Sussik ist mein Freund. Ich werde nachher noch genügend von ihm zu reden haben.
Mein Schreibtisch steht in einem Leinenzelt, das unter einer Schicht Flugsand sich viele Jahre tadellos konserviert hatte. Sogar die in Schwarz aufgedruckte Londoner Firma, die es einst für die verschollene Expedition geliefert hatte, ist noch zu entziffern.
In diesem geräumigen Zelt hause ich zusammen mit Sussik. Es steht dicht neben dem uralten Gemäuer an der Westseite der Oase, an den ehrwürdigen Resten eines nubischen Tempels, die der Antilopenjäger Gupa zum Ausspannen der Felle benutzt. Das Mauerwerk hat so zahllose Risse, in die man bequem die Spannpflöcke hineintreiben kann. Zuweilen sperrt Gupa dann ohne Absicht ein Chamäleon oder eine andere Art Eidechsen durch die straffe Haut in eine Spalte ein, und die armen Viecher müssen fasten. Es schadet ihnen nichts.
Neben meinem Zelt wohnt in einem zweiten der Mann aus dem Weißen Rößl, Herr Tübbicke, und das dritte Zelt gehört Gupa, der meist hoch zu Dromedar mit A. A. A. abwesend ist. Sie jagen.
Und die Oase?
Tübbicke hat sie »Olaf« getauft, aber das war Unsinn, es ist einfach die Oase, unsere Oase. Ich gehe jede Wette ein, daß wir die ersten Europäer sind, Tübbicke und ich, die hier längere Zeit verweilten. Die, die vor uns hier waren, hatten wohl allen Grund, schleunigst wieder abzuziehen. Die langen Speere der Bischarin sind wohl noch von den unruhigen Zeiten der Madhisten-Aufstände her so verdammt scharf.
Unsere Oase liegt etwa am Südrande der Nubischen Wüste. Etwa. Ich bin kein Geometer, und die Vermessung dieses Gebietes von 400 000 Quadratkilometer hat bisher nicht stattgefunden. Sie liegt dort, wo die große Karawanenstraße von Assuan nach Berber den Bir Schikr berührt, — und dann nach Nordosten zu — irgendwo zwischen den gelben ungeheuren Dünen von Flugsand, der so leicht ist, daß jeder Lufthauch ihn in Bewegung bringt. So locker ist dieser eigentümliche Sand, daß die Bischarin ihn wie die Pest meiden. Kein Menschenfuß, kein Dromedarhuf, kein Eselsbein ist diesem Pulverstaub gewachsen. Wie wir diese Dünen, die von den Bischarin so treffend mit »Berge, die fließen«, bezeichnet werden, passieren konnten, dankten wir der finsteren Lady Jane.
Was ich seinerzeit auf der Schule über Nubien gelernt hatte, war spottwenig gewesen. Wir hatten da in meiner Heimatstadt Göteborg einen Geographielehrer, der als Junggeselle in einem Gasthaus speiste, stets »Mittagsschoppen« einhielt und, da die Geographiestunden nachmittags lagen, fast regelmäßig auf dem Katheder sanft einschlief und den Lehrstoff von einem von uns vorlesen ließ. Daß der Vorleser dabei mit Skat spielte oder mit uns sonstigen Unfug trieb, schadete unseren Kenntnissen bedenklich. Später als Student und Ingenieur hatte ich für Aegypten, Nubien und den Sudan auch nur mäßiges Interesse. Erst als wir drei, A. A. A., Gupa, ich (und Wrangel) gezwungen waren, den kleinen Spazierritt ins Nubische hinein zu wagen, — als wir dann gerade zur Zeit die Ueberbleibsel der schon erwähnten verschollenen Goldexpedition ausbuddelten, stieß ich dabei in einer der Kisten auf des Franzosen Moiree dickes Werk über Aegypten, ich nahm es mit, es liegt nun als einziges Buch hier auf meinem steinernen Schreibtisch — aufgeschlagen, und ich habe soeben bei einer Morgenzigarre abermals darin studiert und fand viel Wissenswertes.
Für den Durchschnittsgebildeten ist Nubien (es sei denn, er hätte Karl Mays »Im Reiche des Madhi« gelesen) ein Teil von Aegypten, in dem »Neger« wohnen. Für den reichen Globetrotter ist Nubien eine endlose Wüste, die man mit dem Luxuszug Wadi Halfa—Berber schleunigst durchquert, um recht rasch nach dem fruchtbareren Sudan und nach Chartum zu gelangen, wo es vornehme Hotels, Jazzband, Wasserspülung, Eisfabriken und ähnlich wichtige Dinge gibt.
Nubien war einst ein Kulturreich, ebenso mächtig wie das nördlichere Pharaonenland.
Es war …
Jahrtausende ließen von dieser Kultur nur noch steinerne Denkmäler übrig. Fremde Völkerschaften verdrängten die Ureinwohner, dieses ungeheure Gebiet von 750 000 Quadratkilometer zählt heute kaum eine Million Einwohner, die Madhisten-Kriege schlachteten ein Drittel der Bevölkerung hin, — als es dann mit der Herrschaft des Madhi zu Ende ging, als die Engländer als die wahren Herren ihre Geschäftstüchtigkeit auch auf die Ausbeutung der uralten Goldminen ausdehnten, war die Nubische Wüste als Nordteil Nubiens für wenige Jahre an den Börsen sattsam bekannt.
Auch Aegypten hat also seine Periode des Goldtaumels gehabt, wie Kalifornien, Alaska, Südafrika. Wer weiß heute noch etwas davon?! 1906 war diese Massensuggestion verpufft. Viele Millionen waren zwecklos für Expeditionen ausgegeben worden, die nach Goldfundstellen suchen sollten. Fünfunddreißig solcher Expeditionen haben die Einöden durchquert … Spekulanten erschossen sich, als die Schwindelaktien der zahlreichen verheißungsvollen Gesellschaften nicht einmal mehr als Tapeten verwendbar waren …
Und doch steht fest, daß die Aegypter hier einst phantastische Goldmengen durch ihre Sklaven schürfen ließen. Steininschriften beweisen es. Goldkarawanen führten das edle Metall in langen Barren gen Norden, nicht etwa Kamelkarawanen, denn das Kamel und das Dromedar wurden erst später von Arabien her eingeführt. Esel und Pferde besorgten diese Transporte, die stets unter dem Schutze von Bewaffneten nordwärts zogen. Schon damals gab es dieselben Karawanenstraßen wie heute, schon damals war die Gilde der Wüstenräuber äußerst rührig — heute sind diese unbequemen Leute seltener und vorsichtiger. So manche jener Goldkarawanen erreichte nie ihr Ziel. Die schwarzbraunen Banditen flüchteten mit dem Golde, — ein Sandsturm kam, und Gold und Banditen schliefen den ewigen Schlaf unter meterhohen Sandwehen …
So schreibt Moiree …Er schreibt Viel Wissenswertes.
Aber Moiree kannte nicht Lady Jane und Lord James Cordy und uns Vier … Dann hätte er noch weit Interessanteres berichten können. Er kannte auch unsere Oase nicht — unsere grüne, wundervolle Oase, eingebettet in dunklen Granit, umsäumt von gelben Sanddünen …
Wenn ich durch den Zelteingang hinausschaue über dieses kleine Paradies, sehe ich die Sonne auf dem blanken Spiegel des einzigen Sees glänzen … Prächtige Kraniche, schwarze Störche und melancholische Marabus, die sich rasch an unsere Gegenwart gewöhnt haben, stehen halb im Wasser und lauern den zahllosen Fröschen auf. In den Palmenkronen lauern große weißköpfige Geier auf Gupas Jagdbeute. Gupa spendet ihnen regelmäßig die Innenteile, und wenn er guter Laune ist, wirft er ihnen auch einmal einen ganzen Schakal hin oder einen langohrigen Fennek …
Heute haben wir sanften Wind. Die Dornbüsche, die Tamarinden und Gummiakazien rauschen fast heimatlich. Aber drüben sitzt mein Freund Sussik und bringt seine Frisur wieder in Ordnung, und damit schwindet jeder Gedanke an meine nordischen Kindheitsstätten. Sussik kaut nämlich Hammeltalg — so lange, bis er einen schaumigen Kloß im Munde hat, und damit reibt er seinen schwarzen Bubikopf ein, weil nur derart präparierter Hammeltalg in der sengenden Sonne nicht zerfließt … —
A. A. A. und Gupa sind morgens wieder davongeritten. Es gibt nur einen einzigen Pfad durch die »fließenden Berge«. Wir kennen ihn, aber andere kennen ihn auch , und auf diese anderen warten wir. Drei Wochen sind wir nun hier. Wir haben Geduld. Sie werden kommen. Dann müssen all die dunklen Fragen sich klären. Wir fürchten keine Ueberraschung, denn wir haben uns wirksam geschützt. Unsere Oase ist eine Festung mit unersteigbaren Wällen, und die einzige »Leiter« ist sorgsam »verlegt« …Mein Feind Cordy wird ein sehr langes Gesicht machen, wenn er den »Pfad« nicht mehr vorfindet. Ich liebe lange Gesichter, ich liebe sie, ohne schadenfroh veranlagt zu sein … Wera hat auch ein längliches, feines Antlitz.
Wera?!
Fünf Wochen, nein sechs — sechs Wochen sind es her, seit wir die Fährte Lord Cordys im Wadi Arabah verloren durch einen der so seltenen, kurzen Platzregen. Gegen Regenwäsche ist auch Wrangels Nase machtlos, und als die Dunkelheit kam, gaben wir es auf, nach Weras Entführern zu suchen und lagerten in einer jener Kalksteinhöhlen, die besser sind als ein Luxushotel — billiger jedenfalls.