Название | Ein Buch für Keinen |
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Автор произведения | Stefan Gruber |
Жанр | Афоризмы и цитаты |
Серия | |
Издательство | Афоризмы и цитаты |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347043282 |
Die geistige Verflachung der spätkapitalistischen Menschen, sowohl in der Bevölkerung1 als auch in der daraus rekrutierten Polit-Elite, speist sich aber auch noch aus einem anderen Phänomen: Seit der sukzessiven Etablierung des Patriarchats innerhalb des Stammes2 und dem Beginn der ersten Arbeitsteilung, dem Zerfall des Stammes später in Berufe und Klassen nach Unterwerfung und Installation des Staates, geht der Mensch den Weg der Ausdifferenzierung und Individualisierung. Diesem steht das kollektive Bewusstsein des »matriarchalen«1 Stammes als dualistisches Pendant gegenüber. Unterbrochen durch fraktale »weibliche« Stammessimulationen (z.B. Sozialismus als Subzyklus) innerhalb des großen patriarchalischen Zyklus findet diese Ausdifferenzierung im Kapitalismus – als höchste Form des Patriarchats – seine Vollendung. Diese Ausdifferenzierung und Spezialisierung im Arbeitsteilungsprozess sorgen für »die Verdummung der in der Arbeitsteilung tätigen Menschen. Die Arbeitsteilung wird von Smith zwar als Bedingung höherer Produktivität erkannt, die geringere Persönlichkeitsentfaltung der an sie geketteten Menschen gegenüber selbst barbarischen Völkern aber gleichwohl eindringlich beschrieben.«2
Heinsohn zitiert dabei Adam Smith, den Begründer der klassischen Volkswirtschaftslehre: »Ein Mensch, der sein ganzes Leben damit verbringt, ein paar einfache Operationen zu vollziehen, deren Erfolg vielleicht immer derselbe oder wenigstens fast derselbe ist, hat keine Gelegenheit, seinen Verstand zu üben oder seine Erfindungskraft anzustrengen, um Hilfsmittel gegen Schwierigkeiten aufzusuchen, die ihm niemals begegnen. Er verliert also natürlich die Fähigkeit zu solchen Übungen und wird am Ende so unwissend und dumm, als es nur immer ein menschliches Wesen werden kann. Die Verknöcherung des Geistes macht ihn nicht nur unfähig, an einer vernünftigen Unterhaltung teilzunehmen oder sie auch nur zu genießen, sondern sie lässt es auch in ihm zu keinem freien, edlen oder zarten Gefühl mehr kommen und erlaubt ihm selbst nicht, die alltäglichen Pflichten des Privatlebens richtig zu beurteilen.«
Es sollte hier vor allem eines klar werden: Der Ablauf der massenpsychologischen Phänomene ist vollkommen durch den Debitismus determiniert. Der Debitismus sagt nicht die Entstehung des Rock ´n´ Roll voraus und er weiß nicht, welche Modetrends nächsten Sommer angesagt sind, aber er kann die äußere Form eines Zyklus ganz klar voraussagen. Er weiß, dass der letzte Subzyklus innerhalb des großen kapitalistischen Zyklus eine sexuelle Befreiung hervorbringt und die Unterhaltungsindustrie zum ersten Mal großflächig3 Fuß fassen wird. Es ist also klar, dass eine die alten Strukturen provozierende Art von Künstlern das Bühnenlicht erblicken und diese zu Ikonen des gesamten Subzyklus emporgehoben werden, bis ihre Art der Provokation über Jahrzehnte selbst zum Massenprodukt wird und sich die Kunst gegen Ende immer mehr in Provokationen erschöpft, anstatt Schöpferisches oder Geistiges hervorzubringen. Ebenso kann der Debitismus voraussagen, dass der Kleidungsstil im letzten Durchlauf immer freizügiger wird, je größer der Wohlstand anwächst1, bis kaum mehr ein Tag vergeht, an dem man nicht an mindestens 20 Bildern sich lasziv räkelnder, halbnackter Frauen auf Werbereklamen und Klatschblättern vorbeikommt.2 Was also prognostiziert werden kann (im Kleinen durch den Debitismus, im Größeren durch die fraktale Philosophie), ist immer die äußere Form, niemals aber der konkrete Inhalt.
Der Mensch der post-stammesgeschichtlichen Welt hat die Urschuld fraktal weitergesponnen und es liegt in seinem Wesen, niemals den Punkt der Zufriedenheit zu erreichen. Immer werden neue Bedürfnisse in ihm geweckt und immer versucht er durch Befriedigung dieser Bedürfnisse Zufriedenheit zu erreichen. Doch währt dieses Glück immer nur für kurze Zeit, bis er seinen Frieden in der Befriedigung neuer Bedürfnisse sucht. Diese Beschleunigung der Dynamik, die ständig versucht, ihr Gleichgewicht zu erreichen (dazu aber nie im Stande ist), gilt für alle Zyklen in allen Hierarchien. Überall waltet die Schuld nach Erfahrung. Und alle Zyklen entdynamisieren und zersetzen sich am Ende in exponentieller Geschwindigkeit: Je älter der Mensch wird, desto genügsamer und toleranter wird er (im Idealfall) durch Auslöschung aller Dualismen (Lebenserfahrung). Je älter ein debitischer Durchlauf wird, desto eher endet er in sich durch Auslöschung von Guthaben und Kredit. Je älter der gesamte kapitalistische Zyklus, desto degenerierter seine menschlichen Träger, die nun alles erfahren haben, was es in diesem Zyklus zu erfahren gibt, deshalb an gar nichts mehr glauben, jegliche Ideale über Bord werfen und dem egoistischen Genuss höchste Priorität zukommen lassen. Je älter eine Kultur (im Endstadium »Zivilisation«), desto träger und starrer ihr ganzer ideengeschichtlicher Inhalt – alles wurde ausprobiert und alles ist gescheitert. Je älter der menschliche Machtzyklus, desto mehr Illusionen über den Sinn und Zweck des Menschen im materiellen Dasein zerplatzen im kollektiven Bewusstsein. Dasselbe gilt natürlich auch für einen sozialistischen Zyklus, der in seiner eigenen Bürokratie und inneren Fäulnis erstickt, ebenso wie für einen kapitalistischen Betrieb, der in bürokratischer Verfilzung endet, in unfähigen Führungskräften, die sich mit dem Unternehmen nicht mehr identifizieren und in Managern, deren Interesse vorrangig aus der Maximierung des eigenen Nutzens besteht.1 Alles Existente hat seinen Frühling, Sommer, Herbst und Winter2 und überall gehen mehrere Faktoren auf unterschiedlichsten Ebenen Hand in Hand bzw. bedingen einander (kurz bevor der debitische Zyklus notwendigerweise endet, sind auch dessen Träger moralisch am Ende). Jeder Zyklus wächst als Fraktal aus einem übergeordneten Zyklus heraus und bringt selbst wieder Subzyklen hervor. Diese pflanzen sich fraktal in immer kleineren Dimensionen fort. Jedes Ende eines kleinen Zyklus (seine Entdynamisierung) kommt im übergeordneten Zyklus einer Beschleunigung gleich und bringt etwas Neues hervor. Jeder Zyklus endet, wenn eine Erstarrung eintritt, d.h. alles erfahren ist, was es innerhalb des Zyklus zu erfahren gibt. Der kapitalistische Zyklus endet (und beschleunigt den übergeordneten Kulturzyklus, der wiederum Teil des patriarchalischen Zyklus ist; siehe dazu später), wenn sich die Dynamik nur noch in Steigerungsformen des bisher Erfahrenen erschöpft, wenn also die Provokation nicht mehr der Hinterfragung alter Ideale dient, sondern bloß der Provokation wegen provoziert wird, Gewalt der Gewalt wegen, Schönheit der Schönheit wegen, Berühmtheit der Berühmtheit wegen (und nicht etwa aufgrund von Talent). Aus den Fluten der erdrückenden kapitalistischen Vielfalt schreit die Seele junger Konsumenten nach Aufmerksamkeit der Aufmerksamkeit wegen, indem sie ihre fehlende Persönlichkeit durch Provokationen und Äußerlichkeiten zu kompensieren versuchen.3 Das Dilemma liegt darin, dass diese Provokationen aufgrund ihrer Alltäglichkeit niemanden mehr interessieren. Zu abgestumpft ist die Gesellschaft bereits. Dasselbe gilt für die Kunst, die sich selbst nur mehr in Aktionismus und eitler Provokation erschöpft, um »wachzurütteln«, in Wahrheit aber, um das Ego des Künstlers zu befriedigen.4 Auch die staatlich ernannte intellektuelle Schicht, auf die wir noch gesondert zu sprechen kommen, gefällt sich gegen Ende zunehmend im Aufzeigen von echten oder vermeintlichen Missständen in der ihrer Meinung nach reaktionären Gesellschaft und wird nicht müde, ihre Eitelkeit durch Orwellsche Sprachkonstrukte (politische Korrektheit), Meinungsdiktate und die Geißelung der eigenen Kultur zu befriedigen. Durch den Ausbau immer absurderer, das freie Denken unterminierender Forderungen lässt sich nicht nur genügend Empörung ernten, die das Ego der Intellektuellen befriedigt. Die Nichteinhaltung des intellektuellen Denkschemas durch Unterschicht und Bürgertum produziert auch immer genügend Reaktionäre oder »Faschisten«, die den weiteren Kampf gegen »rechts« rechtfertigen, der für den Staat in Wahrheit ein Kampf gegen Globalisierungskritiker ist.
Das Bürgertum selbst wird durch hohe Steuern für die Bedienung der Staatsschulden, der ausufernden Bürokratie, des staatlichen Sozialtransfers und der uneinbringlichen Kredite systemrelevanter Banken und Konzerne zunehmend ausgebeutet und ausgedünnt, stirbt letztlich ab und verschmilzt mit dem 4. Stand: der formlosen Masse der Großstädte. Wir kommen darauf noch im Kapitel »Aufstieg und Fall von Kulturen« zu sprechen. Die Quintessenz dieses Kapitels kann aber bereits jetzt hervorgehoben werden: Gleichgültig wie viel Wohlstand herrscht, gleichgültig wie gut es den Menschen im Vergleich zu den Generationen zuvor geht, gleichgültig wie viele soziale Errungenschaften erkämpft wurden: Der Mensch ist niemals zufrieden, seit er von der verbotenen Frucht aß. Die zu kleinen Brüste einer 18-Jährigen können einen ebenso großen Leidensdruck darstellen wie der Überlebenskampf ihrer Urgroßmutter in den Kriegswirren, und das ist nicht einmal zynisch gemeint. Der Mensch bildet sich den Spielraum (= Unterschiede) seiner Empfindungen, den Rahmen »Leben«, stetig seit seiner Geburt und er spaltet diesen Spielraum