Название | Das Buch des Kurfürsten |
---|---|
Автор произведения | Marlene Klaus |
Жанр | Языкознание |
Серия | Kurpfalz-Trilogie |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941408364 |
Derzeit ging es emsig zu. Kaum einer der Sekretäre und Schreiber konnte in diesen Tagen pünktlich um fünf Uhr Feierabend machen. Sie schwirrten umher, suchten Truhen und Kisten zusammen, packten Schriftstücke und Urkunden hinein, bearbeiteten Dringliches und Liegengebliebenes gleichermaßen eilfertig. Und die schwarzgelben Umhänge der Pfälzer Boten wehten in noch größerer Eile als sonst durch die Türen, wenn diese mit wichtigen Mienen nach jenen fragten, denen sie Botschaften zu überbringen hatten, oder jenen, die nach ihnen geschickt hatten. Denn Kurfürst Friedrich IV. verließ Heidelberg in wenigen Wochen, um in die Oberpfalz zu reisen. Man hatte im entfernten, zur Pfalz gehörenden Territorium nach ihm verlangt. Er sollte dort für eine längere Zeit seinen Aufenthalt nehmen und die Angelegenheiten ordnen. In der Oberpfalz schien der Aufstand der Einwohner gegen das calvinistische Pfälzer Regiment immer bedrohlicher zu werden. Die Anwesenheit des Fürsten war vonnöten. Und bis also Ihro Gnaden mit der Hälfte seines Hofstaates im Januar gen Amberg abreiste, mussten Unterlagen gesichtet, Schriftstücke vorbereitet, Bestände geprüft und der Reisezug gerüstet werden. Das setzte die Kanzlei noch mehr als sonst in Umtrieb.
Zu alledem war heute Martinstag. Das neue Wirtschaftsjahr begann. Zahltag für das abgelaufene Pachtjahr. Die Collectoren waren seit dem Nachmittag durch das Gebäude gehastet, um die eingenommene Pacht in der Rechenkammer abzuliefern. Die Rechenschreiber hatten nicht einmal Zeit für eine Pause gehabt und den Imbiss, den Philipp ihnen zu Mittag gebracht hatte, neben den Rechnungsbüchern eingenommen.
Er lehnte sich im Stuhl zurück und hob den Kopf. Im schwarzen Rechteck des Fensters gegenüber spiegelte sich sein Gesicht, bartlos derzeit, schmal. Draußen war es jetzt gänzlich dunkel. Philipp blähte seinem Spiegelbild die Backen auf, strich das ohrlange blonde Haar nach hinten. Er sah auf das Stundenglas. Fünf Uhr vorbei. Er hatte es geschafft. Er hatte die Zollzeichen fertig, musste sie nur noch in die Lade schließen. Er starrte in die Kerzenflammen auf dem Schreibtisch. Eigentlich sollte er nun durch die Stuben gehen und das Schreibzeug wieder einsammeln, doch zeitig morgen früh würde ohnehin alles wieder gebraucht werden. Es gehörte zu seinen Aufgaben als Kanzleiknecht, die Dinge, die in der Kanzlei verwendet wurden, zu verwahren. Er kümmerte sich um Truhen, Säcke, Taschen, Papier, Wachs und Tinte. Auch das Brennholz gab er aus. Er, Philipp Eichhorn, zwanzig Jahre alt, war der Hüter des Schreibzeugs, wie er zu Hedwig manchmal scherzhaft sagte. Beim Gedanken an Hedwig schmunzelte er. Sein Weib! Kämpfe hatten sie ausgefochten, bis sie endlich heiraten konnten. Weil sie so jung waren, war ihr Vater dagegen gewesen. Aber Hedwig war standhaft geblieben. Sie wollte ihm folgen. Sie hätten sich zu ihrem sechzehnten Geburtstag im vergangenen Februar ohnehin vermählt – dass Juli zu diesem Zeitpunkt bereits unterwegs war, erleichterte das Argumentieren gegenüber Hedwigs Vater. Vor Vorfreude auf sein Weib und seine Tochter wurde ihm warm ums Herz. Den Abend würden sie mit Freunden im Gasthaus „Schwert“ verbringen. Kilian kam natürlich mit, und dessen Kollege Georg Bock, der wie Kilian Hausknecht im Marstall war. Peter Manhum und Martin Bellersheim, zwei befreundete Einspännige, würden da sein, Torwächter und Trompeter, mit denen sie auch sonst gelegentlich im „Schwert“ oder dem nebenan gelegenen „Bären“ zechten. Und weil heute Martini war, das beliebteste Fest im Jahreslauf, das den Überfluss des Herbstes vielerorts mit Schlachtfesten feierte, zudem der Tag der ersten Weinprobe, würden zu dem Schmausen und Trinken am Abend auch die Weiber und Liebchen mitkommen, sodass die Schenken überquellen würden. Er freute sich darauf. Leider erinnerte es ihn aber auch daran, dass die Kanzleiknechte in ihren Stuben drüben im Ostflügel im Zwerchhaus unterm Dach ebenfalls ein Trinkgelage veranstalten würden. Er hoffte, Nickel würde ihm nicht den Abend verderben und ihm den Rundgang durch die Kanzlei aufbürden, weil er selbst saufen wollte. Es gehörte ebenfalls zu seinen Aufgaben, die Kanzleiverwandten abends hinauszulassen und sorgfältig hinter ihnen abzusperren. Doch da er verheiratet war und nicht wie die meisten Kanzleiknechte im Gebäude wohnte, musste er hernach nicht herumgehen, um nachzusehen, ob sich niemand in der Kanzlei verbarg. Nun, gewöhnlich tat Nickel dies ohnehin zu gerne selbst. Nicht nur, weil er oberer und Philipp unterer Kanzleiknecht war, sondern weil er sich gerne wichtig vorkam, wenn er, das Kurzschwert gegürtet und den stämmigen Michel Ley an seiner Seite, durch die leeren, dunklen Räume schritt, in denen tagsüber die Schreiber arbeiteten, die Notare protokollierten und der Oberrat tagte.
Philipp gähnte und betrachtete sich im Fenster, wie er das Maul aufriss. Just in dem Augenblick ging die Tür, und Sekretarius Dürr rauschte herein.
„Müde, Eichhorn?“, näselte er, während er herankam und mit gerunzelter Stirn auf Philipp niederschaute.
Philipp stand auf.
„Uns ist die rote Tinte ausgegangen, Eichhorn. Morgen früh ist mein zweites Horn wieder gefüllt, denk daran!“
Wie der das „uns“ betonte. Wichtigtuer.
„Du kannst mich nun hinauslassen. Kammersekretär Pelen ist schon gegangen.“
Kammersekretär Pelen ist schon gegangen, äffte Philipp in Gedanken das hochmütige Näseln des Sekretärs nach. Der bildete sich gewaltig was drauf ein, von Kammersekretär Pelen eingearbeitet zu werden. Dürr, Sekretär im Oberrat, genoss die Gunst des Kurfürsten und würde mit nach Amberg reisen, wo er die Aufgaben des alten Kammersekretärs übernehmen würde. Deshalb hing er mit Pelen derzeit meist droben im Schloss am Rockzipfel des Kurfürsten.
Philipp folgte dem schmalschultrigen Mann in den Flur. Dürr wartete, dass Philipp ihm die Tür aufhielt und stolzierte die drei Stufen hinunter, ohne einen Gruß auch nur zu murmeln.
Hässlicher Emporkömmling, dachte Philipp.
Er sah noch einmal die Gasse hinauf und hinunter. Keine dunkle Gestalt, kein Schatten. Philipp schloss die Tür und drehte den Schlüssel im Schloss.
„Wer war das?“
Philipp zuckte zusammen. Er hatte Nickel nicht herankommen hören.
Er drehte sich zu seinem Kollegen um. „Dürr“, antwortete er.
„Dann sind jetzt nur noch Hartung und Advokatus Schöner da. Und hinten in der Registratur Heberer.“ Nickel feixte.
Philipp ahnte, was nun kam.
„Du wartest, bis sie gegangen sind. Dann machst du den Rundgang. Worauf du hinaufkommst und dich bei mir abmeldest. Danach kannst du gehen. – Was? Passt dir nicht?“
„Nickel, du weißt …“
„Dass du zu deiner Holden willst?“ Er kam nah an ihn heran, so nah, dass Philipp riechen konnte, dass er bereits Bier getrunken hatte. Obwohl Nickel von kräftigerem Körperbau war als er selbst, der er zwar groß, aber dünn war, wich er nicht zurück. Nickel schob sein Gesicht dicht an seines. „Der untere Kanzleiknecht ist dem oberen zur Unterstützung beigeordnet“, spie er ihm ins Gesicht. „Und deshalb unterstützt du mich – und machst den Rundgang.“
Verachtung und Wut.
Warum nur? Weil Philipp ein Weib hatte und ihm deshalb erlaubt war, statt in der Kanzlei in einer Wohnung zu wohnen? Da war er nicht der Einzige, auch der ältere Knecht Conradt Hofman war verheiratet und verließ die Kanzlei am Abend. Er war Philipps Nachbar, hatte ihm die Wohnung bei Witwe Ringeler vermittelt. Neidete Nickel ihm dies? Oder lag es einfach an Nickels Wesen? Er war ein grobschlächtiger Prahlhans mit einer dicken, schiefen Nase, die ihm wohl einst einer gebrochen hatte.
„Du hast gedacht, weil Martini ist, lass ich dich früher laufen?“, zischte Nickel, dann lachte er einmal auf, falsch und widerwärtig, ein Stachel, den er Philipp ins Fleisch trieb.
Philipp starrte Nickel ins Gesicht und zischte: „Offenbar kennst du die Kanzleiordnung? Jeder Kanzleiverwandte muss sich eines gottesfürchtigen, ehrbaren und redlichen Wandels und Wesens befleißigen und sich der Laster …“
„Brauchst nicht so von oben herab zu tun, Eichhorn“, fiel Nickel ihm ins Wort. „Eines Tages polier ich dir die Fresse.“
Philipp