zeitgerechte Tilgung der Urschuld wiederum erzeugt einen geschwächten Körper und Geist und erfordert ein Mehr an Nahrung und Ruhe, um sich wieder aufzupäppeln.2 Dieses Mehr im Zeitablauf ist das fraktale Analogon zum Zinseszins im staatlichen Wirtschaftsleben.
Das Sein selbst ist, abstrakter gedacht, ohne Dynamik nicht definierbar, ja Sein ist Dynamik – das ständige Ungleichgewicht des materiellen Seins, das Systeme durch ständigen Anpassungsdruck evolviert, ist damit die Schuld des Seins sich selbst gegenüber. Nur die Leere ist in Ruhe und sich damit nur Erfahrung schuldig, womit sie das Sein aus der Taufe hebt. Jedes System des Seins ist für alle anderen Systeme (die das Milieu bilden) ein Störfaktor und vice versa. Gleichzeitig ist es erst diese Störung, die ein System bedingt und erhält. Jedes System ist sich die Selbsterhaltung schuldig – ist ein Jäger evolutionär bedingt im Überlebensvorteil, so steht die unterlegene Art als Beute unter »Zugzwang«1, d.h. sie muss sich den neuen Bedingungen anpassen. Sie ist sich also Information schuldig, um zu überleben. Passt sie sich an, ist seinerseits der Fressfeind unter Zugzwang. Diese Akkumulation von Information im dynamischen Wechselspiel erzeugt Komplexität – beispielsweise im betreffenden Wirtschaftsraum, der evolutionsgetriebenen Natur, aber auch in einer Ideologie oder Theorie, die permanent nach außen hin verteidigt oder an neue Erkenntnisse angepasst werden muss – und der Grad an Komplexität verläuft zuerst linear und gegen Ende exponentiell. Und das so lange, bis die »Kosten« zur Aufrechterhaltung der Komplexität – in Form von Geld im Wirtschaftsraum, des Energieaufwandes zur Lebenserhaltung der betreffenden Art in der Natur, der Propaganda- und Gewaltmaschinerie zur Aufrechterhaltung einer Ideologie oder der Verteidigung einer Theorie, nachdem sie durch permanente Anpassungen an neue Erkenntnisse und Entdeckungen verwässert wurde – den Nutzen »im Milieu« übersteigen. Dann geht das betreffende System unter, d.h. der Wirtschaftsraum wird von einer schweren Krise heimgesucht, die betreffende Tierart stirbt aus, eine Ideologie scheitert und die axiomatische Basis einer Theorie wird durch Zusatzannahmen so stark ausgehöhlt, dass sie als widerlegt gilt oder als Spezialfall einer größeren, umfassenderen Theorie von dieser einverleibt wird. Diese Form der bilanziellen Interpretation lässt sich innerhalb unseres bekannten Universums2 bis in den subatomaren Bereich nachvollziehen, wo im Vakuum, als Fraktal zur spirituellen Leere als Quelle aller möglichen Formen des Seins, ständig Teilchenpaare (Materie/Antimaterie-Paare) entstehen, indem sie sich Energie aus dem Vakuum leihen, um sich anschließend innerhalb extrem kurzer Zeit3 wieder gegenseitig zu zerstrahlen und die Energie damit zurückzuzahlen.4 Auch hier ist das Vakuum, als Milieu, die Quelle und gleichzeitig Störquelle des dualistischen, virtuellen Teilchenpaares und umgekehrt besteht das Quantenvakuum, das dem virtuellen Teilchenpaar nach der Existenz trachtet, aus genau diesen Vakuumfluktuationen und definiert sich erst durch sie. Auf metaphysischer Ebene schuldet sich das Quantenvakuum die Erfahrung und das Teilchenpaar schuldet sich selbst dem Quantenvakuum. Interessant ist hier, dass es auf der untersten Ebene des materiellen Seins kein Derivat der Zeit mehr geben kann, das auf einer Zeitskala anwächst, da ein virtuelles Teilchen bereits bei seiner Entstehung seine Komplexitätsgrenze erreicht hat. Hier ist die Zeit selbst der limitierende Faktor: Je höher die Energie, die sich das Teilchenpaar aus dem Vakuum borgt, desto kürzer die Zeit, die es existieren darf. Dabei ist »existieren« ein sehr vager Begriff, was virtuelle Teilchen angeht. Denn diese Teilchen sind – sofern man sie überhaupt als »seiend« betrachten kann – mehr mathematische Konstrukte ohne messbare Eigenschaften. Erst wenn einem virtuellen Teilchen die Energie zugeführt wird, die es aus dem Vakuum geborgt hat, wird es zu einem realen Teilchen, d.h. man bezahlt statt der Teilchen die Energie ans Vakuum (die anderswo dann fehlen muss; der Energieerhaltungssatz bleibt unverletzt), um den noch nicht realen Teilchen zur Existenz zu verhelfen. Hier haben wir die Analogie zum Möglichkeitsraum der spirituellen Leere, in der Gott einen Teil beobachten muss, um ihm zur Realität zu verhelfen.1 Der Unterschied ist, dass das Vakuum ein Fraktal der göttlichen Leere ist, das den Fesseln der Naturgesetze unterworfen ist, die es selbst miterzeugt, und das dementsprechend potentiell existieren muss (anstatt nicht real zu existieren, so wie die Leere). Und so wie Gott sich die Erfahrung und das Sein sich die Vollständigkeit schuldig ist, so haftet der Mensch an der Urschuld, auf die wir nach diesem kleinen Ausflug auch wieder zurückkommen. Martin schreibt:
»Jeder Mensch ist sich selbst also etwas schuldig. Dies ist die Urschuld. Dies ist auch jener Umstand, bei dem viele Religionen ansetzen und viele Mythen. Sich selbst etwas schuldig zu sein, setzt ein Erkennen der Schuld voraus. Menschen, die nur in den Tag hinein vegetieren, Menschen, die es in der Vor- und Frühgeschichte zweifellos gegeben hat, lange bevor sich Reflexionen und Selbsterkenntnis entwickelt hatten, wissen nichts von dieser Schuld. Sie leben instinktgesteuert