Название | Kapitalismus, was tun? |
---|---|
Автор произведения | Sahra Wagenknecht |
Жанр | Зарубежная прикладная и научно-популярная литература |
Серия | |
Издательство | Зарубежная прикладная и научно-популярная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783360500397 |
Einen knappen Monat später folgte die von Washington diktierte UNO-Resolution 1441, die den Irak für jedes Versäumnis und jede Falschangabe mit Krieg bedroht. Seither versendet Saddam Berge von Akten und führt Inspektoren durch jeden rattenbewohnten Abwasserkanal, während die USA, demonstrativ uninteressiert an den Ergebnissen solcher Nachforschung, Kriegsschiff auf Kriegsschiff in die Golfregion verlegen. Analysten, Ökonomen und Leitartikler streiten in den Spalten der internationalen Wirtschaftspresse und – ehrlicher – in internen Papieren diverser Research-Abteilungen und Strategie-Klüngelrunden über den Zeitpunkt des Kriegsbeginns, über mögliche Verlaufszenarien sowie über Kosten und Rendite des Projekts. Über das Ob streitet kaum noch einer.
Eine überzeugende Rentabilitäts-Rechnung lieferte der Wirtschaftsberater des Weißen Hauses Lawrence Lindsey. Zwar setzt er die Kriegskosten bei 100 bis 200 Mrd. Dollar an, also deutlich höher als das Pentagon, das offiziell mit 61 Milliarden kalkuliert. Aber die Investition lohne, so Lindsey, denn: »Bei einem Regimewechsel im Irak können wir mit einer Erhöhung der Weltversorgung [mit Öl] um drei bis fünf Millionen Barrel rechnen.«
Zur Zeit produziert der Irak 2,4 Millionen Barrel pro Tag, in besseren Zeiten waren es 3,5 Millionen, die Reserven liegen bei 112,5 Milliarden. Nach Saudi-Arabien, das über ein Viertel der globalen Ölreserven verfügt, ist der Irak die Nummer zwei in Mittelost. Die Förderkosten am Golf liegen niedriger als in jeder anderen Region, nämlich bei ein bis fünf Dollar pro Barrel; verkauft wird die schwarze Brühe gegenwärtig für über dreißig Dollar. Allein mit einer Machtübernahme in Bagdad würden amerikanische und britische Ölkonzerne, die gegenwärtig am Golf nicht wunschgemäß zum Zuge kommen, elf Prozent der globalen Erdölkapazitäten direkt kontrollieren – zusätzlich zu ihrem bisherigen Reservoire.
Außerdem böte die Besetzung Iraks den Vereinigten Staaten eine militärische und politische Basis, von der aus US-hörige Regimes ebenfalls in Iran, Syrien und Jordanien installiert werden könnten. Profitieren würde davon nicht nur die US-Ölindustrie; Folgeaufträge und Extraprofite durch billigeres Öl winkten dem amerikanischen Großkapital fast aller Branchen. In einer Zeit, in der Wirtschaft und Gewinne stagnieren, ein Riesenloch in der US-Leistungsbilanz klafft und neuerdings auch noch der Dollar schwächelt, ist das ein Ausblick, für den ein von der Öl- und Rüstungsmafia an die Macht geputschter Präsident gern den Weltfrieden riskiert. »Eine erfolgreiche Kriegsführung«, schließt Lindsey, »wäre gut für die Wirtschaft.« Auch der Chairman der Beratungsgesellschaft Cambridge Energy Research Associates, Daniel Yergin, schwärmt: »Ein anderes Regime im Irak würde das Kräfteverhältnis in der ganzen Region verändern.«
Das amerikanische Interesse daran ist umso dringender, seit der alte Verbündete Saudi-Arabien, den Kissinger einst selbstsicher zum 52. Bundesstaat der USA gekürt hatte, bedingungslose Folgsamkeit aufgekündigt hat. Eine Reaktion auf wachsende Reibungen am Golf war bereits Cheneys »Neues Energieprogramm« vom Sommer 2001, das die Öl- und Gasreserven des Kaspischen Meeres ins Zentrum rückte. Am Hindukusch hat Bush seine Hausaufgaben zwar noch nicht ganz erledigt, aber immerhin: Amerikanische Soldaten stehen mit deutscher Unterstützung im Land, militärische Airbasen wurden errichtet. Mit dieser Bastion im Rücken lässt sich jetzt auch das Problem Golf neu angehen. Die hohe Kostenschätzung begründet Lindsey übrigens damit, dass die US-Truppen – anders als beim letzten Mal – nach dem Sieg stationiert bleiben müssten, damit die »Demokratisierung« des Irak sich auch wirklich für die Richtigen auszahlt.
Immerhin gibt es noch andere Interessenten. Schon 1997 hatte die russische Firma Lukoil einen Vertrag über die Exploration des größten Ölfeldes im Irak, West Querna 2 im Südirak, abgeschlossen und bereits vier Milliarden Dollar investiert. Die mittelgroße Firma Tatneft aus der russischen Teilrepublik Tatarstan hat 33 irakische Ölquellen unter Vertrag und schon über eine Milliarde Dollar verausgabt. Verträge mit russischen Ölgesellschaften über weitere 60 Quellen sollen unterschriftsreif sein. Der französische Konzern TotalFinaElf will 3,5 Milliarden Dollar in das Ölfeld Maynoon an der iranischen Grenze stecken und hat sich den Zugriff vertraglich gesichert. Gut vertreten sind außerdem die nationale chinesische Ölgesellschaft und die italienische Agip. Sobald die UNO ihre Sanktionen aufhebt, soll hier das große Geschäft beginnen.
Auch außerhalb des Ölsektors ist die Konkurrenz rührig. Der deutsche Export in den Irak stieg allein in den ersten drei Monaten 2002 um 46,6 Prozent. Frankreich ist nicht weniger aktiv. Russland bestätigte im August Informationen über ein fast unterschriftsreifes Kooperationsabkommen im Volumen von 40 Milliarden Dollar.
Ohne Krieg droht den USA nachhaltiger Einflussverlust in der Region. Daher Bushs forciertes Engagement und die europäische Unlust. Wer den Fuß bereits in der Tür hat, der freut sich nicht, wenn ein anderer Kanonen in Stellung bringt, um das Schloss zu zerschießen. Speziell für deutsche Konzerne gibt es zudem im Ölsektor wenig zu holen. Eon und RWE haben ihr Ölgeschäft in den letzten Jahren an BP und Shell abgegeben und sich stattdessen auf Strom, Gas und Wasser konzentriert. Nicht Pazifismus, sondern schlichtes Profitkalkül wird Schröder davon abhalten, deutsche Truppen vom Hindukusch weg an den Golf zu verlegen. Aber Einfluss in der strategisch hochwichtigen Golf-Region einfach aufgeben mag wiederum auch nicht, wer Weltmacht-Ambitionen hegt. Denn klar ist: Die USA werden die Beute teilen müssen, wollen sie den Krieg ohne allzu großen Krach mit den Europäern oder gar mit UNO-Mandat führen. Aber sie werden nur mit denen teilen, die mitziehen. Fischer hält sich bereit.
4. Januar 2003
Flaute überall
Ein Umsatzwachstum von 5,5 Prozent hatte Metro-Chef Körber seinem Unternehmen für 2002 vorausgesagt. Erreicht allerdings wurden, wie der Handelskonzern jetzt bekanntgab, nur vier Prozent, und auch die nur dank des Auslandsgeschäfts. Jenseits deutscher Grenzen konnte die Metro ihren Verkauf um immerhin acht Prozent auf 23,8 Milliarden Euro steigern; bundesdeutsche Verbraucher dagegen schoben mit Waren im Wert von 27 Milliarden Euro gerade so viel in ihren Wagen an die Metro-Kasse wie ein Jahr zuvor. Ähnlich erging es dem Hagener Douglas-Konzern. Der Kosmetikanbieter für den »gehobenen Bedarf« konnte seinen Umsatz im letzten Jahr um zwei Prozent erhöhen, auch das aber nur dank Aquisitionen und Neueröffnungen im Ausland. Auf dem bundesdeutschen Markt schrumpfte der Erlös um 0,7 Prozent.
Die Analysten waren enttäuscht, die Aktien beider Unternehmen wurden in den Keller geschickt. Und dabei stehen Metro AG – als Konsummeile der Selbständigen, die im Schnitt immer noch mehr verdienen als der Rest des Volks – und Douglas Holding – deren Kundschaft ebenfalls kaum dem Milieu der Arbeitslosen und Billigjobber entstammt – im Vergleich des deutschen Einzelhandels noch recht gut da. Denn dieser kämpfte schon zu Zeiten mit stagnierenden Umsatzzahlen, als Metro und Douglas sich noch in goldenen Bilanzen sonnten. Inzwischen ist aus der Stagnation eine tiefe Krise geworden.
Im ersten Halbjahr 2002 – als die SPD gerade ihr schönes Plakat »Der Aufschwung kommt« präsentierte (das aus Pietätsgründen dann aber doch nicht geklebt, sondern in voller Auflage einer Firma für Altpapier-Recycling übergeben wurde, der es vielleicht zu einem kleinen Aufschwung verhalf) – lag das Minus im deutschen Einzelhandel bei fünf Prozent. Für das gesamte Jahr soll der Rückgang mindestens drei Prozent betragen. Die einzigen, die ihren Absatz vergrößern konnten, sind Billig-Discounter wie Aldi und Lidl – und zwar dank jener Kunden, die ihr Frühstücksei im Vorjahr noch bei Kaiser’s und Rewe gekauft hatten. Wenig von der Krise spüren außerdem bisher nur die teuersten Luxus-Marken und Nobelanbieter, deren Kundenkreis über die Oberen Zehntausend kaum hinausreicht.
Ansonsten herrscht Katzenjammer