Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Название Gesammelte Werke von Gottfried Keller
Автор произведения Готфрид Келлер
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027225873



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vollständiger Herr geworden; eigentlich war er an sich schon mehr als unsereiner! Aber nun müsset Ihr aufmerken, Vetterlein, daß Ihr es auch zu was bringt und das zu Ende führet, was er angefangen hat. Allem Anscheine nach werdet Ihr für die Feder gut sein, sonderlich da Euch die Mutter gut schulen läßt, soviel wir hören, und was ehrenfest von ihr gehandelt ist. Da müsset Ihr vor allem aus nicht stolz werden und nicht so ein Fuchsschwanz, sondern Euch immerdar zu uns halten, damit Ihr ein rechter Volksmann werdet und wir auch was an Euch haben. Denn wir leiden in unserm Dorfe Not an gelehrten Leuten und müssen unseren Bezirksnachbaren trotz unserer starken Zahl bei Wahlen immer die Vorhand lassen, weil wir keine Federhelden aufbringen können. Wenn Ihr, gutes Vetterlein, daher etwas Rechtes werdet, so brauchet Ihr alsdann die Herren in der Stadt gar nicht, wir wollen Euch schon zu etwas machen. Obgleich Euer Vater schon lange tot ist und es dann noch länger sein wird, so hat er doch in dieser Gegend ein solches Andenken hinterlassen, und Ihr selbst seid so mitten unter uns bürgerlich, daß Ihr weiter keine Gunst brauchet als Euere Tüchtigkeit!«

      Diese Rede, an sich etwas zu früh an mich gerichtet, betrübte mich, daß ich ganz stillschwieg; denn erstens war es nun mit der Schule vorbei, was der Mann noch nicht wußte, und zweitens fühlte ich mich nicht nach dem Geschäftsleben hingezogen, fühlte vielmehr eine Art von Grauen vor demselben.

      Nachdem ich noch den Stall besehen und in der Scheune jeder Kuh eine Gabel voll Klee hinübergeschoben, verabschiedete ich mich; die Base ließ es sich aber nicht nehmen, mich ein Stück Weges zu begleiten, um mich schnell noch einer anderen Base vorzustellen, wo ich mich nicht lange aufzuhalten brauche für dieses Mal. Ich fand eine freundliche Matrone, nicht ganz von dem edlen und feinen Wesen meiner Großmutter, aber doch voll Anstand und Wohlwollen. Sie lebte allein mit einer Tochter, welche früher, einer häufigen Sitte gemäß, zwei Jahre in der Stadt gedient, dann einen vermöglichen Bauer geheiratet hatte, welcher bald gestorben, und nun Witwe bleiben wollte, wie sie versicherte, obgleich sie erst ungefähr dreißig Jahre alt war. Sie war von hohem und festem Wuchse, ihr Gesicht hatte den ausgeprägten Typus unserer Familie, aber durch eine seltsame Schönheit verklärt; besonders die großen braunen Augen und der Mund mit dem vollen üppigen Kinn machten augenblicklichen Eindruck. Dazu schmückte sie ein schweres dunkles, fast nicht zu bewältigendes Haar. Sie galt für eine Art Lorelei, obschon sie Judith hieß, auch niemand etwas Bestimmtes oder Nachteiliges von ihr wußte. Dies Weib trat nun herein, vom Garten kommend, etwas zurückgebogen, da sie in der Schürze eine Last frischgepflückter Ernteäpfel und darüber eine Masse gebrochener Blumen trug. Dies schüttete sie alles auf den Tisch, wie eine reizende Pomona, daß ein Gewirre von Form, Farbe und Duft sich auf der blanken Tafel verbreitete. Dann grüßte sie mich mit städtischem Akzente, indessen sie aus dem Schatten eines breiten Strohhutes neugierig auf mich herabsah, sagte, sie hätte Durst, holte ein Becken mit Milch herbei, füllte eine Schale davon und bot sie mir an; ich wollte sie ausschlagen, da ich schon genug genossen hatte, allein sie sagte lachend »Trinkt doch!« und machte Anstalt, mir das Gefäß an den Mund zu halten. Daher nahm ich es und schlürfte nun den marmorweißen und kühlen Trank mit einem Zuge hinunter und mit demselben ein unbeschreibliches Behagen, wobei ich sie ganz ruhevoll ansah und so ihrer stolzen Ruhe das Gleichgewicht hielt. Wäre sie ein Mädchen von meinem Alter gewesen, so hätte ich ohne Zweifel meine Unbefangenheit nicht bewahrt. Doch war dies alles nur ein Augenblick, und als ich mir darauf mit den Blumen zu schaffen machte, zwang sie gleich einen großen betäubenden Strauß von Rosen, Nelken und stark duftenden Kräutern zusammen und steckte mir denselben wie ein Almosen in die Hand; das alte Mütterchen füllte meine Taschen mit Äpfeln, daß ich nun, mit Gaben förmlich beladen, ohne Widerrede gedemütigt, von dannen zog, von sämtlichen Frauen zu fleißigem Besuche bei ihnen, wie bei den noch übrigen Verwandten, aufgefordert.

      Es war schon tiefer Nachmittag, als ich endlich das Haus meines Oheims wiederfand; es war verschlossen, weil alle Bewohner im Freien waren; doch wußte ich, daß ich durch Scheune und Stall ein Schlupfloch finden würde. In der Scheune sprang mir das Reh entgegen und schloß sich mir unverweilt an, da es ihm langweilig sein mochte, im Stalle sahen sich die Kühe, Unterhaltung fordernd, nach mir um, und ein lediges Rind tappte halbwegs auf mich zu, sah mich verwundert an und machte Anstalt, einen vertraulichen Satz gegen mich zu nehmen, daß ich mich furchtsam in den nächsten Raum salvierte, der ganz mit Ackergerätschaften und Holzgerümpel angefüllt war. Aus dem dunklen Wirrsal hervor schoß mit vergnüglichem Murren der Marder, welcher sich hier einsam amüsiert hatte, und saß mir im Augenblicke auf dem Kopfe, mir mit dem Schwanz um die Backen schlagend und vor Freude tollen Unsinn treibend, daß ich laut lachen mußte. So gelangte ich mit meiner Gesellschaft in den hellern, bewohnten Teil des Hauses und fand endlich die Wohnstube, wo ich meine Bürde von Blumen, Früchten und Tieren abwarf. Auf dem Tische stand mit Kreide geschrieben, wo ich zu essen finden würde, im Falle ich Lust hätte, nebst allerlei beigefügten Witzen des jungen Volkes; aber ich zog vor, mir das Geburtshaus meiner Mutter nun gemächlich anzusehen.

      Mein Oheim hatte schon seit einigen Jahren seiner geistlichen Pfründe entsagt, um sich ganz seinen Neigungen hinzugeben. Da der Staat ohnehin willens war, der Gemeinde ein neues Pfarrhaus zu bauen, kaufte der Oheim dazumal das alte Pfarrhaus von ihm, welches ursprünglich eigentlich der Landsitz eines Aristokraten gewesen war und daher steinerne Treppen mit Eisengeländern, in Gips gearbeitete Plafonds, einen Saal mit einem Kamine, viele Zimmer und Räume und überall eine Unzahl geschwärzter Ölgemälde enthielt, Tierstücke, Stilleben, Landschaften und Perückenbilder. In dieses Wesen hinein hatte der Oheim, unter das gleiche Dach, seine Landwirtschaft geschoben, indem er einen Teil der Wohnung herausgebrochen, daß sich beide Elemente, das junkerhafte und das bäuerliche, verschmolzen und durch wunderliche Türen und Durchgänge verbanden. Aus einem mit Jagden bemalten und mit alten theologischen Werken versehenen Zimmer sah man sich, wenn man eine Tapetentür öffnete, plötzlich auf den Heuboden versetzt, das Parkett und die Decke des Kaminsaales waren mit Falltüren versehen, welche mit Tenne und Speicher korrespondierten, und ich verwunderte mich nachher, als ich in dem kühlen und heitern Saale meinen Sitz aufgeschlagen und an nichts dachte, als plötzlich eine schwere Garbe aus dem Boden stieg, an einem Seile aufgezogen, und in den Gipsblumen der Decke wieder verschwand, wie ein Traum von den sieben fetten Jahren. Von der Decke dieses Saales hingen überdies große gläserne Kugeln herab, welche inwendig mit Herren und Damen in Reifröcken und Perücken, auf Papier gemalt, beklebt waren; dazwischen ein Kronleuchter, aus Hirschgeweihen zusammengesetzt, und neben der Flügeltür ragte eine in Holz geschnittene und bemalte Meerfrau aus der Wand, zwischen ihren Händen eine zierliche Walze haltend, über welche ehemals ein langes Handtuch gehangen wurde zu allgemeinem Gebrauche. Unter dem Dache fand ich eine kleine Mansarde, deren Wände mit alten Hirschfängern und Galanteriedegen sowie mit unbrauchbarem Schießgewehr bedeckt waren; eine überlange spanische Klinge mit herrlich gearbeitetem stählernem Griffe war ein seltenes Prachtstück und mochte schon seltsame Tage gesehen haben. Ein paar Folianten lagen bestäubt in der Ecke, in der Mitte des Zimmers stand ein mit Leder bezogener zerfetzter Lehnstuhl, so daß nur der Don Quixote fehlte, um das Ganze zu einem Bilde zu machen. Übrigens setzte ich mich behaglich hinein und dachte an den guten Herrn, dessen Geschichte ich, unter der Leitung meines ehemaligen Lehrers, aus dem Französischen des Mr. Florian übersetzt hatte. Ich hörte ein seltsames Geräusch, Gurren und Krabbeln an der Wand, schlug einen hölzernen Schieber zurück und steckte den Kopf hindurch in – den heißen Taubenschlag, welcher alsobald in solchen Alarm geriet, daß ich mich zurückziehen mußte. Ferner entdeckte ich die Schlafzimmer der Töchter, stille Gelasse mit grünen Fenstergärtchen und überdies von treuen Baumwipfeln bewacht, mit geretteten Stücken blumiger Tapeten bekleidet, wo die zahlreichen Rokokospiegel des ehemaligen Herrensitzes eine ehrenvolle Zurückgezogenheit gefunden hatten; so auch die große Kammer der Söhne, welche mit den Spuren einiger nicht zu tiefen Studien und den Werkzeugen des ländlichen Müßigganges, mit Angelzeug und Vogelgarnen, verziert war.

      Gegen Osten sahen die Fenster des Hauses in das Wirrsal von Obstbäumen und Dachgiebeln des Dorfes, aus welchem der erhöhte Kirchhof mit der schneeweißen Kirche wie eine geistliche Festung emporragte, nach der Abendseite schaute die hohe lange Fensterflucht des Saales über ein sattgrünes Wiesental, durch welches sich der Fluß in vielen Armen und Windungen buchstäblich silbern schlängelte, da er höchstens zwei Fuß tief war und wie Brunnenwasser in lebendigen heftigen Wellen über weißes Geschiebe floß. Jenseits dieses Wiesengrundes stieg eine waldige Berghalde