Das Buch des Kurfürsten. Marlene Klaus

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Название Das Buch des Kurfürsten
Автор произведения Marlene Klaus
Жанр Языкознание
Серия Kurpfalz-Trilogie
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941408364



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      „Verzeiht“, murmelte Ryss. Er sah, wie sie sich erneut mit Blicken verständigten.

      Die Stiefelspitze des Dunkelhaarigen tippte nacheinander einige der umliegenden Gegenstände an. „Tönerne Räucheröfchen, der Fünfstern als glasierte Verzierung. Schmelztiegel, Hahnenkrallen. Und was ist das? Ziegenohren? Ein Krämer? Würzverfälscher wohl eher.“

      Rotnase hielt ein Säckchen hoch und schüttelte es. Die Walnüsse darin klapperten. „Dass der Teufel dich schände, Geschäftemacher und Betrüger“, bemerkte er.

      „Keineswegs, Herren“, widersprach Ryss und legte Selbstbewusstsein in Stimme und Haltung.

      „Kräuter, Öle. Und das hier …“ Die Stiefelspitze trat auf einen mit einer Kordel zusammengehaltenen Bund Flugblätter, die Rezepte und Zaubermaßnahmen enthielten, was man an den Bildern erkennen konnte. „Damit führst du leichtgläubige Menschen hinters Licht.“

      „Ich …“

      Rotnase hielt ihm sein in schwarzes Leder gebundenes Buch hin, in das er seine Rezepturen und Erfahrungen einzutragen pflegte. Er trug es stets ums rechte Bein gezurrt, und sie hatten es ihm ebenso abgenommen wie seine Beutelchen, als sie ihn nach Waffen durchsuchten. Besonders überlegt waren sie dabei allerdings nicht vorgegangen. Die naheliegendste Stelle hatten sie nicht angetastet. Ryss versuchte, die niedergeschmetterte Miene beizubehalten und sich nicht anmerken zu lassen, dass es ihn anwiderte, dass die dicken Finger mit den schwarzen Nägeln sein geliebtes Buch beschmutzten.

      „Verwickelte Verzierungen im schwarzen Leder.“ Er drehte das Buch um und deutete mit dem Finger auf die Rückseite. „Noch einmal der Fünfstern. Und innen drin unverständliche Zeichen und Wörter. Die Zubehöre eines Zauberers, wenn Ihr mich fragt. Herr.“ Er warf das Buch zu den anderen Dingen am Boden.

      „Aber Ihr irrt!“ Ryss gab sich empört und zog die Nase hoch. Unverständliche Zeichen und Wörter! Dieser Idiot! Nur weil er selbstverständlich in seiner eigenen Sprache schrieb, die dieser Dummkopf natürlich nicht kannte. Wenn der überhaupt lesen konnte!

      „So?“ Der Stehende klang fast belustigt.

      Ryss’ Kehle wurde eng, als er sah, wie Rotnase die Hand auf den Schwertknauf legte.

      „Lass stecken, Vetter. Er kommt uns wie gerufen. Erspart uns unnötig Weg und Unbill. Und er ist ein Fremder. Wir nehmen ihn.“

      Rotnase stieß ein überraschtes Grunzen aus.

      „Quacksalber, sagen wir, du wirst uns einen Gefallen tun“, bemerkte der Dunkelhaarige.

      Das hieß, dass sie ihn erst einmal nicht kaltmachten. Ryss spürte Erleichterung, auch wenn er Übles ahnte. Er rang sich ein steifes Lächeln ab und erwiderte: „Jederzeit, die Herren, zu Diensten, so es ist nicht unlauter und ich es vermag!“

      „Unlauter?! Hirhirhir!“ Rotnases Lachen rasselte dünn. „Unlauter, ich fress dem Ochsen seine Eier! Unlauter!“ So ungestüm, wie er begonnen hatte, war er auch wieder still. Er beugte sich zu ihm herüber, Ryss konnte den üblen Atem des Gesellen riechen, als der ihm drohend langsam Wort für Wort entgegenspie: „Hausierer sind hierzulande keineswegs gut gelitten.“ Er deutete auf die umherliegenden Dinge. „Zauberer auch nicht. Schau dir deinen Mischmasch an. Und dann danke dem Herrn, dass wir dich nicht dem nächsten Büttel ausliefern.“

      Ryss schluckte. Das hätte gerade noch gefehlt. Da war er aus diesem Grund aus der Stadt fort, nur, um ausgerechnet mitten im verlassensten Wald auf diese beiden Halunken zu treffen, die ihm damit drohten, ihm genau zu jenem Schicksal zu verhelfen, dem er zu entfliehen gedacht hatte. Oder die ihn umbrachten, wenn er sich nicht geneigt zeigte. „Ich bin sicher, wir kommen überein“, sagte er glatt – und lächelte. Gwae fi! Wie komme ich da wieder heraus?, überlegte er.

      „Binde ihn los!“, befahl der Stehende.

      Rotnase warf ihm einen warnenden Blick zu. „Keine Dummheiten, verstanden!“

      Ryss schnitt eine Grimasse, von der er hoffte, dass sie leutselig und zustimmend aussah, drehte den Oberkörper, sodass der Kerl ihm die Fesseln abnehmen konnte. Er ächzte, als er die Hände nach vorne nahm und sich die Gelenke rieb. Man bedeutete ihm aufzustehen.

      Als er es tat, warf er einen raschen Blick in die Ecke, wo zusammengesunken das Mädchen kauerte. Sie sah nicht her.

      „Nur so, um Aufschluss zu erlangen“, sagte er beiläufig. „Die Gegenleistung für meinen Gefallen?“

      Rotnases Faust schnellte nach vorne, traf ihn hart am Kinn, sein Kopf flog zur Seite, er taumelte rückwärts. Ein erstickter Aufschrei des Mädchens. Ryss spuckte auf den Boden, hielt sich den Kiefer, nickte. „Verstanden“, murmelte er. „Ihr seid gerade nicht so gut bei Kasse, um zu bezahlen mich. Ich habe Verständnis.“

      Rotnase packte ihn am Brusteinschnitt seines schwarzen Überhemds.

      „Du – quatschst – mich – nicht – dumm, Windhund!“

      Beschwichtigend hob Ryss beide Arme.

      Rotnase ließ ihn los.

      „Genug jetzt!“, befahl der andere. Er hatte nahe der Feuerstelle herumgekramt, jetzt legte er ein großes Buch auf einen Baumstumpf und winkte ihn heran. Er schlug das Buch auf, blätterte zu einer Seite weiter und zeigte darauf. Ryss konnte die Schrift im schwachen Feuerschein kaum erkennen. Auch um welche Art Buch es sich handelte, vermochte er nicht zu sagen. Von der Größe her allerdings schien es nichts Alltägliches zu beinhalten.

      „Ein Radiermesser stellen wir. Du musst mit äußerster Umsicht vorgehen. Hernach wird eine Behandlung erforderlich sein, die das Papier glättet, es in eine Art, sagen wir, jungfräulichen Zustand versetzt.“ Der Schmallippige grinste tatsächlich anrüchig. „Wir haben dafür vorgesorgt.“ Er wies auf Ryss’ am Boden verstreute Habseligkeiten. „Aber sicher findet sich zudem in deinem Zauberkasten Geeignetes.“

      „Ich bin Krämer, kein Alchemist!“, widersprach Ryss und bereute es sofort, da Rotnase drohend an seine Seite trat.

      „Schon gut!“, wehrte er ab. „Gestattet eine Frage mir?“

      Die beiden verständigten sich einmal mehr mit Blicken, und Ryss, bemüht, dass es nicht wieder wie eben mit ihm durchging, sagte: „Ich nehme an, ich kann ziehen meiner Wege, wenn meine Aufgabe ist erfüllt?“

      „Du wirst so lange bei uns bleiben, wie wir dich brauchen. Danach kannst du gehen“, bestimmte der Braunhaarige.

      Ryss verneigte sich. Sie werden den Teufel tun und mich ziehen lassen, dachte er.

      Da begann der Säugling zu keckern und Rotnase fuhr zornig herum. „Wenn das wieder losgeht, werf ich es ins Feuer!“

      Sie sahen alle drei zu dem Mädchen hin, das aufschluchzte und eilig das Kind zu beruhigen suchte. Hastig schnürte sie ihre Kleidung auf und begann, es zu stillen. Ryss kaute seine Unterlippe. Damo!, wo war er da nur hineingeraten?

       Elf

      Der erste Glockenton von Heiliggeist hallte über den Marktplatz, weitere folgten, es schlug Mittag. Philipp lehnte an der Rathausmauer. Er hatte das rechte Bein angewinkelt und stützte den Fuß am Mauerwerk ab. Über seinem Kopf stoben laut flatternd die Tauben vom Balkon auf, der über die gesamte Stirnseite des Rathauses verlief. Benommen starrte er auf das Gewirr aus Schragentischen, Menschen, Hunden und Hühnern vor sich. Er gewahrte den langen braunen Mantel einer Bürgersfrau am Stand eines Goldschmieds, die Puffärmel, den hohen Kragen, der in die Halskrause mündete, die Kinn und Haaransatz im Nacken bedeckte. Er sah die rote Feder auf ihrem kleinen Barett bei jeder Bewegung ihres Kopfes wedeln. Wie konnte sie nur so sorglos um eine Kette feilschen, wo seine Welt doch aus den Angeln gehoben war? Wie konnte nur alles den gewohnten Gang gehen, wie konnte der Metzger so gleichgültig wie eh und je Schweinehälften in Stücke hacken, wie der Kammmacher so selbstverständlich am Horn herumfeilen? Er hatte ein solches Mühlrad im Kopf! Zu seiner Angst und Sorge um Hedwig und Juli kam die Wut