Название | Kapitalismus, was tun? |
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Автор произведения | Sahra Wagenknecht |
Жанр | Зарубежная прикладная и научно-популярная литература |
Серия | |
Издательство | Зарубежная прикладная и научно-популярная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783360500397 |
Und die vielgerügte »Giftliste« im Koalitionsvertrag? Teils ist sie – wie die höhere Besteuerung von privat genutzten Dienstwagen – inzwischen schon wieder vom Tisch. Teils bleibt sie – wie die Öko-Besteuerung energieintensiver Unternehmen – so sehr im Vagen, dass selbst das Handelsblatt inzwischen davon ausgeht, dass sich kaum etwas ändern wird. Und teils ist sie nichts als die unumgänglichste Notbremse, um den völligen Ruin der Staatsfinanzen zu verhindern. Dank Steuerreform ist das Aufkommen der Körperschaftssteuer jetzt bereits im zweiten Jahr negativ.
Dennoch: Zurückgenommen wird weder die drastische Senkung der Steuersätze noch die Steuerbefreiung für Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften; auch die Möglichkeit, vor 2001 gezahlte Körperschaftssteuern mit der heutigen Steuerschuld zu verrechnen, bleibt bestehen. Sie wird lediglich über einen längeren Zeitraum gestreckt, da die Konzerne sich jetzt nur noch um maximal die Hälfte ihrer jährlichen Zahlungen drücken können. Das gleiche gilt für die Anrechnung von Verlusten. Verlustvorträge – die das deutsche Steuerrecht weit üppiger als international üblich gewährt – werden außerdem auf sieben Jahre begrenzt. Das ganze Paket soll 2003 1,4 Mrd. Euro zusätzlicher Einnahmen bringen, also im Maßstab eines 500-Milliarden-Steueraufkommens insgesamt fast nichts. Eine Rücknahme der milliardenschweren Steuergeschenke an die Dax-Elite bedeutet es in keiner Weise. Auch die Steuer auf realisierte Aktienkursgewinne, die künftig bei natürlichen Personen erhoben werden soll, ist nicht mehr als internationaler Standard. In den USA beträgt sie zwanzig Prozent, ohne dass je ein Regierender der Einführung des Sozialismus verdächtigt wurde. Schröder plant gerade mal 7,5 Prozent.
Hauptleidtragende der Koalitionsvereinbarung sind also wieder die Schwächsten; getroffen werden allerdings auch beträchtliche Teile der Mittelschichten. Alles dagegen, was die tatsächlich Reichen irgendwie behelligen könnte (Vermögenssteuer, erhöhte Erbschaftssteuer, progressive Steigerung des Spitzensteuersatzes bei Jahreseinkommen über 150 000 Euro), bleibt sorgsam ausgespart. In der Regel sind Koalitionsvereinbarungen besser als die nachfolgende Regierungspraxis. Was folgen mag, wenn schon der Vertragstext das kalte Grauen auslöst, lässt sich nur düster ahnen.
26. Oktober 2002
Steuerdrama, x-ter Akt
Rot, röter, am rötesten … – nein, wahrlich nicht die Politik der Schröder-SPD, soll die schöne Farbe noch irgendeinen politischen Gehalt symbolisieren. Gemeint sind Eichels Haushaltszahlen, deren offizielle Neuabschätzung in der folgenden Woche ansteht. Gegeben wird dann des Steuerdramas x-ter Akt, eine Inszenierung des Bundesministeriums für Finanzen, Regie: BDI, BDA und sonstige Lobbyistenclubs des Großkapitals. Erneut werden Steuerschätzer mit wichtiger Miene ihre Schätzungen für falsch erklären und die Zahlen kräftig nach unten korrigieren, so, wie sie es in den vergangenen anderthalb Jahren immer wieder getan haben. Hatte die brave Schätzgemeinde im Mai 2001 Bund, Ländern und Gemeinden für 2002 noch ein Aufkommen von 474 Mrd. Euro vorausgesagt, sind jetzt noch Einnahmen von maximal 440 Mrd. Euro im Gespräch. Im Steuersäckel allein des Bundes fehlen 13 bis 14 Mrd. Euro gegenüber den im Haushalt veranschlagten Zahlen. Dass ein Nachtragshaushalt nötig wird, ist inzwischen amtlich. Anstelle der bisher kalkulierten 21,1 Mrd. Euro Neuverschuldung wird das Defizit des Bundes bei 33 bis 36 Mrd. Euro liegen. Waigels alte Defizitrekorde von umgerechnet 40 Milliarden sind zum Greifen nahe.
Da die Investitionen des Bundes lediglich 25 Mrd. Euro betragen, ist dieser Haushalt strenggenommen verfassungswidrig. Gleiches gilt für die Haushalte nicht weniger Bundesländer. Bereits bis August hatten deren Kassenwarte mit einem Defizit von 24 Mrd. Euro den für das Gesamtjahr 2002 kalkulierten Rahmen von 19,9 Mrd. ohne Zaudern hinter sich gelassen. Den Kommunen steht das Wasser eh bis zum Hals.
Ursache des Einnahmedesasters auf allen Ebenen ist neben der gesamtwirtschaftlichen Ebbe (offiziell erwartet: 0,4 Prozent BIP-»Wachstum« in diesem Jahr) die im Sommer 2000 beschlossene Steuerreform. Die Körperschaftssteuer etwa, die einst zweistellige Milliardenbeträge in die öffentlichen Kassen spülte, schreibt dank der Neuregelungen bereits im zweiten Jahr rote Zahlen. Zumindest ein Aufkommen von 7,9 Mrd. Euro hatten ihr die Steuerschätzer irrtümlich für dieses Jahr prophezeit. Auch die Gewerbesteuer bricht weiter ein, 2001 lag das Minus bei zwölf Prozent, in diesem Jahr wird der Vorjahreswert nochmals um etwa elf Prozent unterboten. Großunternehmen wie Eon, RWE, Bayer, BASF oder Bertelsmann zahlen längst nichts mehr.
Abhängige Beschäftigte haben diese Wahl zwar nicht; aber wo wenig ist, kann auch der ungemütlichste Fiskus nicht immer mehr holen. So blieb auch das Lohnsteueraufkommen mit einem Plus von 0,5 Prozent (September 2002 im Vergleich zum Vorjahresmonat) deutlich unter den offiziell erwarteten Werten. Verantwortlich dafür ist nicht nur die wieder ansteigende Arbeitslosigkeit. Der minimale Zuwachs belegt auch, dass trotz Tarifsteigerungen von durchschnittlich drei Prozent die Einkommen abhängig Beschäftigter 2002 im Schnitt erneut unterhalb der Preissteigerung verharrten. Gründe sind die wachsende Zahl nicht tarifgebundener Arbeitsverhältnisse (im Osten betrifft dies inzwischen die Mehrzahl der Beschäftigten) oder auch die Verrechnung der neuen Tarife mit ehemals übertariflichen Leistungen, wie sie in Großunternehmen dieses Jahr gängige Praxis war. Die Umsatzsteuer wird im Jahresvergleich um schätzungsweise 2,5 Prozent steigen, ein Wachstum nur wenig über der Inflationsrate. Auch dies ein Ergebnis strangulierter Binnenkaufkraft und der schon seit Jahren anhaltenden Krise im Einzelhandel. Insgesamt liegen die Steuereinnahmen von Januar bis September 2002 um 3,5 Prozent unter den Vorjahreswerten. Noch im Mai 2002 hatten sich die werten Steuerschätzer auf ein Einnahmeplus von 2,1 Prozent für das Gesamtjahr festgelegt. Angesichts der nahezu vollständigen Steuerbefreiung profitabler Großunternehmen, stagnierender bis sinkender Masseneinkommen, rückläufiger Beschäftigung und Pleiterekorden im Mittelstand sind die realen Zahlen allerdings nicht erstaunlich. Alle Schuldenlöcher gemeinsam ergeben laut EU-Berechnung in diesem Jahr ein deutsches Etatdefizit von 3,7 Prozent des BIP.
Dass ausgerechnet die Bundesrepublik, die für Maastricht-Vertrag und Stabilitätspakt – drakonische Schuldenkriterien und die Zielvorgabe eines ausgeglichenen Haushalts bis 2004 eingeschlossen – an vorderster Front gekämpft hat, bereits im zweiten Jahr die hausgemachten Vorgaben verfehlt, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Aber so sehr Maastricht nebst Folgeverträgen einem reaktionären Geist entsprang, so falsch wäre es, Schuldenmacherei gleich für fortschrittlich zu halten. Keynesianische Konjunktursteuerung, die inzwischen selbst in der deutschsprachigen Wirtschaftswissenschaft ein zaghaftes Akzeptanz-Comeback erlebt (in der amerikanischen hatte sie immer ihren Platz) mag sympathischer sein als das Abwürgen jeder konjunkturellen Regung durch dumpfbackene Austeritätspolitik. Wahr ist aber auch: Staatliches deficit spending ist die profitkonformste Antwort auf das kapitalistische Nachfrageproblem: Es ist einer der wenigen Wege, Nachfrage zu schaffen, die im Prozess der Kapitalverwertung nicht zugleich als Kostenfaktor in Erscheinung tritt. Anders als aktive Lohnpolitik oder steuergelenkte Umverteilung von oben nach unten schmälert sie die Renditen nicht, sondern schafft, im Gegenteil, auf Steuerzahlers Kosten eine zusätzliche rentable Anlagesphäre für das private Kapital.
Natürlich wären schuldenfinanzierte Sozialleistungen immer noch besser als gar keine. Wenn die Schulden allerdings in erster Linie daher stammen, Konzerne und Vermögende aus jeder Steuerpflicht zu entlassen – und wenn sie mit radikalem Sozialabbau einhergehen –, ist an solcher Politik kein Hauch mehr progressiv. Man sollte nicht vergessen: Auch Bush, der einen mehr als ausgeglichenen Haushalt übernommen hat und dank massiver Steuersenkungen für Wohlverdienende und forcierter Kriegs- und Rüstungspolitik heute tiefrote Zahlen schreibt, könnte sich mit Recht ein Keynes-Schüler nennen. Dessen Lehren sind daher, selbst wenn die Politik ihnen folgt, längst kein Ersatz für reale Verteilungskämpfe.
9. November 2002
Kommissionsunwesen
»Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis …« Aus diesem schönen Spruch, in der Regel auf Situationen ehrlicher Hilflosigkeit angewandt, hat Schröder eine Strategie gemacht. Sie soll eines seiner Grundprobleme lösen, das da lautet: Wie nutze ich die parteinahen Milieus als Ausführungsorgane meiner Politik, ohne Gefahr zu laufen, ihnen als Gegenleistung irgendeine Form inhaltlicher Mitsprache zugestehen zu müssen?
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