Название | PRIMORDIA 2 - Die Rückkehr zur vergessenen Welt |
---|---|
Автор произведения | Greig Beck |
Жанр | Языкознание |
Серия | Primordia |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783958354210 |
KAPITEL 1
Venezuela, tief im Amazonas, auf einem unbekannten Tafelberg
Emma hockte sich hin und griff eine Handvoll Geröll. Sie schaute sich die verwitterten Steinfragmente an und rieb sie nachdenklich mit ihrem Daumen, bevor sie sie wieder fallen ließ.
Sie lehnte ihre Unterarme auf die Knie und drehte langsam den Kopf, wobei sie die Wangen aufblies. Dieser Ort, dieser Tafelberg, in der Landessprache Tepui genannt, befand sich in der Mitte des Nirgendwo, er war nicht kartografiert und nicht erforscht.
Und warum sollte er auch?, dachte sie. Er war wie die Oberfläche eines fremden Planeten – von Rissen durchzogen, ein paar Pfützen hier und da, karge Bäume und ein paar steife Gräser.
Sie schaute sich weiter um und suchte nach etwas, nach irgendeinem Anzeichen, dass hier einmal etwas anderes gewesen war. Während sie so dasaß, kam ein kleiner Sandfisch unter einem flachen Stein hervorgekrochen und verfolgte ein winziges Insekt. Sie schaute zu, wie das Reptil mit seinen purpurroten Augen in zuckenden Bewegungen auf sein Opfer zustürmte.
Desinteressiert wandte sich Emma ab. Hier war nichts, hier gab es keine Geheimnisse zu entdecken. Wenn die feuchteste Jahreszeit zurückkehren würde, so wie sie das wahrscheinlich seit Tausenden oder Millionen von Jahren tat, dann würde alles, was hier war, begraben, versteckt oder sogar zerstört werden. Stattdessen würde man wieder das vorfinden, was vor 100 Millionen Jahren hier existierte. Nur an diesem einen, bestimmten Ort in der Welt.
Was sie verloren hatte, würde sie dann vielleicht wiederfinden können. Sie legte eine Handfläche auf den sonnengewärmten Boden. »Bist du da, Ben?«
Sie hielt einen Moment inne, dann ließ sie die Finger über die Oberfläche des uralten Felsens gleiten. Sie wusste, dass keine Antwort kommen würde – nicht, bevor noch weitere zwei Jahre vergingen und die richtige Zeit gekommen war.
Hinter ihr wartete ein riesiger Helikopter. Der Pilot sah ihr regungslos zu, schließlich war er großzügig dafür bezahlt worden, sein Fluggerät mit zusätzlichen Treibstofftanks auszustatten und darüber hinaus sein völliges Stillschweigen über diese Flüge zuzusichern.
Sie konnte sich sehr gut vorstellen, was er dachte. Vermutlich das gleiche, was jeder andere dachte, dem sie von ihrem Abenteuer erzählt hatte: Dschungelfieber, Halluzinationen, posttraumatische Störungen oder pure Wahnvorstellungen. Das alles waren Vorwürfe, die sie sich bereits hatte anhören müssen.
Doch sie kannte die Wahrheit und schaute auf in den strahlend blauen Himmel. Eines Tages würde der verhängnisvolle Streifen dort auftauchen; der Schweif von Komet P/2018-YG874, genannt Primordia. Erst würde er eine Aurora Australis in der Atmosphäre entstehen lassen und dann würde sein kraftvolles Magnetfeld Raum und Zeit an der Erdoberfläche verzerren. Ein Durchgang würde sich öffnen, genau hier, und sie würde darauf warten.
Emma Wilson stand auf und drehte sich um, wobei sie ihren Zeigefinger hocherhoben in der Luft rotieren ließ. Der Pilot startete sofort die Motoren und die riesigen Rotorblätter setzten sich in Bewegung.
Sie war soweit fertig mit ihren Vorbereitungen, doch eine Sache gab es noch, die sie tun musste.
KAPITEL 2
Venezuela, Caracas, Museum der Wissenschaften
Emma stieg aus dem Taxi und stand nun vor dem bemerkenswerten Gebäude, dessen fantastische Skulpturen und Ornamente von dem großartigen Künstler Francisco Narvaez stammten.
Sie ließ die gesamte Opulenz der Fassade des Museums auf sich wirken, das eines der ältesten des Landes war. Als es eröffnet wurde, nannte man es das naturwissenschaftliche Museum, doch im Laufe der Zeit wurde der Name auf Museo de Ciencias verkürzt – das Museum der Wissenschaften – um der im Verlauf der Jahre immer weiter gefassten Ausrichtung gerecht zu werden. Es war aber auch egal, wie man es nun genau nannte – wie die meisten Orte, die der öffentlichen Bildung dienten, lag es im Sterben. Ein Opfer der schnelllebigen Zeit des Internets und all seiner jederzeit verfügbaren Informationen.
Emma war aus einem ganz bestimmten Grund hierhergekommen. Obwohl es hier einige der besten Sammlungen aus den Bereichen Archäologie, Anthropologie, Paläontologie und Herpetologie des ganzen Landes zu sehen gab, interessierte sie sich für nur eine einzige Sache.
Sie lief die Treppe hinauf und auf die riesigen Türen zu, wobei sie ihr geisterhaftes Abbild in den Glasscheiben sah. Sie waren derart poliert, dass sie wie Spiegel wirkten, und sie betrachtete ihr eigenes Abbild: Die leuchtend grünen Augen, die braunen Haare, die im direkten Sonnenlicht schimmernde, rötliche Akzente hatten, und hier und da gab es noch einige Sommersprossen auf ihren Wangen und der Stupsnase.
Doch als sie näher kam, wurde dieses Abbild immer klarer und detaillierter. Emma blieb für einen Moment stehen und schaute genauer hin. Sie hatte eine Strähne silbrigen Haares direkt über der Stirn, die sie nicht zu färben gedachte, in ihren Augenwinkeln hatten sich zahlreiche Falten gebildet, weil sie so oft in grellem Sonnenlicht unterwegs war. Dazu gab es eine deutliche vertikale Linie mitten auf ihrer Stirn, wahrscheinlich aufgrund von Sorgen. Ihr Gesicht wirkte älter, weiser, und so mancher würde vielleicht sagen: traumatisiert.
Dann ist das eben so, dachte sie, als sie den Kopf schüttelte und die schweren Türen beiseiteschob und sofort eine Erleichterung von der venezolanischen Hitze verspürte. Tief atmete sie den Geruch von altem Holz und Papier ein, von Bohnerwachs und etwas, das vielleicht Konservierungsmittel sein konnte.
Als sie das Klackern sich schnell nähernder Schritte auf dem Marmorboden bemerkte, drehte sie sich um und winkte einem kleinen Mann mittleren Alters zu, der perfekt gepflegtes, zurückgekämmtes, graues Haar hatte und einen makellosen dreiteiligen Anzug trug. Sie ergriff seine ausgestreckte Hand und griff fest zu. Sie musste ihn auf ihre Seite bringen, und zwar schnell.
»Herzliche Grüße, Misses Wilson!« Der Mann strahlte sie an. »War Ihre Reise zufriedenstellend?«
Sie nickte. »Ja, vielen Dank, Señor Alvarez. Sie sind ja in natura genauso gut aussehend wie auf den Fotos!«
Der Mann strahlte weiter, wurde aber auch etwas rot. Er schüttelte ihre Hand noch ein paar Sekunden länger und wirkte verlegen wie ein Schuljunge.
»Ach, eigentlich brauche ich neue Porträts.« Er deutet auf seinen Kopf. »Meine Haare sind ja inzwischen komplett ergraut.«
»Das steht Ihnen.« Emma sah sich um. »Ein wunderschönes Museum! Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, mich zu empfangen.«
Er drehte sich um und berührte sie am Ellbogen, wobei seine andere Hand auf einen Gang zeigte. »Ach wissen Sie, bei uns ist es in letzter Zeit sehr ruhig.« Seine Mundwinkel wanderten abwärts. »Die jungen Leute heutzutage sind ungeduldig, sie holen sich ihr Wissen, und vielleicht sogar ihre Weltsicht, aus dem Internet.« Er seufzte.
»Ich weiß, aber die wissen gar nicht, was sie verpassen«, antwortete Emma.
Die beiden liefen schweigend den Gang hinunter, wobei die einzigen Geräusche ihre Schritte auf dem polierten Boden waren, hin und wieder das Quietschen einer der schweren Türen, die sie passierten.
Alvarez hatte nicht übertrieben, stellte Emma fest, denn sie schienen den ganzen Laden für sich allein zu haben. Der kleine Mann hatte beim Gehen die Hände in die Taschen gesteckt und drehte seinen Kopf in ihre Richtung.
»Sie waren also schon mal in unserem Land? Und im Amazonas?«
»Ja, vor acht Jahren.« Sie schnaubte leise. »Vor acht Jahren, drei Wochen und zwei Tagen, um genau zu sein.«
Alvarez'