Rubinrot. Керстин Гир

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Название Rubinrot
Автор произведения Керстин Гир
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783401800141



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los, Richtung Oxford Street. Es regnete

      fürchterlich. Ich hätte besser nicht nur den Regenmantel, sondern auch Gummistiefel angezogen. Mein Lieblings-Magnolienbaum an der Ecke ließ traurig seine Blüten hängen. Bevor ich ihn erreicht hatte, war ich schon dreimal in eine Pfütze getreten. Als ich gerade eine vierte umgehen wollte, riss es mich vollkommen ohne Vorwarnung von den Beinen. Mein Magen fuhr Achterbahn und die Straße verschwamm vor meinen Augen zu einem grauen Fluss.

      Ex hoc momento pendet aeternitas.

       (An diesem Augenblick hängt die Ewigkeit.)

      Inschrift einer Sonnenuhr, Middle Temple, London

      3.

      Als ich wieder klar sehen konnte, bog ein Oldtimer um die Ecke und ich kniete auf dem Bürgersteig und zitterte vor Schreck.

      Irgendetwas stimmte nicht mit dieser Straße. Sie sah anders aus als sonst. Alles war in der letzten Sekunde anders geworden.

      Der Regen hatte aufgehört, dafür wehte ein eisiger Wind und es war viel dunkler als vorhin, fast Nacht. Der Magnolienbaum trug weder Blüten noch Blätter. Ich war nicht mal sicher, ob es überhaupt noch ein Magnolienbaum war.

      Die Spitzen des Zauns, der ihn umgab, waren golden bemalt. Ich hätte schwören können, dass sie gestern noch schwarz gewesen waren.

      Wieder bog ein Oldtimer um die Ecke. Ein seltsames Gefährt mit hohen Rädern und hellen Speichen. Ich blickte den Bürgersteig entlang – die Pfützen waren verschwunden. Und die Verkehrsschilder. Dafür war das Pflaster krumm und buckelig und die Straßenlaternen sahen anders aus, ihr gelbliches Licht drang kaum weiter als bis zum nächsten Hauseingang.

      Tief in meinem Inneren schwante mir Übles, aber ich war noch nicht so weit, diesen Gedanken zuzulassen.

      Also zwang ich mich erst einmal durchzuatmen. Dann schaute ich mich noch einmal um, diesmal gründlicher.

      Okay, genau genommen war gar nicht so viel anders. Die meisten Häuser sahen eigentlich aus wie immer. Trotzdem – dort hinten war der Teeladen verschwunden, in dem Mum die leckeren Prince-of-Wales-Kekse einkaufte, und das Eckhaus da drüben mit den mächtigen Säulen davor hatte ich noch nie zuvor gesehen.

      Ein Mann mit Hut und schwarzem Mantel musterte mich im Vorbeigehen leicht pikiert, machte aber keine Anstalten, mich anzusprechen oder mir gar aufzuhelfen. Ich stand auf und klopfte mir den Dreck von den Knien.

      Das Üble, das mir geschwant hatte, wurde langsam, aber sicher zur schrecklichen Gewissheit.

      Wem wollte ich hier etwas vormachen?

      Ich war weder in eine Oldtimer-Rallye geraten, noch hatte der Magnolienbaum urplötzlich die Blätter abgeworfen. Und obwohl ich alles dafür gegeben hätte, wenn Nicole Kidman plötzlich um die Ecke gebogen wäre, war dies leider auch nicht die Kulisse eines Henry-James-Films.

      Ich wusste genau, was passiert war. Ich wusste es einfach. Und ich wusste auch, dass hier ein Irrtum vorliegen musste.

      Ich war in einer anderen Zeit gelandet.

      Nicht Charlotte. Ich. Irgendjemand hatte einen großen Fehler gemacht.

      Unvermittelt begannen meine Zähne zu klappern. Nicht nur vor Aufregung, sondern auch vor Kälte. Es war bitterkalt.

      »Ich wüsste, was ich zu tun hätte« – Charlottes Worte klangen mir wieder im Ohr.

      Klar, Charlotte wüsste, was sie tun müsste. Aber mir hatte es niemand verraten.

      Also stand ich zitternd und zähneklappernd an meiner Straßenecke und ließ mich von den Leuten begaffen. Viele waren es nicht, die hier entlangliefen. Eine junge Frau im knöchellangen Mantel kam mit einem Korb am Arm an mir vorbei, hinter ihr ging ein Mann mit Hut und hochgeschlagenem Kragen.

      »Entschuldigung«, sagte ich. »Sie können mir nicht zufällig sagen, welches Jahr wir haben?«

      Die Frau tat, als habe sie mich nicht gehört, und beschleunigte ihre Schritte.

      Der Mann schüttelte den Kopf. »Unverschämtheit«, knurrte er.

      Ich seufzte. Wirklich viel genutzt hätte mir die Information sowieso nicht. Es spielte im Grunde keine Rolle, ob wir uns im Jahr 1899 befanden oder im Jahr 1923.

      Wenigstens wusste ich, wo ich war. Ich wohnte ja keine hundert Meter von hier. Was lag da näher, als einfach nach Hause zu gehen?

      Irgendetwas musste ich ja tun.

      Die Straße wirkte friedlich und ruhig in der Dämmerung, während ich langsam zurückging, mich nach allen Seiten umschauend. Was war anders, was war gleich? Die Häuser glichen auch bei näherem Hinsehen sehr denen aus meiner Zeit. Bei vielen Details hatte ich zwar das Gefühl, ich sähe sie zum ersten Mal, aber vielleicht hatte ich bisher nur nicht darauf geachtet. Automatisch warf ich einen Blick hinüber zu Nummer 18, aber der Hauseingang war leer, kein schwarzer Mann weit und breit.

      Ich blieb stehen.

      Unser Haus sah genauso aus wie in meiner eigenen Zeit. Die Fenster im Erdgeschoss und im ersten Stock waren hell erleuchtet, auch in Mums Zimmer unterm Dach brannte Licht. Ich bekam richtig Heimweh, als ich hinaufsah. Von den Dachgauben hingen Eiszapfen herab.

       »Ich wüsste, was ich zu tun hätte.«

      Ja, was würde Charlotte tun? Es wurde gleich dunkel und es war bitterkalt. Wo würde Charlotte hingehen, um nicht zu erfrieren? Nach Hause?

      Ich starrte zu den Fenstern hoch. Vielleicht lebte ja mein Großvater schon. Vielleicht würde er mich sogar erkennen. Er hatte mich schließlich auf seinen Knien reiten lassen, als ich klein war. . . ach, Blödsinn.

      Selbst wenn er schon geboren war, konnte er sich ja wohl schlecht daran erinnern, dass er mich mal auf den Knien schaukeln würde, wenn er ein alter Mann war.

      Die Kälte kroch unter den Regenmantel. Also gut, ich würde jetzt einfach klingeln und um ein Quartier für die Nacht bitten. Die Frage war nur, wie ich das anstellen sollte.

      »Hallo, mein Name ist Gwendolyn und ich bin die Enkeltochter von Lord Lucas Montrose, der möglicherweise noch gar nicht geboren ist.«

      Ich konnte wohl nicht annehmen, dass man mir das glauben würde. Wahrscheinlich wäre ich schneller in einer Nervenheilanstalt, als mir lieb war. Und sicher waren das in dieser Zeit trostlose Orte, einmal drin, kam man niemals wieder raus.

      Auf der anderen Seite hatte ich wenig Alternativen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis es stockdunkel war, und irgendwo musste ich die Nacht ja verbringen, ohne zu erfrieren. Und ohne von Jack the Ripper entdeckt zu werden. Himmelherrgott! Wann hatte der eigentlich sein Unwesen getrieben? Und wo? Doch hoffentlich nicht hier im gediegenen Mayfair!

      Wenn es mir gelang, mit einem meiner Vorfahren zu sprechen, würde ich ihn vielleicht überzeugen können, dass ich mehr von der Familie und dem Haus wusste, als irgendein normaler Fremder wissen konnte.

      Wer außer mir könnte zum Beispiel auf Anhieb herunterrasseln, dass das Pferd von Ururuurgroßonkel Hugh Fat Annie geheißen hatte? Das war ja wohl das pure Insiderwissen.

      Ein Windstoß ließ mich zusammenfahren. Es war so kalt. Es hätte mich nicht gewundert, wenn es angefangen hätte zu schneien.

      »Hallo, ich bin Gwendolyn und ich komme aus der Zukunft. Als Beweis zeige ich Ihnen diesen Reißverschluss. Ich wette, der ist noch gar nicht erfunden, stimmt’s? Ebenso wenig wie Jumbojets und Fernseher und Kühlschränke. . .«

      Ich konnte es ja wenigstens versuchen. Tief durchatmend ging ich auf die Haustür zu.

      Die Stufen fühlten sich seltsam vertraut und fremd zugleich an. Automatisch tastete ich nach dem Klingelknopf. Aber es gab keinen. Elektrische Klingeln waren offenbar auch noch nicht erfunden. Leider gab mir das aber auch keinen Hinweis auf die genaue Jahreszahl. Ich wusste noch nicht einmal, wann sie das mit dem elektrischen