Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Название Gesammelte Werke von Gottfried Keller
Автор произведения Готфрид Келлер
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027225873



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Blauberge in das Tal und übergoß es alle Abend mit Glut, daß man an den Fenstern des Saales im Roten saß, ja die Röte drang durch diesen hin, wenn seine Türen geöffnet, ins Innere des Hauses und überzog Gänge und Wände. Gemüse- und Blumengärten, vernachlässigte Zwischenräume, Holunderbüsche und eingefaßte Quellen, alles von Bäumen überschattet, bildeten eine reizende Wildnis weit herum und dehnten sich noch mittelst einer kleinen Brücke über das Wasser Hinaus. Die etwas weiter oben liegende Mühle aber gab sich nur durch das Geräusch und durch das Blitzen und Stäuben des Rades kund, welches unter den Bäumen durchleuchtete. Das Ganze war eine Verschmlelzung von Pfarrei, Bauernhof, Villa und Jägerhaus, und mein Herz jubelte, als ich alle Schönheit und Poesie entdeckte und übersah, umgaukelt von der geflügelten und vierfüßigen Tierwelt. Hier war überall Farbe und Glanz, Bewegung, Leben und Glück, reichlich, ungemessen, dazu Freiheit und Überfluß, Scherz, Witz und Wohlwollen. Der erste Gedanke war eine freie ungebundene Tätigkeit. Ich eilte auf mein Zimmer, welches auch nach der Abendseite lag, und begann meine indessen angekommenen Sachen auszupacken, meine Schulbücher und abgebrochenen Hefte, welche ich so gut möglich noch zu pflegen gedachte, vorzüglich aber einen ansehnlichen Vorrat von Papier verschiedener Art, Federn, Bleistifte und Farben, vermittelst deren ich zu schreiben, zu zeichnen, zu malen gedachte, was weiß ich was alles! In diesem Augenblicke wandelte sich der bisherige Spieltrieb in eine ganz ernsthafte und gravitätische Lust zu Schaffen und Arbeit, zu bewußtem Gestalten und Hervorbringen um. Mehr als alles vorhergehende Ungemach weckte dieser eine, so einfache und doch so reiche Tag den ersten Schein der Klarheit, die Morgendämmerung der reiferen Jugend in mir auf. Als ich meine bisher übermalten Streifen und Bogen auf dem großen Bette ausbreitete, daß es mit wunderlich bunter Decke bezogen war, fühlte ich mich mit einem Male über diese Dinge hinausgerückt und mit dem Bedürfnis auch den Willen, sogleich einen Fortschritt aus mir selbst hervorzuzwingen. Es lag in der Luft, es lag in mir oder weiß Gott wo, daß ich das nächste Blatt mit mehr Energie und Geschick angegriffen vor mir schweben sah. Zuletzt eigentlich mochte ich nur die äußere Anregung vorausempfinden, die sich in diesem Augenblicke mir näherte.

      Mein Oheim trat, von einer Aufsichtswanderung zurückgekehrt, zu mir herein und faßte eine gutmeinende Verwunderung, als er mich von meinem Krame umgeben sah. Die kindliche Renommisterei und Keckheit meiner Machwerke, die marktschreierischen Farben imponierten seinem ungeübten Auge, und er rief »Ei, du bist ja ein ganzer Maler, Herr Neveu! Das ist nun recht; da hast du ja auch eine Menge Papier und Farben? Gut! Was hast du hier für Sachen, wo hast du sie hergenommen?« Ich erwiderte, daß ich alles aus dem Kopfe gemacht hätte. »Ich will dir nun andere Aufgaben stellen«, sagte er, »du sollst nun unser Hofmaler sein! Gleich morgen sollst du versuchen, unser Haus zu zeichnen mit Gärten und Bäumen, und alles genau nachbilden! Auch kann ich dir manchen schönen Punkt in unserer Gegend zeigen, wo du interessante Prospekte aufnehmen magst; das wird dich üben und dir nützlich sein. Ich wollte selbst, ich hätte dergleichen geübt. Halt, ich kann dir einige hübsche Sachen zeigen, welche von einem Herrn herrühren, der vor dreißig Jahren oft bei uns zu Gast war, als wir immer Besuch aus der Stadt hatten. Er malte zu seinem Vergnügen in Öl, in Wasserfarben und stach in Kupfer oder radierte, wie er es nannte, und war geschickt, trotz einem Künstler!«

      Er holte eine uralte Mappe herbei, welche mit einer ansehnlichen Schnur umwickelt war, und indem er sie öffnete, sagte er »Ich habe bei Gott diese Dinge längst vergessen, ich seh sie selbst einmal gern wieder! Der gute Junker Felix liegt in Rom begraben, schon manches lange Jahr; er war ein alter Junggesell, trug gepuderte Haare und ein Zöpfchen noch anfangs der zwanziger Jahre; er malte und radierte den ganzen Tag, ausgenommen im Herbste, wo er mit uns jagte. Damals, zu Anfang der zwanziger Jahre, kamen ein paar junge Herren aus Italien zurück, worunter ein Malergenie. Diese Bursche machten einen Teufelslärm und behaupteten, die ganze alte Kunst sei verkommen und würde eben jetzt in Rom wiedergeboren von deutschen Männern. Alles, was vom Ende des vorigen Jahrhunderts her datiere, das Geschwätz des sogenannten Goethe von Hackert, Tischbein und dergleichen, das sei alles Lumperei, eine neue Zeit sei angebrochen. Diese Redensarten störten meinen armen Felix urplötzlich in seinem bisherigen Lebensfrieden; umsonst suchten ihn seine alten Künstlerfreunde, mit denen er schon manchen Zentner Tabak verraucht hatte, gelassen zur Ruhe zu bringen, indem sie sagten, er möge doch die jungen Fänte schreien lassen, die Zeit werde so gut über sie hinweggehen wie über uns! Alles umsonst! Eines Morgens schloß er seinen hagestolzlichen Kunsttempel zu und rannte wie verrückt nach dem St. Gotthard, hinüber und kam nicht wieder. Nachdem ihm die Halunken zu Rom den Zopf abgeschnitten bei einer Sauferei, verlor er allen Halt und alle Ehrbarkeit und starb in seinen alten Tagen nicht an Altersschwäche, sondern an dem römischen Wein und an den römischen Weibsbildern. Diese Mappe ließ er zufällig bei uns zurück.«

      Wir durchblätterten nun die vergilbten Papiere; es waren ein Dutzend Baumstudien in Kreide und Rotstift, nicht sehr körperlich und sicher gezeichnet, doch von einem tüchtigen dilettantischen Streben zeugend, nebst einigen verblaßten Farbenskizzen und einer großen in Öl gemalten Eiche. »Dies nannte er Baumschlag«, sagte mein Oheim, »und machte ein großes Wesen daraus. Das Geheimnis desselben hatte er im Jahre 1780 in Dresden erlernt bei seinem verehrten Meister Zink, oder wie er ihn nannte. Es gibt, pflegte er zu sagen, zwei Klassen von Bäumen, in welche alle zerfallen, in die mit runden und die mit gezackten Blättern. Daher gibt es zwei Manieren die gezackete Eichenmanier und die gerundete Lindenmanier! Wenn er bestrebt war, unsern jungen Damen das geläufige Schreiben dieser Manieren beizubringen, so sagte er, sie müßten sich vor allem an einen gewissen Takt gewöhnen, z.B. beim Zeichnen dieses oder jenes Baumschlages zähle ›Eins, zwei, drei – vier, fünf, sechs!‹ – ›Das ist ja der Walzertakt!‹ schrieen die Mädchen und begannen um ihn herumzutanzen, bis er wütend aufsprang, daß ihm der Zopf wackelte!«

      So gewann ich auf dem seltsamen Wege einer Tradition, deren Träger selbst der Sache fremd war, den ersten Anhaltspunkt. Ich betrachtete die Blätter stumm und aufmerksam und bat mir die Mappe zur freien Verfügung aus. Sie enthielt überdies noch eine Anzahl radierter Landschaften, einige Waterloos, einige idyllische Haine von Geßner mit sehr hübschen Bäumen, deren Poesie mich frappierte und sogleich einnahm, bis ich eine Radierung von Reinhart entdeckte, gelb und beschmutzt, knapp am Rande beschnitten, deren Kraft, Schwung und Gesundheit mächtig zu mir sprach und aus dem verzettelten Stückchen Papier gewaltig herausleuchtete. Während ich staunend das Blatt in der Hand hielt (ich hatte bis jetzt nie etwas wahrhaft Künstlerisches gesehen), kam der Oheim wieder und rief »Komm mit, Neveu Maler! der Herbst wird bald genug dasein, und da müssen wir sehen, wie es vorläufig um die Häslein und Füchslein, um Hühner und derlei Volk steht! Es ist ein schöner Abend, wir wollen ohne Gewehr ein bißchen auf den Anstand gehen, da kann ich dir zugleich hübsche Prospekte zeigen.«

      Er ergriff aus einem Winkel, wo eine Menge alter spanischer Rohre versammelt war, einen tüchtigen Stock, gab mir auch einen solchen, pustete aus seinem Waldhörnchen den abgebrannten Zigarrenstumpf heraus, daß er gewaltsam an die Decke flog, steckte einen frischen Glimmstengel hinein, pfiff aus dem Fenster in weithin schallenden Tönen, worauf sogleich die Hunde aus allen Ecken des Dorfes wie der Blitz herbeisprangen, und wir zogen, umgeben von den bellenden Tieren, dem abendlichen Bergwalde zu.

      Bald war die Meute weit voraus und im Gehölze verschwunden, aber kaum begannen wir die Höhe hinanzusteigen, so hörten wir sie über uns anschlagen und in voller Jagd am Berge hinziehen, daß die Schluchten widerhallten. Meinem Oheim lachte das Herz, er zog mich vorwärts und behauptete, wir müßten rasch nach einer kleinen Waldwiese eilen, um das Tier zu sehen; doch auf dem Wege horchte er auf und änderte die Richtung, indem er rief »Es ist bei Gott ein Fuchs! dorthin müssen wir gehen, schnell, pst!« Kaum hatten wir einen schmalen Pfad betreten, welcher neben einem trockenen Waldbache hinlief, zwischen zwei bewachsenen Abhängen, als er mich plötzlich anhielt und lautlos vorwärts wies, ein rötlicher Streif schoß still über Weg und Schlucht, herab, hinauf, und eine Minute nachher heulten die sechs Hunde hintendrein, rasend, toll! »Hast du ihn gesehen?« sagte der Oheim so vergnügt, als ob er am Vorabend seiner Hochzeit stände; dann fuhr er fort »Sie haben ihn verloren, doch in jenem Schlag müssen sie notwendig ein Häschen auftun! Wir wollen vollends hier hinaufgehen!« Wir gelangten auf eine kleine Hochebene, welche ein von der sinkenden Sonne gerötetes Haferfeld enthielt, umsäumt von stillglühenden Föhren. Hier hielten wir an und stellten uns am Rande auf, in wohligem