Название | Gesammelte Werke von Gottfried Keller |
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Автор произведения | Готфрид Келлер |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027225873 |
Ich wurde entlassen und ging etwas bewegt, doch gemächlich nach Hause; das Ganze schien mir nicht sehr würdig zu verlaufen. Zwar fühlte ich eine tiefe Reue, aber nur gegen den mißhandelten Lehrer. Zu Hause erzählte ich der Mutter den ganzen Vorgang, worauf sie mir eben eine Strafrede halten wollte, als ein Schuldiener hereintrat mit einem großen Briefe. Dieser enthielt die Nachricht, daß ich von Stund an und für immer von dem Besuche der Schule ausgeschlossen sei. Das Gefühl des Unwillens und erlittener Ungerechtigkeit, welches sich sogleich in mir äußerte, war so überzeugend, daß meine Mutter nicht länger bei meiner Schuld verweilte, sondern sich ihren eigenen bekümmerten Gefühlen überließ, da der große und allmächtige Staat einer hilflosen Witwe das einzige Kind vor die Türe gestellt hatte mit den Worten: Es ist nicht zu brauchen!
Wenn über die Rechtmäßigkeit der Todesstrafe ein tiefer und anhaltender Streit obwaltet, so kann man füglich die Frage, ob der Staat das Recht hat, ein Kind oder einen jungen Menschen, die gerade nicht tobsüchtig sind, von seinem Erziehungssysteme auszuschließen, zugleich mit in den Kauf nehmen. Gemäß jenem Vorgange wird man mir, wenn ich im spätern Leben in eine ähnliche ernstere Verwicklung gerate, bei gleichen Verhältnissen und Richtern, wahrscheinlich den Kopf abschlagen; denn ein Kind von der allgemeinen Erziehung ausschließen heißt nichts anderes, als seine innere Entwicklung, sein geistiges Leben köpfen. Der Staat hat nicht darnach zu fragen, ob die Bedingungen zu einer weiteren Privatausbildung vorhanden seien oder ob trotz seines Aufgebens das Leben den Aufgegebenen doch nicht fallenlasse, sondern manchmal noch etwas Rechtes aus ihm mache er hat sich nur an seine Pflicht zu erinnern, die Erziehung jedes seiner Kinder zu überwachen und zu Ende zu führen. Auch ist am Ende diese Erscheinung weniger wichtig in bezug auf das Schicksal solcher Ausgeschlossenen, als daß sie den wunden Fleck auch der besten unserer Einrichtungen bezeichnet, die moralische Faulheit nämlich, die Trägheit und Bequemlichkeit der mit diesen Dingen Beauftragten, derer, welche sich als Erzieher par excellence geben. Das Ausstoßen auch des nichtsnutzigsten Schülers ist nichts als ein Armutszeugnis, welches eine Schule sich gibt.
Der Kummer und die Niedergeschlagenheit meinerseits waren nicht allzu groß; ich hatte dem Lehrer des Französischen einige Bücher zurückzustellen, da er mir mit Wohlwollen ehrwürdige Franzbände französischer Klassiker zu leihen pflegte Auch führte er mich einige Male in einer großen Bibliothek umher, mir respektvolle Vorbegriffe vom Bücherwesen beibringend. Als ich zu ihm kam, drückte er mir sein Bedauern über das Geschehene aus und gab mir zu verstehen, wie ich es nicht allzu hoch aufzunehmen hätte, da seines Wissens die Mehrzahl der Lehrer, gleich ihm, nicht unzufrieden mit mir wären. Ferner lud er mich ein, ihn zu besuchen und seinen Rat zu holen, wenn ich Lust hätte, das Französische weiter zu betreiben. Ich sah ihn zwar nicht wieder im Wechsel der Zeit, aber seine Worte gaben mir eine gewisse Genugtuung, daß ich mich nun frei fühlte wie der Vogel in der Luft, zumal ich die Bedeutung des Augenblickes und die Wichtigkeit der Zukunft nicht zu übersehen vermochte.
Meine Mutter hingegen befand sich in großer Bedrängnis; sie konnte bestimmt annehmen, daß der Vater meine Schulbildung jetzt noch nicht abgeschlossen haben würde, wenn er noch lebte, und doch sah sie bei ihren beschränkten Mitteln keine Möglichkeit, mir Privatlehrer zu halten oder mich auf eine auswärtige Schule zu schicken, noch konnte sie sich den Beruf denken, welchen ich nun am besten ergriffe, da gerade für eine einsichtvollere Selbstbestimmung der erweiterte Gesichtskreis der nun verschlossenen höheren Klassen hätte Gelegenheit bieten sollen. Meine häusliche Beschäftigung hatte in letzter Zeit beinahe ausschließlich in Zeichnen und Malen bestanden, und auch in dieser Hinsicht befand ich mich in einem sonderbaren Verhältnis zur Schule. Dort galt ich für nichts weniger als für einen talentvollen Zeichner. Monatelang klebte der gleiche Bogen auf meinem Reißbrette, ich quälte mich verdrossen ab, einen kolossalen Kopf oder ein Ornament mit dem magern Bleistifte zu kopieren, Dutzende von Linien wurden ausgelöscht und blieben halb sichtbar, bis die richtige stehenblieb, das Papier wurde beschmutzt und durchgerieben und verkündete einen faulen und verdrießlichen Zeichner. Sobald ich aber nach Hause kam, warf ich diese Schulkunst beiseite und machte mich mit eifrigem Fleiße hinter meine Hauskunst. Nach jenem ersten Versuche, eine gemalte Landschaft zu kopieren, hatte ich fortgefahren, dergleichen Gebilde in Wasserfarben hervorzubringen; da ich nun aber weiter keine Vorbilder besaß, mußte ich sie auf eigene Faust ins Leben rufen und tat dieses mit anhaltendem und dankbarem Fleiße. Der gemalte Ofen unserer Stube enthielt eine Menge ganz naiv poetischer kleiner Landschaftsmotive, eine Burg, eine Brücke, einige Säulen an einem See und solches mehr; ein altes Stammbuch der Mutter sowie eine kleine Bibliothek verjährter Damenkalender aus ihrer Jugend bargen einen Schatz sentimentaler Landschaftsbilder, dem lyrischen Texte entsprechend, mit Tempeln, Altären und Schwänen auf Teichen, mit Liebespaaren, in Kähnen sitzend, und dunklen Hainen, deren Bäume mir unvergleichlich gestochen schienen. Aus allem diesem zusammen bildete sich eine höchst unschuldige und sozusagen elementare Poesie, welche meinem eifrigen Machen zugrunde lag und mich während desselben beglückte. Ich erfand eigene Landschaften, worin ich alle poetischen Motive reichlich zusammenhäufte, und ging von diesen auf solche über, in denen ein einzelnes vorherrschte, zu welchem ich immer den gleichen Wanderer in Beziehung brachte, unter dem ich, halb unbewußt, mein eigenes Wesen ausdrückte. Denn nach dem immerwährenden Mißlingen meines Zusammentreffens mit der übrigen Welt hatte eine ungebührliche Selbstbeschauung und Eigenliebe angefangen mich zu beschleichen, ich fühlte ein weichliches Mitleid mit mir selbst und liebte es, meine symbolische Person in die interessanten Szenen zu versetzen, welche ich erfand. Diese Figur, in einem grünen, romantisch geschnittenen Kleide, eine Reisetasche auf dem Rücken, starrte in Abendröten und Regenbogen, ging auf Kirchhöfen oder im Walde oder wandelte auch wohl in glückseligen Gärten voll Blumen und bunter Vögel. Das Machwerk an der beträchtlichen Sammlung solcher Bilder, welche sich bereits angehäuft hatte, blieb immer auf dem nämlichen Standpunkte gänzlicher Erfahrungs- und Unterrichtslosigkeit; nur eine gewisse Keckheit und Fertigkeit im Auftragen der grellen Farben, welche ich durch die unablässige Übung erwarb, verbunden mit der kühnen Absicht meiner Unternehmungen überhaupt, unterschied mein Treiben einigermaßen von sonstigen knabenhaften Spielen mit Bleistift und Farbe und mochte meinen vorläufigen Ausspruch, daß ich ein Maler werden wolle, veranlassen. Doch wurde jetzt nicht näher darauf eingegangen, sondern bestimmt, daß ich einige Zeit in dem ländlichen Pfarrhause bei meinem mütterlichen Oheime zubringen sollte, um über die nächsten Monate meines Ungemaches auf gute Weise hinwegzukommen, indessen eine taugliche Zukunft für mich ermittelt würde. Das Heimatdorf lag in einem äußersten Winkel des Ländchens, ich war noch nie dort gewesen, so wie auch meine Mutter seit meinem Gedenken es nie mehr besucht hatte und die dortigen Verwandten, mit seltenen Ausnahmen, nie in der Stadt erschienen. Nur der Oheim Pfarrer kam jedes Jahr einmal auf seinem Klepper geritten, um an einer Kirchenversammlung teilzunehmen, und schied immer mit jovialen Einladungen, endlich einmal hinauszuwandern. Er erfreute sich eines halben Dutzends Söhne und Töchter, welche mir noch so unbekannt waren wie ihre Mutter, meine rüstige Muhme und geistliche Bäuerin. Außerdem lebten dort zahlreiche Verwandte des Vaters, vor allen auch seine leibliche Mutter, eine hochbejahrte Frau, welche, schon längst an einen zweiten, reichen und finstern Mann verheiratet, unter dessen harter Herrschaft in tiefer Zurückgezogenheit lebte und nur selten mit den Hinterlassenen ihres früh gestorbenen Sohnes einen sehnsüchtigen Gruß aus der Ferne wechselte. Das Volk lebte noch in der stillen Einschränkung und Entsagung vergangener Jahrhunderte, wo besonders die Frauen, wenn sie einmal durch einige Meilen getrennt waren, einander nicht wieder oder