Die Äbtissin von Castro. Стендаль

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Название Die Äbtissin von Castro
Автор произведения Стендаль
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066118853



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Frage gestellt, also ist die halbe Peinlichkeit schon erledigt. Ich bin ja sicher nicht für die Liebe geschaffen. Ich habe zwar nie etwas so Schönes wie diese Frau mit ihren sonderbaren Augen gesehen, aber sie hat schlechte Gewohnheiten. Sie läßt mich durch widerliche, unterirdische Gewölbe kommen. Immerhin ist sie die Nichte des Herrschers, zu dem mich mein König geschickt hat. Und mehr noch, sie ist blond in einem Land, wo alle Frauen dunkel sind; das ist eine große Seltenheit. Täglich höre ich ihre Schönheit von Leuten in den Himmel heben, deren Zeugnis unverdächtig ist und die nicht im Entferntesten ahnen, mit dem glücklichen Besitzer dieser Reize zu sprechen. Was die Macht betrifft, die ein Mann über seine Geliebte haben soll, brauche ich nicht beunruhigt zu sein. Wollte ich mir die Mühe nehmen, ein Wort zu sagen, so verließe sie ihr Haus, ihre Goldmöbel, ihren königlichen Oheim, und all das würde sie tun, um sich in Frankreich in die tiefste Provinz zu vergraben und auf einem meiner Güter kümmerlich und kläglich zu leben… Morbleu, die Aussicht auf solches Opfer begeistert 11mich nur zu dem festen Beschluß, es niemals von ihr zu verlangen. Die Orsini ist ja viel weniger hübsch; sie liebt mich, wenn sie mich überhaupt liebt, grade ein wenig mehr als den Kastraten Butafoco, den ich sie gestern wegschicken hieß; aber sie hat Lebensart, sie versteht zu leben, man kann im Wagen bei ihr vorfahren. Und ich bin sicher, daß sie mir nie eine Szene machen wird; sie liebt mich dazu nicht genug.‘

      Während des langen Schweigens hatte der starre Blick der Fürstin die hübsche Stirn des jungen Franzosen nicht verlassen.

      ‚Ich werde ihn nicht mehr sehen‘, sagte sie sich. Und plötzlich warf sie sich in seine Arme und bedeckte mit Küssen die Stirn und die Augen, die sich nicht mehr mit Glück füllten, wenn sie von ihnen erblickt wurde. Der Chevalier würde es sich nie vergeben haben, hätte er nicht in diesem Augenblick jeden Plan eines Bruchs fallen gelassen. Aber seine Geliebte war zu tief aufgewühlt, um ihre Eifersucht zu vergessen. Wenige Augenblicke nachher betrachtete Sénecé sie mit Verwunderung. Tränen des Zornes liefen ihr über die Wangen. ‚Wie!‘ sagte sie sich, ‚ich erniedrige mich so tief, daß ich von seiner Veränderung spreche; ich werfe sie ihm vor, ich, die ich mir geschworen hatte, es niemals zu bemerken! Und das ist noch nicht genug Niedrigkeit, ich muß auch noch der Leidenschaft nachgeben, die mir dieses entzückende Gesicht einflößt! Ah, verächtlich, verächtlich! Es muß ein Ende nehmen.‘

      Sie trocknete die Tränen und schien wieder beruhigter. „Chevalier, wir müssen ein Ende machen“, begann sie ruhig; „Sie besuchen häufig die Gräfin…“ Da erbleichte sie. Und nach einer Weile: … — „Wenn du sie liebst, geh alle Tage hin, meinetwegen! Aber komm 12nicht mehr hierher.“ Sie hielt wie gegen ihren Willen an. Sie erwartete ein Wort des Chevaliers; das Wort wurde nicht gesprochen. Mit einem kleinen krampfhaften Zucken preßte sie durch die Zähne: „Das soll mein Todesurteil sein, und das Ihre.“

      Diese Drohung wirkte entscheidend auf die zage Seele des Chevaliers, der bis dahin über die unvorhergesehene Krisis nach solcher Hingabe nur erstaunt war. Er begann zu lachen.

      Ein plötzliches Rot bedeckte die Wangen der Fürstin, die wie Scharlach wurden. ‚Der Zorn wird sie ersticken,‘ dachte der Chevalier, ‚sie wird einen Schlaganfall bekommen.‘ Er näherte sich, um ihr Kleid aufzuschnüren, sie stieß ihn mit einer Festigkeit und Kraft zurück, die er nicht gewohnt war. Sénecé erinnerte sich später, daß er bei diesem Versuch, sie in seine Arme zu schließen, sie mit sich selbst hatte sprechen hören. Er zog sich ein wenig zurück, unnötig, denn sie schien ihn nicht mehr zu sehen. Mit tiefer Stimme sprach sie, als wäre sie hundert Meilen von ihm entfernt: „Er beleidigt mich, er fordert mich heraus. Bei seiner Jugend und mit der seinem Volke eigentümlichen Indiskretion wird er sicher der Orsini alle Unwürdigkeiten, zu denen ich mich erniedrige, erzählen. Ich bin meiner nicht sicher, ich kann nicht dafür einstehen, daß ich diesem Gesicht gegenüber unempfindlich bleibe.“ Hier folgte ein neues Schweigen, das dem Chevalier sehr langweilig vorkam. Die Fürstin erhob sich endlich und sagte in einem klagenden Ton: „Man muß ein Ende machen.“

      Sénecé, der durch die Wiederversöhnung den Glauben an den Ernst der Aussprache verloren hatte, sagte einige scherzhafte Worte über ein Abenteuer, von dem in Rom viel gesprochen wurde.

      13„Verlassen Sie mich, Chevalier,“ unterbrach ihn die Fürstin, „ich fühle mich nicht wohl…“

      ‚Diese Frau langweilt sich,‘ dachte Sénecé, indem er sich beeilte, ihr zu gehorchen, ‚und nichts ist so ansteckend wie die Langweile.‘ Die Fürstin war ihm bis zum Ende des Saals mit den Blicken gefolgt. ‚Und ich war im Begriff, unbesonnen das Geschick meines Lebens zu entscheiden!‘ sagte sie mit einem Lächeln. ‚Zum Glück haben mich seine Scherze ernüchtert! Wie dumm ist doch dieser Mensch! Wie kann ich ein Wesen lieben, das mich so wenig versteht? Er will sich und mich mit einem scherzhaften Wort amüsieren, wenn es sich um mein Leben und um das seine handelt!‘ Sie erhob sich. ‚Wie seine Augen schön waren, als er das Wort sagte! Man muß zugeben, die Absicht des armen Chevaliers war liebenswürdig; er hat meinen unglücklichen Charakter erkannt; wollte mich den trüben Schmerz, der mich bewegt, lieber vergessen lassen, statt mich nach seiner Ursache zu fragen. Ach, der liebenswürdige Franzose! Habe ich denn das Glück gekannt, bevor ich ihn liebte?‘

      Und sie gab sich mit Entzücken den Gedanken an die Vorzüge ihres Geliebten hin. Aber allmählich gingen diese ihre Gedanken auf die Reize der Gräfin Orsini über, und ihre Seele stürzte ins Dunkel. Qualen der furchtbaren Eifersucht ergriffen sie. Schon seit zwei Monaten beunruhigte sie eine unheilvolle Vorahnung. Ihre einzigen erträglichen Augenblicke waren jene, welche sie mit dem Chevalier verbrachte und doch sprach sie, wenn sie nicht in seinen Armen lag, fast immer gereizt mit ihm.

      Der Abend wurde schrecklich. Ganz erschöpft und fast ein wenig durch den Schmerz beruhigt, kam ihr der 14Einfall, mit dem Chevalier zu sprechen. ‚Er hat mich wohl gereizt gesehen, aber er weiß nicht den Grund. Vielleicht liebt er die Gräfin nicht. Vielleicht geht er nur zu ihr, weil ein Fremder die Gesellschaft des Landes, in dem er sich befindet, sehen muß und besonders die Familie des Herrschers. Wenn ich mir Sénecé offiziell vorstellen lasse, und er frei und offen zu mir kommen kann, vielleicht wird er ebensogern ganze Stunden bei mir, wie bei der Orsini verbringen.‘

      Aber wieder kam der wildeste Zorn über sie. ‚Nein, ich würde mich erniedrigen, wenn ich ihn spreche; er wird mich nur verachten, und das wird mein ganzer Gewinn sein. Das leichtfertige Wesen der Orsini, das ich Närrin so verachtet habe, ist ja wirklich angenehmer als mein Charakter, gar in den Augen eines Franzosen! Ich bin bestimmt nur dazu geschaffen, mich mit einem Spanier zu langweilen. Was gibt es auch Sinnloseres als immer nur schwer und ernst zu sein! Als ob, was das Leben mit sich bringt, dies nicht selber schon genügend wäre! Gott, was wird aus mir, wenn ich nicht mehr den Chevalier habe, der mir das Leben gibt, und das Feuer mir ins Herz senkt, das mir fehlt!‘

      Sie hatte Befehl gegeben, niemanden vorzulassen, aber dieser Befehl galt nicht für den Monsignore Ferraterra, der ihr zu berichten kam, was man bis ein Uhr morgens bei der Orsini getrieben habe. Dieser Prälat hatte bisher aus besten Kräften den Abenteuern der Fürstin gedient; aber seit diesem Abend zweifelte er nicht daran, daß Sénecé der Geliebte der Gräfin Orsini werden würde, wenn er es nicht schon war.

      ‚Die fromme Fürstin wird mir mehr nützen‘, dachte er bei dieser Beobachtung, ‚als die galante. Immer wird es sonst einen geben, den sie mir vorzieht, nämlich ihren 15Liebhaber; und ist eines Tages dieser Liebhaber ein Römer, so kann er einen Onkel haben, den man zum Kardinal machen muß. Wenn ich sie bekehre, muß sie vor allem und mit dem ganzen Feuer ihres Wesens an den denken, der ihre Seele lenkt, was kann ich nicht alles durch sie von ihrem Oheim erhoffen!‘ Und der ehrgeizige Prälat verlor sich in köstliche Zukunftsträume; er sah die Fürstin, wie sie sich ihrem Oheim zu Füßen warf, um für ihn den Kardinalshut zu erbitten. Der Papst würde ihm für das, was er eben zu unternehmen im Begriff war, sehr dankbar sein müssen. Sobald die Fürstin bekehrt wäre, würde er Benedikt XIII. die unwiderleglichen Beweise ihrer Liebschaft mit dem jungen Sénecé vorlegen. Religiös, aufrichtig und die Franzosen verabscheuend, wird der Papst ewige Dankbarkeit für den tatkräftigen Prälaten haben, der einer Intrige, die Seiner Heiligkeit so mißliebig, ein Ende bereitet hat. Dieser Ferraterra gehörte dem Hochadel Ferraras an, war reich und über fünfzig Jahre alt. Durch die so deutliche