Название | Gesammelte Werke von Gottfried Keller |
---|---|
Автор произведения | Готфрид Келлер |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027225873 |
Auf den ersten Sonntag meiner Anwesenheit war schon ein Besuch verabredet worden, welchen wir jungen Leute hinter dem Walde abstatten wollten. Dort wohnte auf einem einsamen und abgelegenen Hofe ein Bruder meiner Muhme mit einer jungen Tochter, welche mit meinen Basen eine eifrige Mädchenfreundschaft pflag. Ihr Vater war früher Dorfschulmeister gewesen, hatte aber nach dem Tode seiner Frau sich in jenen beschaulichen Waldhof zurückgezogen, da er ein hinlängliches Vermögen besaß und das gerade Gegenteil meines Oheims darstellte. Während dieser, von städtischer Abkunft und in einigen geistlichen Studien aufgewachsen, dieses alles hinter sich geworfen und vergessen hatte, um sich ganz der braunen Ackererde und dem wilden Forste hinzugeben, strebte jener, von bäuerischem Herkommen und dürftiger Bildung, allein nach milden und feinen Sitten, nach dem Leben und Ruhme eines Weisen und Gerechten und vertiefte sich in beschauliche geistliche und philosophische Spekulationen, betrachtete die Natur nach Anleitung allerlei seltsamer Bücher und freute sich, vernünftige Gespräche anzuknüpfen, sooft sich hiezu die Gelegenheit bot, wobei er eine große Artigkeit zu entfalten bestrebt war. Sein Töchterchen, ungefähr von vierzehn Jahren, lebte still und fein in dem milden Lichte solcher Gesinnungsweise und stellte nach den Wünschen ihres Vaters eher ein zartes Pfarrerskind vor denn eine Landmannstochter, indessen die weibliche Nachkommenschaft meines Oheims, zur derben Arbeit gehalten, einen starken Anhauch von Regen und Sonnenschein zeigte, welcher sie aber viel eher zierte als entstellte und dem Glanze ihrer frischen Augen entsprach.
Meine drei Basen, von zwanzig, sechszehn und vierzehn Jahren, mit städtisch verwelschten Namen: Margot, Lisette und Caton, hielten am Sonntagnachmittag lange Konferenz in ihren Kämmerchen, einander wechselseitig besuchend und die Türen hinter sich abschließend. Wir Bursche, deren Toilette längst beendigt war, harrten ungeduldig und konnten nur durch Schlüssellöcher und Türspalten bemerken, daß die Kleiderschränke weit geöffnet und die Mädchen mit wichtigen Gebärden ratschlagend davorstanden. Ein starker Geruch verschiedener Spezereien verbreitete sich und bildete mit den neuen Stoffen und Siebensächelchen, welche in den Schränken lagen, jenen behaglichen Duft, der sich aus geöffneten Frauenschränken oder sonstigen Mobilien entwickelt. Um uns die Zeit zu vertreiben, begannen wir die andächtigen Töchter zu necken und drangen endlich mit hellem Haufen in ihre Mitte, über einen mächtigen Schrank herfallend, um die Nasen in die hundert Schächtelchen, Büchschen und Heimlichkeiten zu stecken. Aber mit dem Mute wilder Löwinnen, denen man die Jungen rauben will, wurden wir hinausgeworfen und führten vor den Türen einen vergeblichen Kampf, dieselben wieder aufzubrechen. Da gingen sie mit einem Male nach einer kurzen Stille von selber auf, und heraus traten, verschämt und unwillig, und doch siegbewußt, die drei armen Kinder, bunt und prächtig, nach der vorjährigen Mode gekleidet, mit vorweltlichen Parasols und wunderbar geformten Ridiküls, der eine einem Sterne gleich, der andere einem Halbmonde, der dritte ein Mittelding zwischen Säbeltasche und Lyra.
Dies alles mußte um so größern Eindruck machen, wenn man bedachte, daß die guten Mädchen Autodidaktinnen waren und in Sachen des Putzes ganz allein und ratlos in der Welt dastanden; denn ihre Mutter hatte einen Abscheu vor aller Stadtkleidung und riß jedesmal, wenn sie aus der Kirche kam, die furchtbare Horiahaube, welche sie als Pfarrfrau trug, sogleich herunter. Die Damen des neuen Pfarrers, außerdem die einzigen im Dorfe, waren stolz, unzugänglich und bezogen ihren Putz fertig aus der Stadt. So waren meine Basen ganz auf sich selbst, auf eine intelligente Dorfnähterin und auf einige Traditionen des Hauses gewiesen, welche sie als eifrige Forscherinnen der dunklen Vergangenheit entlockten. Deswegen waren ihre Erfolge doppelt achtungswert, und wenn wir sie mit einem spöttischen Ah! empfingen bei ihrer heutigen Erscheinung, so war dieser Spott nur ein verstellter und die Maske einer aufrichtigen Bewunderung.
Indessen entsprach unsere Tracht an kühner und eleganter Mischung vollkommen derjenigen der Jungfrauen. Die Vettern trugen Jacken von ziemlich grobem Tuche, welchen aber der Dorfschneider in Betracht ihres Ranges einen kecken, ja höchst gewagten Zuschnitt gegeben hatte, indem er in die tiefsten Abgründe seiner Phantasie und Erfahrung hinuntergestiegen. Diese Jacken waren mit einer Unzahl blanker Knöpfe besetzt, auf welchen die Tiere des Waldes gepreßt in jagdgerechten Sprüngen erschienen und welche der Oheim einst bei guter Gelegenheit en gros eingehandelt und sich so für Kind und Kindeskind versehen hatte. Die abgefallenen Stücke dieser Zierat gingen unter der Dorfjugend als gangbare Münze und wogen beim Spiele sechs Horn- oder Bleiknöpfe auf. Daher mochte es kommen, daß die Jacken des jüngsten Sohnes, welcher noch in lebhaftem Verkehre mit den Knopfkapitalisten stand, äußerlich immer dieser Zierde beraubt waren und sie dagegen im Innern ihrer Taschen verbargen, daß sogar den Kleidungsstücken der älteren Brüder mehr Knöpfe abgingen, als nach der Haltbarkeit des derben Zwirnes jenes Jackendichters zu berechnen war. Ich selber trug zu meinem grünen Soldatenrock mit roten Schnürchen weiße Beinkleider, keine Weste über dem burschikosen Hemde, hingegen das rote Seidentuch der Großmutter malerisch umgeschlungen, und überdies hing die goldene Uhr meines Vaters, die ich ererbt, aber nie recht in Ordnung zu halten verstand, an einem tüchtigen blauen Bande mit gestickten Blumen, das ich den Schachteln meiner Mutter entnommen hatte. Von der Mütze hatte ich längst den philisteriösen Schirm abgetrennt, daß sie die Stirn frei ließ, und ich hätte wie ein vollendeter Jahrmarktsbursche ausgesehen, wenn nicht die Unschuld und Schüchternheit des Alters den unbescheidenen Aufzug gemildert hätten. Menschen, welche etwas Besseres und Tieferes ahnen und wünschen, werden sich, wie ich glaube, mehr und mehr aller lächerlichen Äußerlichkeiten enthalten, je mehr sie dem geahnten Inhalte durch Erfahrung und Tat nahe treten; je mehr sie aber noch davon entfernt sind, desto ängstlicher klammern sie sich an solche Schnörkeleien. Allein gerade diese Äußerlichkeit verhindert oft das Innere, sich rasch zu entwickeln, wenn nicht ein Mann und Vater vorhanden ist, welcher sie mit gesundem Spotte beschneidet und unterdrückt, indessen er dem aufstrebenden Sohne das Wahre mit fester Hand vorzeichnet.
Man konnte auf zwei Wegen zu der Wohnung des alten Schulmeisters gelangen entweder mußten wir einen langgedehnten Berg hinter dem Dorfe ersteigen und, längs auf demselben fortgehend, endlich jenseits niedersteigen, wo wieder ein Tal lag, ähnlich dem unserigen, nur kleiner und runder und beinahe ganz mit einem tiefen dunklen See erfüllt; oder wir konnten längs des Flusses unser Tal durchwandern und mit dem in Gehölzen sich verlierenden Wasser um den Berg herum an den See gelangen, in welchen jenes sich ergoß und an welchem das befreundete Halls lag.
Wir zogen es vor, mit dem kurzweiligen Flüßchen den Hinweg zurückzulegen und erst in der Abendkühle über den Berg heimzukehren, und unsere bunte, weithin glänzende Gesellschaft bewegte sich bald durch das grüne Tal hin, bis wir in eine reizende Wildnis gelangten, wo der Wald von beiden Seiten an das Gewässer niederstieg und dasselbe kühl und dunkel überschattete. Bald faßte er es mit undurchdringlichen Laubwänden ein, daß wir die überhangenden Zweige zurückbiegen mußten, bald weitete er sich aus und ließ eine Schar lichter, hoher Tannen auf sonnigem Boden vorrücken, dann lagen herabgestürzte Felsblöcke am Rande und im Wasser und verursachten Wasserfälle, indessen zurückgebliebene Trümmer aus dem Gebüsche der Abhänge hervorragten; kleine Seitenwege lockten ins Dunkel, und Überall enthüllten sich die lieblichsten Geheimnisse. Die roten, blauen und weißen Gewänder der Mädchen leuchteten herrlich in dem dunklen Grün, die Vettern sprangen von Stein zu Stein, daß ihre Goldknöpfe aufblitzten und mit den Silberkringeln der Wellen wetteiferten. Allerhand Getier machte sich sichtbar, hier sahen wir die Federn einer Taube, die unzweifelhaft von einem Raubvogel zerrissen worden, dort schoß eine Schlange durch die Uferwellen über die glatten Kiesel hin, und in einer abgetrennten Untiefe hatte sich eine schimmernde Forelle gefangen, welche mit ihrer Schnauze ängstlich an den abschließenden Steinen herumtastete, bei unserer Annäherung aber einen Salto mortale machte und im strömenden Elemente verschwand.
So waren wir unbemerkt um den Berg herumgekommen, die holde Wildnis erweiterte sich und ließ mit einem Male den stillen dunkelblauen, mit Silber besprengten See sehen, der mit seiner friedevollen Umgebung im lautlosen Glanze eines Sonntagnachmittages ruhte. Ein schmaler Streifen bebauter Erde zog sich um den See herum, hinter demselben setzte sich überall der ansteigende Wald fort, welcher aber da und dort wieder ein stilles Ackerfeld bergen mußte, da hier und da ein rotes Dach oder eine blaue Rauchsäule aus dem Dickicht emporstieg. Nur auf der Sonnenseite lag ein ansehnlicher Weinberg und zu Füßen desselben