Die Äbtissin von Castro. Стендаль

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Название Die Äbtissin von Castro
Автор произведения Стендаль
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066118853



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dagegen. Die Männer, die ihn verfolgten, waren fünfzig Schritt entfernt von ihm. Nun kamen sie auf ihn zugelaufen. Ein Mönch öffnete; Sénecé stürzte in die Kirche; der Mönch schloß schnell 21die Türe zu. Im gleichen Augenblick schlugen die Meuchelmörder mit den Füßen gegen die Türe. „Die Gottlosen!“ sagte der Mönch. Sénecé gab ihm eine Zechine. „Sicher wollten sie mir ans Leben“, sagte er.

      In dieser Kirche brannten mindestens tausend Kerzen.

      „Wie? Ein Gottesdienst zu dieser Stunde?“ fragte er den Mönch.

      „Eccellenza, es ist ein Dispens von Seiner Eminenz dem Kardinal-Vikar.“

      Die ganze enge Vorhalle dieser kleinen Kirche San Francesco a Ripa war in ein prächtiges Mausoleum umgewandelt; man sang die Totenmesse.

      „Wer ist gestorben? Ein Fürst?“ fragte Sénecé.

      „Ohne Zweifel,“ antwortete der Priester, „denn es ist mit nichts gespart worden; aber dies alles, Wachs und Silber, ist vergeudet, denn der Herr Dekan hat uns gesagt, daß der Verblichene in Unbußfertigkeit gestorben ist.“

      Sénecé trat näher. Er sah ein Wappenschild in französischer Form und seine Neugier verdoppelte sich; er trat ganz dicht heran und erkannte sein eigenes Wappen mit dieser lateinischen Inschrift:

      Nobilis homo Johannes Norbertus Senece eques decessit Romae.

      „Der hohe und mächtige Herr Jean Norbert von Sénecé, Chevalier, gestorben zu Rom.“

      ‚Ich bin wohl der erste Mensch‘, dachte Sénecé, ‚der die Ehre hat, seinem eigenen Begräbnis beizuwohnen. Ich weiß nur vom Kaiser Karl V., der sich dies Vergnügen geleistet hat. Aber in dieser Kirche ist für mich nicht gut bleiben.‘

      Er gab dem Sakristan noch eine Zechine. „Mein 22Vater,“ sagte er ihm, „lassen Sie mich durch eine Hintertür Ihres Klosters hinaus.“

      „Sehr gern“, sagte der Mönch.

      Kaum auf der Straße, begann Sénecé, in jeder Hand eine Pistole, mit äußerster Schnelligkeit zu laufen. Bald hörte er hinter sich Leute, die ihn verfolgten. An seinem Haus angelangt, sah er die Tür verschlossen und einen Mann davor. ‚Jetzt heißt es stürmen“, dachte der junge Franzose und wollte den Mann mit einem Pistolenschuß töten, als er seinen Kammerdiener erkannte.

      „Mach die Tür auf!“ schrie er ihn an.

      Sie war offen. Rasch traten sie ein und schlossen sie wieder.

      „Ach, gnädiger Herr, ich habe Sie überall gesucht; es gibt sehr traurige Neuigkeiten. Der arme Jean, Ihr Kutscher, ist von Messerstichen durchbohrt worden. Die Leute, die ihn getötet haben, stießen Verwünschungen gegen Sie aus. Gnädiger Herr, man will Ihnen ans Leben!“

      Während noch der Diener sprach, schlugen acht Feuergewehrschüsse durch ein Gartenfenster. Sénecé brach tot neben seinem Diener zusammen; sie waren von mehr als zwanzig Kugeln durchbohrt.

      Zwei Jahre später wurde die Fürstin Campobasso als das Muster höchster Frömmigkeit in Rom verehrt, und seit geraumer Zeit war Monsignor Ferraterra Kardinal.

       Inhaltsverzeichnis

      24ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL

      25Ich bin kein Naturforscher und Griechisch verstehe ich nur sehr mittelmäßig; Hauptzweck meiner Reise nach Sizilien war weder die Phänomene des Ätna zu beobachten, noch wollte ich für mich oder andre irgendwelche Klarheit darüber gewinnen, was die alten griechischen Autoren über Sizilien gesagt haben; ich suchte nichts als die Freude meiner Augen, die in diesem eigenartigen Land wahrhaftig nicht gering ist. Man sagt von Sizilien, daß es Afrika gleiche; für mich steht jedenfalls fest, daß es mit Italien nur durch die verzehrenden Leidenschaften Ähnlichkeit hat. Von den Sizilianern kann man wohl sagen, daß es das Wort ‚unmöglich‘ nicht für sie gibt, wenn sie von Liebe oder von Haß entbrannt sind; und in diesem schönen Land kommt der Haß niemals aus einem Geldinteresse.

      Ich bemerke, daß man in England und besonders in Frankreich oft von italienischer Leidenschaft spricht, von der hemmungslosen Leidenschaft, die man im Italien des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts kannte. In unsern Tagen ist diese schöne große Leidenschaft gestorben und ganz tot, wenigstens in jenen Klassen, die sich der Nachahmung französischer Sitten und Pariser oder Londoner Moden gefallen.

      Ich weiß wohl, man kann sagen, daß man seit Karl V. in Neapel, in Florenz und sogar ein wenig in Rom die spanischen Sitten nachahmte. Aber waren diese adeligen 26Sitten und Bräuche nicht auf dem unendlichen Respekt begründet, den jeder dieses Namens würdige Mensch für die natürlichen Regungen seiner Seele haben muß? Weit entfernt, die Energie auszuschalten, übertrieben sie diese vielmehr, während es erste Regel der Gecken um 1760, die den Herzog von Richelieu nachahmten, war, durch nichts bewegt zu scheinen. Ist es nicht Grundsatz des englischen Dandys, dem man jetzt in Neapel den Vorzug vor dem französischen Gecken gibt, von allem gelangweilt und allem überlegen zu scheinen?

      Die italienische Leidenschaft findet man schon seit einem Jahrhundert nicht mehr in der guten Gesellschaft Italiens.

      Um mir einen Begriff von dieser italienischen Leidenschaft zu bilden, von der unsre Romanciers mit solcher Sicherheit schreiben, war ich genötigt, die Geschichte zu befragen; aber gewöhnlich sagt die große Geschichte, von talentvollen Männern geschrieben und meist sehr majestätisch, fast nichts von den Einzelheiten des Geschehens und der Personen. Sie nimmt von Torheiten erst Notiz, wenn diese Dummheiten von Königen oder Fürsten begangen worden sind. Ich habe zu der Lokalgeschichte jeder Stadt Zuflucht nehmen müssen; aber da wurde ich wieder durch den Überreichtum an Material erschreckt. Jede kleine italienische Stadt zeigt dir stolz ihre Geschichte in drei oder vier gedruckten Quartbänden und in sieben oder acht handschriftlichen Codices, die kaum mehr zu entziffern, mit Abkürzungen gespickt und mit sonderbar geformten Buchstaben geschrieben sind; zudem eignen ihnen an den fesselndsten Stellen Redewendungen, die im Ort selbst gebräuchlich, aber zwanzig Meilen weiter schon unverständlich sind. Denn im ganzen schönen Italien, wo die Liebe so 27viele tragische Ereignisse gesät hat, spricht man nur in drei Städten, in Florenz, in Siena und in Rom, ungefähr so wie man schreibt; in allen andren Orten ist die Schriftsprache von der mündlichen Rede unendlich weit entfernt.

      Das, was man die italienische Leidenschaft nennt, das heißt die Leidenschaft, die sich zu befriedigen und nicht nur dem Nachbar eine prachtvolle Vorstellung von sich selber zu geben sucht, beginnt mit der Entstehung der Gesellschaft also im zwölften Jahrhundert und erlischt wenigstens in der guten Gesellschaft, um 1734. Zu dieser Zeit kommen die Bourbonen in Neapel zur Regierung, und zwar in der Person des Don Carlos, Sohnes einer Farnese, die in zweiter Ehe mit dem Enkelsohn Ludwigs XIV., jenem melancholischen Philipp V. verheiratet war, der mitten im Kugelregen seinen Gleichmut nicht verlor, sich stets langweilte und die Musik so leidenschaftlich liebte. Man weiß, daß ihm vierundzwanzig Jahre hindurch der göttliche Kastrat Farinelli täglich drei Lieblingsweisen vorsang, jeden Tag die gleichen.

      Ein analytischer Geist könnte aus den Einzelheiten einer Leidenschaft feststellen, ob der Fall in Rom oder in Neapel geschehen ist, und nichts ist, wie ich sagen muß, abgeschmackter als jene Romane, die ihren Personen nichts als italienische Namen geben. Sind wir denn nicht darin einer Meinung, daß die Leidenschaften sich ändern, so oft man hundert Meilen weiter nach Norden kommt? Höchstens kann man sagen, daß jene Länder, die seit langem der gleichen Regierungsform unterstehn, in den sozialen Gewohnheiten eine Art äußerer Ähnlichkeit aufweisen.

      Wie die Leidenschaften, wie die Musik, wechseln auch die Landschaften, sobald man drei oder vier Breitengrade 28weiter nach Norden kommt. Eine neapolitanische Landschaft würde in Venedig absurd erscheinen, wäre es nicht, sogar in Italien ausgemacht, die Naturschönheiten Neapels zu bewundern. Wir in Paris halten es darin so, daß wir glauben, der Anblick der Wälder und der bebauten Ebenen sei ganz der gleiche in Neapel wie in Venedig, und wir möchten am liebsten,