Название | Leopold von Ranke: Historiografische Werke |
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Автор произведения | Leopold von Ranke |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027206056 |
Unter allen Dichtern liebte er Racine am meisten, den er weit über Voltaire stellte, nicht allein der Harmonie und Musik seiner Sprache, sondern auch des Inhalts wegen. Auf seinen Reisen im Wagen las er ihn immer aufs neue und lernte ganze Stellen auswendig. Von allem aber, was dieser Dichter geschrieben hat, machte nichts größern Eindruck auf ihn als die Szene im vierten Akt des Britannicus, wo Burrus dem jungen Nero vorstellt, daß die Welt »das öffentliche Glück den Wohltaten des Fürsten« verdanken könne, daß ein solcher sich sagen dürfe, überall in diesem Augenblicke werde er gesegnet und geliebt! »Ah!« rief Friedrich aus, »gibt es etwas Pathetischeres und Erhabneres als diese Rede; ich lese sie nie ohne die größte Rührung.« Er muß das Buch weglegen, Tränen ersticken seine Stimme; »dieser Racine«, ruft er aus, »zerreißt mein Herz.« Eine Weichheit, die niemand in ihm suchen sollte, der nur seine Kriege und seine strenge Staatsführung kennt, und die doch mit dieser wieder in genauem Zusammenhange steht.
Es scheint ihm ein lächerlicher Stumpfsinn der Welt, daß man das Glück der Fürsten beneidet; sie seien schlecht bedient, ihre Befehle führe man mangelhaft aus und schreibe ihnen doch alles zu, was geschehe; man messe ihnen Absichten bei, an die ihre Seele nicht denke, und hasse sie, wenn sie schwere Dinge fordern; leicht werde die Welt ihrer müde. Wer sollte glauben, daß ihm noch in jungen Jahren, im Genusse des Ruhmes und der Welt, aus dem Innern seiner Seele die Idee einer Verzichtleistung aufstieg! Er dachte die Krone seinem Bruder zu überlassen, den er in dieser früheren Zeit ungemein hoch hielt.379 Eins wäre ihm freilich unbequem gewesen, einen fremden Willen über sich zu fühlen, und er dachte sich Einrichtungen aus, wie dem vorzubeugen sei. Aber das Glück zu gebieten reizte ihn nicht, noch der Besitz großer Geldmittel; er würde, sagte er, mit 12 000, ja mit 1200 Talern leben können, er würde Freunde haben und ihr wahrer Freund sein, nur den Wissenschaften würde er sich widmen. Indem er dem nachsinnt und in dem Gedanken schwelgt, nichts zu sein als ein einfacher, aber ganz unabhängiger Gelehrter, sieht er doch, wenn er die Umstände und Persönlichkeiten überlegt, besonders in kritischen Augenblicken, wie deren soviele kamen, daß alles dies unmöglich ist. »Ich habe ein Volk«, ruft er aus, »das ich liebe; ich muß die Last tragen, welche auf mir liegt, ich muß an meiner Stelle bleiben.«
Was macht den Menschen, als der innere Antrieb und Schwung seines moralischen Selbst? Wir wollen nicht sagen, daß jene Stimmung die vorherrschende, daß Friedrich nicht von dem Gefühl des geborenen Königs fortwährend durchdrungen gewesen sei, aber er ging nicht darin auf. Die Reflexion, daß er es auch nicht sein könne, die Neigung selbst, einem andern Beruf zu leben, schärfte sein Pflichtgefühl für diesen, der ihm durch Geburtsrecht zuteil geworden. Wir mögen es nicht unerwähnt lassen, was er selber sagt, daß er oft lieber der Morgenruhe noch genossen hätte; aber sein Diener hatte den bestimmtesten Befehl, sie ihm nicht länger zu gönnen; der Grund, welchen Friedrich angibt, ist, daß die Geschäfte sonst leiden würden. Er bekennt einmal, es mache ihm größeres Vergnügen sich mit literarischen Arbeiten zu beschäftigen, als mit der Verwaltung der laufenden Geschäfte; aber er fügt hinzu, daß er darum diesen doch keinen Augenblick der Tätigkeit und Aufmerksamkeit entziehen würde, denn dazu sei er geboren, sie zu verwalten.
Ein Fürst, sagt er in dem politischen Testament,380 der aus Schwäche oder um seines Vergnügens willen das edle Amt versäumt, das Wohl seines Volkes zu befördern, sei nicht allein auf dem Throne unnütz, er mache sich sogar eines Verbrechens schuldig. Denn nicht dazu sei der Fürst zu seinem hohen Rang erhoben und mit der höchsten Gewalt betraut, um sich von den Gütern des Volkes zu nähren und im Glück zu schwelgen, während die ganze Welt darbe. »Der Fürst ist der erste Diener des Staates und gut bezahlt, um die Würde seiner Stellung aufrechtzuerhalten; aber man verlangt von ihm, daß er nachdrücklich zum Wohl des Staates arbeite und daß er wenigstens die wichtigsten Dinge mit Ernst betreibe.« Die Frau, welche einem König von Evirus, der nicht auf ihre Klagen hören will, die Frage vorlegt, warum er denn König sei, wenn er ihr nicht Hilfe schaffen wolle, scheint ihm ganz recht zu haben.
Das Zurücktreten des religiösen Begriffes mußte in einer energischen Natur das Bewußtsein des weltlichen Berufs um so lebendiger hervorrufen. Die Seele ist dann nicht durch das Gefühl des universalen Zusammenhanges des Geistes gehoben, der auch dann noch genug tut, wenn die Erfolge den Absichten nicht entsprechen; es liegt etwas Trockenes, Beschränktes darin, aber um so geschärfter wird der praktische Sinn, da man des Erfolges bedarf. Der Geist der Zeit kam dem Könige Friedrich mit der gleichen Tendenz entgegen und förderte sein Tun. Auch in der Erfüllung der Pflicht an sich liegt eine unendliche Befriedigung.
Um sich dazu fähig zu machen, hielt es Friedrich für nötig, die Menschen, wie er es einmal selbst nennt, zu studieren, besonders diejenigen, die ihm entweder als Werkzeuge dienten oder der Gegenstand seiner Sorgfalt waren. Unter seinen Untertanen unterschied er die feinen und gelenken Preußen, deren Gewandtheit jedoch besonders innerhalb ihrer Grenzen leicht in Fadheit überschlage, von den naiven und geraden Pommern; die Kurmärker stellte er weder den einen noch den andern gleich, das Wohlleben gelte ihnen zuviel, in Geschäften seien sie selten mehr als mittelmäßig. Lebhafteren Geist besitze die Magdeburgische Ritterschaft, mancher große Mann sei aus ihr hervorgegangen; den Niederschlesiern fehle es an einem Prometheus, der sie (durch Erziehung) mit dem himmlischen Feuer erfülle; Anstrengung und Arbeit sei bisher noch nicht ihre Sache, sondern eher Genußliebe, gutmütige Titelsucht. Auch in Minden und der Grafschaft Mark fehle es nur an Erziehung und Übung, nicht an Talent; am wenigsten entsprach Kleve seinen Wünschen. Er suchte sie alle zu heben und dadurch zu vereinigen, daß er die provinzialen Bezeichnungen vor der allgemeinen als Preußen Verschwinden ließ; besonders machte er diese im Felde geltend.
Wir sahen, wie er sich für jeden Zweig nach den demselben inwohnenden Erfordernissen Gehilfen zu bilden suchte, in Justiz, Administration, Militär. So hatte er auch eine Pflanzschule für den Dienst in den auswärtigen Geschäften im Sinn; um das Jahr 1752 ward dazu unter der Leitung von Podewils ein Anfang gemacht. Die natürliche Gabe, die allem zugrunde liegt, sollte durch allgemeine Kenntnis sowohl wie durch das Aufnehmen der Idee des Staates entwickelt werden. Die Minister, die an der Spitze der verschiedenen Abteilungen des Dienstes standen, schickten dem König über die wichtigen und zweifelhaften Punkte täglich ihre Berichte ein. Friedrich hielt nicht für gut, den geheimen Rat zu versammeln; denn aus großen Ratsversammlungen gehe selten eine weise Beschlußnahme hervor; durch Privathaß und Rechthaberei werde da eine Sache eher verdunkelt. Das Verfahren der schriftlichen Anfrage mit Gründen und Gegengründen hielt er für das bessere; der Fürst müsse sich nur die Mühe geben zu lesen und einzusehen, ein gesunder Sinn fasse leicht die Hauptpunkte, auf die es ankomme. Eine Kabinettsregierung, zu deren Ausführung aber ebensoviel Anstrengung des Geistes wie Talent gehört. Friedrich besaß das letztere in einer seltenen Vielseitigkeit. Wie er nach schriftstellerischer Vollendung strebte, so sahen wir ihn die obersten Gesichtspunkte für die Einrichtung der Justiz fassen,381 die Verwaltung bis in das geringste Detail des Rechnungswesens beaufsichtigen, neue Manöver für seine Feldübungen ersinnen. Nicht ohne Nutzen besucht er Spitäler; denn schon sein Vater hat ihn viel dahin geschickt, so daß er sich eine Kenntnis von Chirurgie verschafft hat; er gibt Verbesserungen der Manufakturen im einzelnen an und macht selber die Pläne zu seinen Bauwerken.
Zu dieser Mannigfaltigkeit der Befähigung kam nun aber eingehende Rücksicht auf die vorgelegten Gründe, der ernste Wille die Sache recht zu machen. Nicht alles ward auf der Stelle, beim ersten Vortrag entschieden. Wenn die Kabinettsräte nach demselben sich entfernt hatten, griff Friedrich zu seiner Flöte; doch war seine Seele