Die zweifelhafte Miss DeLancey. Carolyn Miller

Читать онлайн.
Название Die zweifelhafte Miss DeLancey
Автор произведения Carolyn Miller
Жанр Языкознание
Серия Regency-Romantik
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783775174862



Скачать книгу

lass sie doch! Es gibt nichts, wofür ich mich schämen müsste.«

      Außer vielleicht für die unkluge Reise letztes Jahr nach Hawkesbury House in Lincolnshire. Es war so schrecklich demütigend gewesen! Die Tapferkeit, welche die junge Gräfin in dieser für sie so schweren Zeit gezeigt hatte, hatte in schreiendem Kontrast zu der eisigen Kälte des Grafen gestanden, dessen eigene Mutter den Plan ausgeheckt hatte, der das eheliche Glück ihres Sohnes zerstören sollte.

      Wieder schlug die Scham über ihr zusammen. Damals war ihr Hass auf Lavinia in sich zusammengefallen, die siedende Glut von Gefühlen in ihrer Brust war unter der Last von Mitleid und Demütigung erloschen. Ihr Eindringen in einer Zeit tiefsten Kummers war wahrhaft unverzeihlich gewesen. Völlig unbegreiflich war ihr jedoch, wie die junge Gräfin ihre Anwesenheit mit einer solchen Würde ertragen konnte. Woher hatte sie die Kraft dafür genommen?

      Den Rest des Gottesdienstes nahm sie kaum noch wahr; die Fragen der Vergangenheit forderten ihre Aufmerksamkeit. Und dann befanden sie sich auch schon inmitten der Gottesdienstbesucher, welche die Kirche verließen, schüttelten dem Pfarrer die Hand und standen gleich darauf draußen unter den übrigen, eifrig plaudernden Gemeindemitgliedern und sprachen mit ein paar Bekannten unter einer alten Ulme.

      »Miss DeLancey!« Beim Klang der Stimme drehte Clara sich um. Matilda lief auf sie zu. »Sie sind gekommen.«

      »Wie Sie sehen.« Clara lächelte und stellte ihre Eltern vor. »Mrs McPherson ist die Dame, die ich am Freitag besucht habe. Ihr Mann hat heute die Predigt gehalten.«

      Mutter beantwortete Matildas Knicksen mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken. »Clara hat erzählt, Sie hätten einen Bruder, der in Chatham Hall wohnt. Ist er ein Baronet?«

      »Ja.«

      Der Argwohn auf Mutters Gesicht schien sich eine winzige Spur abzuschwächen. »Nun, das ist doch schon mal etwas, würde ich sagen.«

      »Es ist etwas, würde ich sagen, wenn man Wert auf dergleichen legt.«

      »Natürlich.« Mutter nickte. Sie schien den Schalk, der in Matildas Augen lauerte, gar nicht zu bemerken.

      Bevor ihre freimütige neue Freundin etwas sagen konnte, das ihre neue Freundschaft gefährdete, warf Clara rasch ein: »Mutter, ich wollte Mrs McPherson und ihre Schwester eigentlich demnächst einmal zum Tee einladen.«

      »Oh! Nun, ich weiß nicht …«

      »Vielen Dank, Miss DeLancey, aber Tessa wird schon bald nach Kent zurückkehren.«

      »Da siehst du.« Mutter war ganz offensichtlich erleichtert. »Wie schade!«

      »Aber vielleicht könnte Mrs McPherson kommen, wenn sie nicht zu beschäftigt ist.«

      Matilda lächelte. »Vielen Dank. Es ist mir ein Vergnügen.«

      Ihr Lächeln wärmte eine kalte Ecke in Claras Herzen. Vielleicht musste man freundlich sein, um Freunde zu gewinnen. Und sie musste bei Gott etwas tun, um sich nicht immer stärker zu isolieren, so wie sie es in den letzten Monaten getan hatte. Sie setzten einen Tag und eine Stunde fest, dann wurde Matilda an anderer Stelle gebraucht.

      »Also wirklich, hier herrscht ein Andrang, man könnte meinen, man sei in einem Londoner Ballsaal«, beschwerte sich Mutter. »Ich begreife gar nicht, wie so viele Menschen das Bedürfnis verspüren können, am Sonntag in die Kirche zu gehen.«

      »Welchen Tag würdest du denn vorziehen, Mutter?«

      »Sei nicht frech. Oh! Liebste Lady Osterley!«

      Clara trat ein paar Schritte zur Seite. Ihre Mutter hatte keinen Blick mehr für sie, sie widmete sich ganz und gar einer der unverbesserlichsten Klatschbasen Brightons. Clara setzte ein höfliches Lächeln auf – es war nicht ratsam, es sich mit dieser Dame zu verscherzen – und wandte ihre Aufmerksamkeit dann den anderen Leuten zu. Anscheinend besuchte so ziemlich jeder, der in Brighton etwas galt, die Sankt-Nicholas-Kirche.

      Nicholas.

      Ihr Herz wurde schwer, ihre Gedanken kehrten zu dem Grafen zurück. Nicholas Stamford, der siebte Graf von Hawkesbury, die Liebe ihres Lebens.

      Mit brennenden Augen versuchte sie, die Erinnerungen zu verscheuchen.

      Und begegnete dem starr auf sie gerichteten Blick des Mannes, mit dem sie vor zwei Tagen zusammengeprallt war.

Ornament

      »Sie!«

      Die hübsche Dame blinzelte, wandte den Blick ab und trat einen Schritt zurück, als suche sie Schutz bei den Grabsteinen, die auf dem Friedhof standen. Es wirkte, als wollte sie am liebsten erneut fliehen. Aber Ben konnte ihr keinen Vorwurf daraus machen. Er war zwar nach den gesellschaftlichen Konventionen erzogen worden, doch im Moment war das seinem Verhalten nicht anzumerken.

      Er drängte sich brüsk durch eine Gruppe schwatzender alter Hühner und trat zu der dunkelhaarigen jungen Frau mit den grünen Augen in der Farbe tropischer Meere, die sich bei seinem Anblick weiteten. »Sie wieder!«

      Sie schlug die Augen nieder. »Ich weiß gar nicht …«

      »Verzeihen Sie, aber sind wir uns nicht vor zwei Tagen in der Steyne begegnet?«

      »Clara?« Eine der Damen, an denen er sich eben vorbeigedrängt hatte, musterte ihn stirnrunzelnd. »Kennst du den jungen Mann?«

      »Nein, Mutter.«

      »Junger Mann, ich weiß nicht, wer Sie sind, und meine Tochter scheint es ebenso wenig zu wissen.«

      Ihre Tochter namens Clara. Ein hübscher Name für ein hübsches Mädchen. Ben schluckte. Beinahe hätte er sich als Kapitän vorgestellt, doch dann fiel ihm ein, dass er diesen Titel für immer verwirkt hatte. Mr Kemsley klang dagegen allzu schlicht. Er wollte gerade etwas sagen, als die Dame mit den harten Gesichtszügen die andere am Ärmel zupfte und gerade so laut sagte, dass er es hören konnte: »Manche junge Herren benehmen sich heutzutage einfach nicht so, wie es wünschenswert wäre.«

      Er spürte, wie er rot wurde. Die Worte waren ein trauriges Echo der Worte, die Janes Vater zu ihm gesagt hatte, der Ben vor vielen Jahren verboten hatte, seiner Tochter den Hof zu machen. Aber vielleicht hatte Lord Ponsonby sogar recht gehabt. Er hätte eine so ahnenstolze Familie nicht ertragen und – um der Wahrheit die Ehre zu geben – auch sie hätten ihn nicht ertragen. Zumindest nun, da er beschädigt von der See zurückgekehrt war. Er konnte Gott nur dankbar sein, dass diese jugendliche Vernarrtheit so rasch vorübergegangen war und sich als nichts weiter als der überspannte Traum eines frischgebackenen Leutnants erwiesen hatte. Jane selbst hatte sehr schnell die Tiefe ihrer Gefühle bewiesen, indem sie, zwei Monate nachdem Ben wieder auf Fahrt gegangen war, einen anderen geheiratet hatte.

      Er sah die junge Dame an, deren Erröten bewies, dass sie alles mit angehört hatte und immerhin einen Funken Mitleid für ihn empfand, nickte kurz und stakste davon. So viel zu einem Empfehlungsbrief des Prinzregenten. Er kräuselte verächtlich die Lippen. Was für eine Dummheit, sich auf Derartiges auch nur das Geringste einzubilden!

      »Kemsley!«

      Ben drehte sich um. »Braithwaite! Vergeben Sie mir. Ich hatte nicht erwartet, Sie hier zu sehen.«

      »Na, aber Sie haben mich doch eingeladen!«

      Er grinste und reichte dem anderen die Hand. »Ich freue mich, dass Sie gekommen sind.«

      Braithwaite nickte. »Eine sehr schöne Predigt. Ihr Schwager hat ja kein Blatt vor den Mund genommen.«

      »David ist ein guter Prediger.« Er hielt kurz inne, dann fuhr er fort: »Er predigt die Wahrheit.«

      Sein Freund sah plötzlich traurig aus. »Ich würde ja gern glauben, aber …«

      »Aber Sie können Ihre Zweifel nicht überwinden.«

      »Wie kann ein gütiger Gott zulassen, dass ich noch