Название | Das Buch des Kurfürsten |
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Автор произведения | Marlene Klaus |
Жанр | Языкознание |
Серия | Kurpfalz-Trilogie |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941408364 |
Die Tür zur Stube ging auf.
„Dieser dreckige Hurensohn!“
Nickel!
„Dem werd ich morgen was flüstern!“, polterte der obere Kanzleiknecht.
„Was willst du hier?“, lallte Michel Ley. „Ist doch nichts!“
„Dieser Hurensohn! Ich sag, der soll sich abmelden, und er tut’s nicht!“
„Weiß ich!“, brummte Ley.
„Also frag nicht, was ich hier will, Schafsarsch! Nachschauen muss ich! Ob alles seine Ordnung hat.“ Ein Grunzen. Licht huschte näher. Philipps Herz raste, er atmete flach.
„Lass mir doch nichts anhängen von dem!“
Ihm wurde heiß vor Anspannung. Wonach sah es wohl aus, sollten sie ihn hier entdecken, im Dunkeln, neben einen Schrank gekauert?
„’s riecht nach …“
„Maul!“
„Mein ja nur, es kann noch nicht lang her sein, dass er weg ist. Riecht nach eben gelöschter Kerze.“
„Heberer war noch hier, als ich hochging. Wird grad gegangen sein.“
Das Laternenlicht huschte gen Tür. „Wette, der hat den Rundgang nicht gemacht. Ich schwör dir, dem hau ich morgen die Fresse blau.“
Die Tür schloss sich. Dunkelheit flutete die Schreibstube.
Philipp atmete gepresst aus. Widersprüchliche Gedanken wirrten durch seinen Kopf. Alles verwirkt. Hätte er nicht soeben die Möglichkeit gehabt, sich Nickels und Michels Hilfe zu sichern? Er hatte es nicht getan. Er raufte sich einmal mehr das Haar. Nein, sinnlos, Nickel hätte zu Recht etwas Unlauteres vermutet, hätte er ihn hier ertappt. Und die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, seine Wut gegen ihn auszuspielen.
Nein, er konnte nichts anderes tun als das, was der Entführer von ihm verlangte, solange er nicht wusste, wo Hedwig war.
Er trat aus der Kanzlei, schickte vorsichtig Blicke die Gasse hinauf und hinunter, ehe er abschloss.
Nichts. Niemand.
Das Buch trug er unterm Mantel, hielt es im Arm, dicht an den Körper gepresst.
Er stieg die Stufen hinunter. Noch immer schneite es, wenn auch nicht mehr so heftig wie am frühen Abend. Dort, wo Hans zuvor gefegt hatte, lag eine neue weiße Decke aus Schnee auf dem Pflaster.
Hedwig. Juli. Wo waren sie?
Eine Gestalt eilte um die Ecke von der Kanzleigasse her, geradewegs auf ihn zu, hob den Arm.
„Philipp!“
Kilian!
Den konnte er nun gar nicht gebrauchen. Aber da war sein Freund schon heran. Etwas außer Atem vom raschen Gehen, Atemwölkchen in die Luft stoßend und einen Geruch nach Pferd verbreitend. „Dachte mir, dass du noch in der Kanzlei bist. Wurde also spät, was?“
Kilian schob die Kapuze aus der Stirn und sah ihn an.
Philipp spähte rasch umher. Wo war der Fremde? Lauerte er in der Nähe und beobachtete, wie er mit Kilian sprach? Die Obere Kalte Talgasse lag verlassen.
„Was ist?“, fragte Kilian, hielt die gewölbten Hände vors Gesicht und blies warmen Atem hinein.
„Nichts.“ Sein Herz raste. Gäbe es eine Möglichkeit …?
„Ich war bei euch. Hedwig ist nicht da“, sagte Kilian, ließ die Arme sinken und trat auf der Stelle.
Und dann sah Philipp ein verstohlenes Lächeln in Kilians Gesicht aufflammen, und mit einem Schlag wurde ihm so elend, dass er am liebsten um sich geschlagen hätte.
„Sie ist wohl schon vorgegangen, was? Hat sie …?“
Kilian ließ seine Frage unausgesprochen, schaute verlegen zu Boden und scharrte mit dem Fuß im Schnee. Dann blickte er Philipp wieder an. In seinem Gesicht lag eine so offensichtliche Vorfreude, dass Philipp augenblicklich wusste, sein Freund hoffte, Hedwig habe Appel tatsächlich zum Mitkommen bewogen. Er ballte die Hand zur Faust, schluckte. Dachte daran, dass Hedwig nicht dort war, wo Kilian sie vermutete. Vater im Himmel, hilf mir doch!, flehte er still. Was soll ich tun? Kilian einen Hinweis geben? Er wagte es nicht.
„Was ist mit dir? Hattest du so viel Arbeit?“ Kilian legte eine Hand auf Philipps Arm und sagte froh: „Komm, bei einem Krug Wein vergessen wir für heute die Arbeit!“
Unwillkürlich zuckte Philipp etwas zurück. Unter seinem anderen Arm klemmte das große Buch. Er konnte Kilian nicht ansehen, sah hinauf zum Himmel, aus dem winzige Flocken fielen, blickte die Gasse entlang.
„Komm“, sagte Kilian noch einmal.
Philipp hörte seines Freundes aufkommende Besorgnis. Er schüttelte den Kopf.
„Was?“
„Ich kann nicht.“ Er wand sich innerlich. Was sollte er Kilian sagen? Geschrien hätte er am liebsten. Hedwig verschleppt, troll dich, Kilian …
„Philipp?“
Er sah Kilian an. Rang nach Worten. Fühlte Angst.
„Du hast doch was. Ist etwas nicht in Ordnung?“ Forschend sah Kilian ihm ins Gesicht. Kilian, sein freundlicher, ruhiger Freund, den er schätzte und liebte. Kilian, Julis Pate. Er sah Kilian an und wünschte, er würde weggehen. Verzweifelt dachte er daran, dass der Hundsfott irgendwo in der Nähe vielleicht hörte, wie er mit Kilian sprach. Was mochte er annehmen?
„Ich muss … ich muss noch“, stotterte er schließlich. „Ich muss noch etwas erledigen. Einer der Räte. Ich …“
Kilian nickte zu seiner linken Seite hin: „Das, was du da so verkrampft unter dem Umhang trägst?“
Philipp erstarrte.
„Nun schau nicht so entsetzt. Ich weiß, dass du keine Kanzleigeheimnisse verraten darfst. Musst mir nicht sagen, was du tun sollst.“ Verständnisvoll breitete er die Arme aus. „Auch im Marstall gibt es wegen der bevorstehenden Abreise des Hofstaates viel zu tun.“ Er schlug ihm leicht auf den Arm. Dann schmunzelte er. „Hei, Freund, alles klar. Ich gehe voraus und unterhalte dein Weib so lange.“ Sein verschmitztes, scherzhaftes Lächeln brachte Philipp fast um den Verstand.
Trotzdem nickte er wie zur Zustimmung, brachte ein schmales Lächeln zuwege, sagte: „Ja.“
Kilian machte einen Schritt von ihm weg, sah die Gasse hinunter, fragte nun doch, indem er zu ihm zurücksah: „Ist sie dabei?“
Falls Appel im „Schwert“ war, würde sie sich ebenso wie Kilian wundern, wo Hedwig bliebe.
„Ich glaube schon“, antwortete Philipp und hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. Er konnte es nicht fassen, dass er seinem Freund ins Gesicht log. Er wollte das nicht. Aber er log noch einmal, indem er mit abschließendem Unterton sagte: „Ich komme, sobald ich kann.“
Kilian lächelte ihm zu, verschmitzt und in Feierlaune. „Wir werden uns die Zeit schon vertreiben. Doch sieh zu, dass du dich sputest! Einem wie mir können die Weiber nicht lange widerstehen!“
Er hob den Arm zum Gruß und verschwand im Dunkel der Gasse.
Zögernd tat Philipp einige Schritte Richtung Kanzleigasse. Der Fremde hatte gesagt, er käme auf ihn zu. Wo war er?
Er spähte vor sich. Schnee bedeckte das Pflaster, die Dächer, erhellte die Nacht. In der Ferne vor ihm schimmerte weißlich der waldige Hang am Friesenberg. Wo waren Hedwig und Juli? Und was würden Kilian und die Freunde denken?
Er erschrak, als sich eine dunkle Gestalt aus dem Schatten an der Ecke des Kanzleigebäudes löste und auf ihn zukam.
„Du hast es?“
Philipp nickte. Merkte, dass er zitterte. Angst bohrte sich in seine Eingeweide wie ein gefräßiger