Ein Buch für Keinen. Stefan Gruber

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Название Ein Buch für Keinen
Автор произведения Stefan Gruber
Жанр Афоризмы и цитаты
Серия
Издательство Афоризмы и цитаты
Год выпуска 0
isbn 9783347043282



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sieht also den Ursprung der Urschuld in der ersten mentalen Selbstreflexion. Diese erst zeigt dem Menschen, dass er sich etwas schuldig ist, während er zuvor im Paläolithikum unbewusst lebte wie ein Tier. Das Erkennen der eigenen Schuld ist damit gleichzeitig der Startpunkt der Menschwerdung, was uns zwangsläufig zur Erbsünde (= Urschuld) und zum Garten Eden führen wird: »Die Erkenntnis, sich selbst etwas schuldig zu sein, muss zusammenfallen mit der Erkenntnis, dass Zeit vergeht. Tiere kennen dieses ›Zeitgefühl‹ bekanntlich nicht.«1

      Der Sündenfall gilt somit als Sinnbild für das Auseinanderbrechen der Zeit in Vergangenheit und Zukunft, sowohl bei der Schöpfung des Seins selbst als Selbstreflexion Gottes (das Ungleichgewicht, das ewigen Wandel hervorbringt und so erst den Zeitbegriff schafft.2) als auch, fraktal weitergesponnen, bei der ersten Selbstreflexion des Menschen (Wer war ich? – Wer bin ich? – Wer will ich sein?). Martin schreibt:

      »Es ist die Vertreibung aus dem Paradies. Paradies ist das griechische Wort für ›Garten‹. Es steht in der Erinnerung der Menschen für jenen Zustand, in dem alles zuhanden ist, in dem keine Zeit vergeht und die Menschen daher unsterblich sind. Die Drohung Gottes, ›aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben‹, ist eine Tautologie, es kommt zweimal das Gleiche zum Ausdruck: ›erkennen‹ und ›sterben müssen‹. Die Erkenntnis ist eben die, dass die Zeit doch vergeht, dass man an ein Morgen denken muss, dass im Zeitverlauf alle Schulden, auch diejenigen, die man sich selbst gegenüber hat, nur größer werden [wer hungert, muss die Kalorien, die ihm fehlen, wieder zuführen, Anm. d. Autors]. Konsequenterweise passiert an der entscheidenden Stelle ein Verzehr. Ein Konsumakt wirft uns aus dem Paradies. Konsumieren müssen nur endliche Menschen – oder eben solche, die erkannt haben, dass sie endlich sind. Wer ewig lebt, wovon im Paradies zunächst auszugehen war (sonst hätte es keine Todes-Drohung geben können!), der lacht über Konsumakte: Warum einen Apfel essen, warum gerade jetzt, warum nicht erst in 100 Millionen Jahren?«

      Der Text spricht für sich. Was hier hervorgehoben werden muss, ist die Tatsache, dass mit der ersten Selbstreflexion die Zeit erkannt wird und mit der Zeit die eigene Sterblichkeit und mit ihr die Schuld sich selbst gegenüber, denn: »Wer lebt, ist sündig. Denn wer lebt, ist schuldig.« Die Urschuld ist in unserem spirituellen Modell selbst nur ein Fraktal einer noch tieferen Schuld: dem Mangel an Erfahrung! Existenz an sich (!) existiert nur durch den Willen Gottes, sich selbst zu ergründen und zu erfahren. Die Existenz erzeugt und erhält sich nur dadurch selbst: als der Wille zum Dasein, der sich als Wechselspiel kooperierender und konkurrierender Systeme offenbart. Die Leere (Gott) opfert ihre Vollständigkeit und damit sich selbst, um die Schuld nach Erfahrung zu bedienen und die daraus resultierenden Systeme des Seins wollen wieder vollständig werden und sind im Wechselspiel mit ihrem Milieu auch ständig dazu gezwungen, komplexe Systeme aufzubauen, um den Systemerhalt zu garantieren.1 Alle fraktalen Abspaltungen Gottes, vom Urplasma bis zum Leben, sind schuldig. »Und ihr werdet sein wie Gott« – schuldig wie Gott!

      Diese Ur-Urschuld ist der Antrieb für die unaufhörliche Kreation des Existenten in unendlicher Variation, in unendlicher Zahl, in zeitloser Zeit. Die Schuld leitet erst die Dynamik ein, deren inhärente Folge die Schöpfung immer komplexerer Strukturen ist (die Schaffung von Information). Gott selbst – als Leere und Summe aller Möglichkeiten – greift in sich selbst ein (Selbstreflexion), um einen Teil seiner selbst zu erfahren bzw. um überhaupt erst existent zu sein. Leere bedeutet Nullinformation und kann somit nicht erfahren werden; Bewusstsein und Information bedingen einander. Aus diesem Spannungsfeld zwischen der unvollständigen Information (dem Sein) und der totalen Information (die sich zu Leere annihiliert) entsteht die Dynamik des Seins – der Zeitpfeil von Unvollständigkeit (männliches Sein) zur Vollkommenheit (weibliche Leere). Das ist die Dichotomie, die sich im Sein fraktal fortpflanzt: Gott ist die Zeit (männliche Dynamik2) und der Raum (weibliches Gefäß3) – und das Sein kann ohne Dynamik bzw. Wandlung nicht existieren. Stillstehen kann nur die Leere.

      Das Tier (Ordnung, d.h. niedrige Entropie) greift allein durch seine bloße Existenz, durch Nahrungsaufnahme, Atmung, Körperwärme etc. ins Gesamtgefüge ein. Es verändert dabei das dynamische Milieu (Chaos, d.h. hohe Entropie), in dem es sich bewegt, sodass es früher oder später, schon allein durch die rekursiven Auswirkungen seiner puren Existenz, zu einer erneuten Anpassung gezwungen ist oder aber aufgrund der fehlenden Flexibilität infolge zu hoher Komplexität ausstirbt.4 Später erscheint dann der Mensch, dem seine Urschuld bewusst wird und der beispiellose Zyklen initiiert, um diese Schuld dauerhaft getilgt zu wissen. Aus dieser Bewusstwerdung der Schuldigkeit sich selbst gegenüber, mithin der Bewusstwerdung seines eigenen Todes und der ablaufenden Zeit, erwächst der Kulturzyklus und mit ihm gigantischer technologischer Fortschritt, Kultur, Kunst, Poesie und Intellektualität, ebenso wie Krieg, Industrialisierung, Massentierhaltung, Raubbau und geistige Degeneration.

      Am Rande möchte ich noch eine Interpretation zum Thema Urschuld und Erbsünde anführen, die aus den Weiten des Internets stammt. Dort schreibt ein User, dass das Erkennen der Nacktheit als Auslöser der Urschuld metaphorisch für die Menschwerdung steht, da der Mensch eben kein Fell besitzt, ja nicht einmal Krallen, scharfe Zähne oder sonstige Schutzmechanismen, die ihn im evolutionären Wettstreit als Tier überleben lassen könnten – er ist sprichwörtlich »nackt«. Daher ist er gezwungen, ein selbstreflexives Bewusstsein hervorzubringen, sich zu kleiden (er verdeckt seine Blöße und startet den sexuellen Zyklus1), das Feuer zu entdecken, Nahrung zu horten usw. Hier starten die Erkenntnis der Urschuld und darauf aufbauend der Raffzwang bzw. im Zuge dieser Erkenntnis die erste Selbstreflexion. Dieser zündende Bewusstseinsfunke bedingt das Auseinanderbrechen der Zeit: Der Mensch ist nun zur Planung gezwungen und muss an ein Morgen denken. Es ist also ein evolutionärer »Rückschritt« (Nacktheit), der ihn zum Fortschritt zwang2: die Entstehung des Selbst-Bewusstseins.

      Martin greift zum besseren Verständnis den Gedanken des deutschen Sozialisten Carl Hirsch auf, indem er sagt: »Wir sehen den Menschen als eine Einheit von Körper und Kopf. Um das Urschuld-Phänomen besser fassen zu können, empfiehlt es sich aber, beides zu trennen. Der Kopf ist der Ort, wo die Schuld sich selbst gegenüber erkannt und, wenn man so will, ›verbucht‹ wird. Der Körper ist der Gegenstand, der eingesetzt wird, um die Schuld abzuarbeiten. Zugleich aber der Ort, der ursächlich ist für die Schuld, die zur ›Selbst‹ -Erhaltung entsteht.«

      Der Dreh- und Angelpunkt zur späteren Beschreibung des Debitismus ist der Termin, der Menschen durch Sanktionsandrohung dazu zwingt, etwas – beispielsweise eine Ware oder Geld – zum Termin oder innerhalb eines Zeitkorridors an jemanden oder an etwas abzutreten. Im Ursprung ist das der Zwang, Nahrung und Wasser »nachzufragen«, d.h. zu finden bzw. zu produzieren, um diese zum Termin (Hunger/Durst) in den Magen überzuführen, um der Sanktion (Verhungern/Verdursten) zu entgehen. Hier kristallisieren sich drei wesentliche Punkte heraus, die uns später das Wesen des Geldes begreiflich machen: Termin, Leistung und Sanktion. Ein unsterbliches Wesen, das folglich keinen Hunger kennt, würde der Nahrung keinen Wert beimessen. Erst der Zwang, etwas zum Termin haben zu müssen, die Urschuld bedienen zu müssen, verleiht der Nahrung ihren Wert. Dasselbe gilt für Geld, gleichgültig in welcher Form es erscheint (Papier, Edelmetall, normierte Bambusstäbe). Es entsteht in einem Akt der Verschuldung und muss zum Fälligkeitstermin an den Emittenten zurückkehren.

      Auch ohne den Zwang, Leistung erbringen zu müssen, wäre Nahrung für uns kein kostbares Gut. Würden wir nämlich im Schlaraffenland leben, wo uns die gebratenen Tauben in den Mund fliegen und Nahrung immer und überall allgegenwärtig wäre, dann wäre sie wertlos und die Nahrungsaufnahme würde zu einem automatisierten Akt verkommen. Dasselbe gilt für Geld. Es ist grundsätzlich unmöglich, Geld »gerecht« zu verteilen, weil an jedem Geldschein immer ein Schuldner hängt, der Waren und Dienstleistungen in Höhe des Marktwerts des Geldscheins zu erwirtschaften hat. Wer also Geld in Form von gesetzlichem Zahlungsmittel oder Giralgeld besitzt, der besitzt auch automatisch einen Schuldknecht, der ihm, qua staatlicher Gewalt, durch seine in Zukunft zu erbringende Leistung den Geldwert garantiert. Hätten alle Geld und niemand Schulden in gleicher Höhe, würden auch keine Überschüsse in Form von Waren und Dienstleistungen im Gegenwert dieses Geldes erwirtschaftet werden – das Geld wäre wertlos.

      Der