Ein Buch für Keinen. Stefan Gruber

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Название Ein Buch für Keinen
Автор произведения Stefan Gruber
Жанр Афоризмы и цитаты
Серия
Издательство Афоризмы и цитаты
Год выпуска 0
isbn 9783347043282



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Wirtschaft und das sich damit einhergehende verknappende Angebot noch drastisch verstärkt wird. Bald trifft immer mehr leistungsloses Geld auf eine angebotsschwache, durch das Gratisgeld des Staates sich zusätzlich kontrahierende Wirtschaft; die finale Inflation beginnt. Eine Bereinigung einer spätkapitalistischen Schuldenkrise durch das Anwerfen der Notenpresse führt also im Detail gesehen nicht zu einer klassischen Deflation oder Hyperinflation aus dem Lehrbuch, sondern zu einer drastischen Zerstörung der Wirtschaft (deflationär) bei gleichzeitiger Geldentwertung (inflationär). Am ehesten könnte man diesen Zustand als »hyperinflationäre Depression« bezeichnen. Eine Inflation bzw. Hyperinflation in der kapitalistischen Endphase unterscheidet sich damit gravierend von den inflationären (bzw. hyperinflationären) Tendenzen im kapitalistischen Hochsommer. Nur bei Letzterer kann sich ein Kreditnehmer im Zuge einer Lohn-Preis-Spirale entschulden, während in der Inflation im kapitalistischen Winter die Preise steigen, die Löhne aber, sofern Arbeit überhaupt vorhanden ist, stagnieren bzw. am Ende nominal steigen, jedoch relativ zur Erhöhung des Preisniveaus bei lebensnotwendigen Gütern stark zurückbleiben. Selbst wenn also ein Kreditnehmer die deflationären Tendenzen zuvor bzw. die permanent eintretenden deflationären Schocks dazwischen durchgestanden hat und weiterhin das Privileg einer Arbeitsstelle in Anspruch nehmen kann, wird er am Ende seinen gesamten Lohn zur Tilgung der Urschuld und nicht der Kontraktschuld aufwenden müssen. Hinzu kommt, dass die Löhne in einer globalisierten Welt zusätzlich gedeckelt sind. Es kommt also zu einer Angleichung der Löhne und Sozialleistungen an das Niveau gerade erst aufstrebender kapitalistischer Länder bzw. Regionen bei ungleich höheren Schulden und daher, durch den einbrechenden Konsum, zu einer Spirale der totalen Verelendung.

      Auch die Mainstream-Meinung, dass der Staat sich durch die von ihm selbst geschaffene Inflation entschulden kann, ist völlig falsch. Solange sich der Staat das Nettogeld über die Hinterlegung seiner Anleihen bei der Notenbank beschafft, wachsen seine Schulden genauso, als würde er die Anleihe an private Investoren verkaufen. Die Schulden des Staates sind damit am Ende einer Hyperinflation immer am höchsten! Entschulden kann sich der Staat nur, wenn die Kredit-Exzesse, wie im kapitalistischen Hochsommer, bei den Privaten stattfinden (Lohn-Preis-Spirale) oder er seine Anleihen, wie bei einer Währungsreform, für wertlos erklärt und die Bilanzlücken im System mit Gläubigergeld stopft. Ebenso kann ein Staat im kapitalistischen Winter, wenn er nicht gerade Weltmacht ist und sein Nettogeld durch Gewaltandrohung und imperialistische Kriege deckt (womit aber bloß Zeit erkauft wird), eine einmal begonnene Inflationierung kaum mehr stoppen, da der Ankauf von Staatsanleihen durch die Notenbank die Zinsen der Anleihen unter Marktniveau bzw. Inflationsrate drückt. Der Staat ist damit de facto pleite und Investoren flüchten nach und nach aus verlustreichen Anleihen, sodass er die Notenpresse weiter laufen lassen muss, um sich über Wasser halten zu können, bis die totale Zerstörung der Wirtschaft und des Geldes eintritt.

      Eine weitere vom Mainstream völlig missverstandene Sache ist die Rolle der Notenbanken in den Boom- und Bust-Zyklen. Die Notenbanken können, v.a. in Kombination mit Staatsausgaben, die Kreditmaschinerie wieder mittelfristig zum Laufen bringen, solange es noch genügend verpfändbares Eigentum zur Geld- und Kreditschaffung gibt. Der Effekt ist aber in der Hauptsache ein psychologischer, denn kein Unternehmer will dem anderen in Innovationen nachstehen, wenn dieser, angespornt durch niedrige Zinsen, sich nun doch für ein Aufrüsten seines Betriebes entscheidet. Ansonsten aber wird die Rolle der Notenbanken maßlos überschätzt, vor allem gegen Ende des kapitalistischen Zyklus. Niedrige Zinsen bedeuten nicht, wie das immer und immer wieder in den Medien suggeriert wird, das Heraufbeschwören einer Inflation. Sie deuten ganz im Gegenteil auf eine mächtige Angst vor der herausziehenden Deflation hin. Wenn eine Volkswirtschaft ihr Verschuldungslimit erreicht hat, kann eine Notenbank mit Nullzinsen gar nichts ausrichten. Heinsohn weist darauf auch immer wieder hin. Boom- und Bust-Zyklen entstehen durch Innovationsschübe und sind fast völlig unabhängig vom herrschenden Zinsniveau. Oder wie der Ökonom Joseph A. Schumpeter es formulierte: »Durch die Produktion von neuen Dingen oder durch die billigere Produktion von alten Dingen einzuheimsende Gewinnmöglichkeiten verwirklichen sich ständig und fordern neue Investitionen. Diese neuen Produkte und neuen Methoden konkurrieren die alten Produkte und alten Methoden nicht zu gleichen Bedingungen, sondern mit einem entscheidenden Vorsprung, der für die letzteren den Tod bedeuten kann. Auf diese Weise geht der ›Fortschritt‹ in der kapitalistischen Gesellschaft vor sich. Um zu vermeiden, dass sie unterboten wird, ist jede Unternehmung letzten Endes gezwungen, dasselbe zu tun, muß ihrerseits investieren und muß, um dies tun zu können, Teile ihrer Profite in den eigenen Betrieb wieder hineinstecken, das heißt: akkumulieren. So akkumulieren auch alle anderen.«1

      Sobald in einem Marktsegment eine Neuerung auftritt, muss jeder Unternehmer dieser Branche seinen Betrieb auf Vordermann bringen. Tut er es nicht, dann tut es ein anderer und es fällt der Wert seines Eigentums und damit die Verpfändungs- und Verschuldungsfähigkeit. Um seine Position im Markt zu verteidigen, wird jeder Unternehmer, fast unabhängig vom Zinsniveau, Kredite gegen Eigentum generieren. Das zusätzliche Geld wirkt preistreibend und damit inflationär. Das ist der Boom. Sobald alle Betriebe die neue Innovation umgesetzt haben, kommt es zu einem erbitterten Preiskampf und vor allem zu einem Überangebot am Markt, eventuell sogar zusätzlich verstärkt durch die Innovation selbst, die unter Umständen einen höheren Output an Produkten liefert.1 Die insgesamt aufgenommene Kreditsumme bleibt in ihrer Höhe natürlich konstant, während im Preiskampf das darunterliegende Eigentum runtergepreist wird. Es kommt zum Bust, in dem viele Betriebe untergehen. Nur die Zähesten überleben, sie werden mit der Marktführerschaft belohnt. Die Niedrigzinspolitik kann die Folgen eines solchen Busts abfedern und exzessive Staatsausgaben können eine deflationäre Spirale mildern oder sogar für ein paar weitere Jahre aufschieben, wenn noch genügend verpfändbares Eigentum vorhanden ist. Grundsätzlich aber dient die Niedrigzinspolitik in erster Linie den Banken. Diese sollen sich bei deflationären Schocks jederzeit refinanzieren können, um Bank Runs zu vermeiden. Der ungute Nebeneffekt aber ist der: Die Konkurrenzsituation der Banken untereinander sorgt dafür, dass sich alle Banken, auch die, die finanziell gut gepolstert dastehen, bei der Notenbank billigst refinanzieren, um damit höher verzinste Firmen- und Staatsanleihen zu kaufen. Es kommt durch Spekulation zum Aufblähen des Finanzsektors, der sich von der Realwirtschaft abkoppelt. Dieser fehlt (durch die Fluten an Geld) der Schulden- und Innovationsdruck (die Unternehmer spekulieren mit diesem Geld lieber am Markt, der durch den künstlich induzierten Boom mehr abwirft als Unternehmensinnovationen), sodass die Nullzinspolitik letztendlich erst recht die Wirtschaft zum Abflauen bringt.

      Welche massenpsychologischen Auswirkungen haben nun Wachstumszwang, Schuldendruck und Inflation? Wenn wir uns vorerst auf den modernen Kapitalismus der Nachkriegszeit beschränken1, so führt der Zwang zu Wirtschaftswachstum und Nachschuldnerfindung dazu, dass in der Bevölkerung immer mehr Bedürfnisse geweckt werden müssen, die vorher noch nicht da waren. Vor der Erfindung des Automobils vermisste es niemand. Erst der Schuldendruck brachte es hervor (bzw. der Zwang zu Effizienz und Wirtschaftswachstum machte es massentauglich) und durch die Werbung stieß es auf allgemeine Akzeptanz. So wie Kredite anderswo zu Guthaben werden und diese Guthaben der Besicherung von neuen Krediten dienen, so werden technische Erfindungen wie diese zur Basis für eine weitere Beschleunigung des Fortschritts. Der Handel beschleunigt sich, parallel dazu werden Verkehrswege gebaut und ausgebaut usw. Was für das Auto gilt, gilt ebenso für den Computer und später für das Internet oder vor dem Automobil für die Dampfmaschine. Diese Bedürfnisse sind auch der Grund, warum man im Kapitalismus trotz wachsenden Wohlstands niemals an den Punkt kommt, der Zufriedenheit auslöst, denn eine zufriedene Gesellschaft, die glücklich ist mit dem, was sie hat, wäre der sofortige deflationäre Tod des Systems. Deshalb müssen immer neue Produkte und Trends ins Leben gerufen werden und mit ihnen das Gefühl, nicht gut genug zu sein, wenn man diese Produkte nicht besitzt bzw. Trends verweigert. Darüber hinaus wird jede neue Entwicklung, die scheinbar mehr Freizeit und eine Vereinfachung des Alltags verspricht, sofort zur Basis für eine weitere Beschleunigung des Wachstumsprozesses und eine Erhöhung der Komplexität des Gesamtsystems. Hat das Auto früher enorm viel Zeit gespart, wurde es heute zur Notwendigkeit für teilweise stundenlange Fahrten zur Arbeit und zum Einkauf. Hat das E-Mail den zeitraubenden Brief ersetzt, werden wir heute mit zigfach mehr elektronischen Briefen zugemüllt und investieren noch mehr Zeit in diese Form der Kommunikation. Die Beschleunigung erhöht sich im Zeitablauf immer mehr und zwar nicht nur seit der Nachkriegszeit,