Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß

Читать онлайн.
Название Die wichtigsten Werke von Richard Voß
Автор произведения Richard Voß
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027223008



Скачать книгу

entschied sie und lachte. »Unsere Augen passen zusammen, überhaupt gefällt mir dein Gesicht. Und am meisten gefällt mir, daß du nicht schön bist. Aber dein Mund ist schön. Deine Lippen könnten einem antiken Bacchus gehören. Jetzt gehören sie mir.«

      Und sie küßte ihn.

      Dann löschte sie das Licht und beide verließen das Haus leise und heimlich. Draußen hing sie sich an seinen Arm.

      »Was meinst du, wenn wir beide fortgingen und gar nicht wiederkämen? Ich habe genug gelebt und wäre mit dem Ende meines Lebens zufrieden. Ist denn gar kein Fluß in der Nähe? Du dürftest mich freilich nur bis ans Ufer begleiten.«

      Sie sagte das lächelnd, aber hätte er diesen Augenblick ihr in die Augen sehen können, er würde sich vor ihrem Lächeln entsetzt haben. Stumm ging er neben ihr.

      Alles ringsum war still.

      »So rede doch!« rief Anna Pawlowna plötzlich mit Heftigkeit. »Sage mir, woran du denkst, was du fühlst. Frage mich, ob ich nicht träume.«

      »Was solltest du träumen?«

      »Was?«

      »Du liebst mich.«

      »Nun ja, aber du dachtest doch Übles von mir; du verachtest mich doch; vorhin tatest du's. Lüge nicht!«

      »Wir wollen nicht davon reden, es ist geschehen; ich habe jetzt keine Gedanken.«

      »Du wirst dir Gedanken machen; vielleicht heute noch, morgen gewiß. Du wirst über alles nachdenken und mich dann von neuem verachten. Du wirst es! So seid ihr Männer. Nein, so bist du. Deswegen eben liebe ich dich.«

      »Deswegen?«

      »Begreifst du das nicht?«

      »Nein. Was ist an mir Besonderes? Aber ich glaube dir; dir glaube ich alles. Mich verachte ich, mich muß ich verachten; aber dich – –« Und mit plötzlichem Schiecken: »Wenn du nun aufhörtest, mich zu lieben?«

      »Darüber sei ohne Sorge. Du kennst mich noch nicht. Ich bin nicht wie andere Frauen. Warum siehst du mich so an?«

      »Natürlich bist du nicht wie andere Frauen. Wer ist wohl so schön wie du? Und welche Frau, die so schön ist, wird einen Mann lieben wie mich? Ich bin ein Bauer gewesen, ich bin es noch. Freilich, deshalb liebst du mich ja, du liebst mich, weil du das Volk liebst, das ist es. Ich habe es ihnen immer gesagt, daß du das Volk liebst.«

      »Wem hast du das von mir gesagt?«

      »Wladimir Wassilitsch und den anderen. Du weißt, daß sie dir mißtrauen.«

      »Ich weiß es. Was kümmert das uns, dich und mich?«

      »Nichts. Sie werden dich noch kennen lernen.«

      »Willst du es ihnen sagen? Meinetwegen darfst du es. Meinetwegen mögen sie wissen, daß ich deine Geliebte bin.«

      »Keiner würde mir das glauben. Du darfst aber nicht so von dir sprechen.«

      »Warum nicht? Ich bin, was ich mich nenne: deine Geliebte. Es ist keine Schande, oder hältst du es dafür? Ich bin stolz darauf. Sagtest du etwas?« Aber er hatte nichts gesagt.

      Sie nahmen keinen Abschied und vermieden es, sich anzusehen.

      Langsam kehrte Anna Pawlowna nach Hause zurück.

      Nein, dachte sie, nein, ich bereue es nicht. Er ist gut, und ich mache ihn glücklich. Mein Dasein hat einigen Wert erhalten, ich werde ein neues Leben beginnen. Übrigens liebe ich ihn. Wer hätte das gedacht.

      Sie blieb stehen und horchte auf seine Schritte. Er ging schnell davon; es klang beinahe, als entflöhe er.

      Fünftes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Die Fürstin Danilowsky klagte über Migräne. Worth hatte eine Toilette geschickt, auf die sie große Hoffnungen gesetzt und die auf dem gestrigen Rout bei Madame Lawrow nicht durchgeschlagen hatte. Ihr letzter Teeabend war schwach besucht gewesen, einige der jüngeren Damen hatten laut über die dunkle Beleuchtung geklagt, und weder Anna Pawlowna, noch Boris Alexeiwitsch waren gekommen.

      Besonders erregte sie das Ausbleiben des letzteren, der sich überhaupt seit einiger Zeit von der Fürstin fernhielt. Die Leidenschaft der alternden Weltdame für den jungen Lebemann war in ein Stadium getreten, daß sie alle Herrschaft über sich verlor. Die Kaltherzigkeit ihres Freundes brachte sie zur Verzweiflung, und sie war bereits so weit gelangt, kein Mittel zu verschmähen, um den spröden Schönen zu ihren Füßen zu sehen. Aber Boris hatte für alle ihre Künste, wenn er sich überhaupt herabließ, sie zu bemerken, nur ein kaltes Lächeln. Die Fürstin war außer sich. Stunden verbrachte sie vor dem Spiegel. Nicht das kleinste Fältchen entging ihr. Trotzdem meinte sie an dem Glauben festhalten zu dürfen, immer noch begehrenswert zu sein. Boris zuliebe änderte sie ihr Leben vollständig und empfing, ihn erwartend, niemanden. Er kam nicht. Sie schrieb ihm, doch er antwortete nicht. Was tat er, wo war er? Sie ließ seinem Leben und Treiben nachspüren und brachte in Erfahrung, daß er sein Verhältnis zu der Wiener Operettensängerin gelöst hatte. Diese Entdeckung bestärkte sie in dem Verdachte, daß eine neue Leidenschaft ihn fesselte. Wer war die Frau?

      Und die Fürstin suchte. Bald fand sie eine Spur, die in die Preobraschenskaja-Vorstadt führte, in das einsame, scheinbar verlassene Haus, welches Anna Pawlowna gehörte. Jeden Tag begab sich Boris Alexeiwitsch dorthin. Anstatt in der eleganten Welt zu sein, verbrachte er also seine Abende mit Studenten und deren Weibern an einem abscheulichen Orte.

      Es war ihm demnach Ernst mit seinen nihilistischen Neigungen? Unbegreiflich! Die Fürstin wurde nachdenklich. Eine Sache, um derentwillen dieser Mann sich kompromittieren konnte, mußte eigentümliche Reize haben. Von Neugierde und Eifersucht getrieben, beschloß sie, den Nihilismus näher kennen zu lernen.

      So fuhr sie denn eines Vormittags in die Preobraschenskaja-Vorstadt, ließ ihre Equipage vor dem ehemaligen Gärtnerhause halten, befahl dem Diener, zurückzubleiben, und begab sich in den Hof, darauf gefaßt, eine Art von Räuberhöhle und eine Schar russischer Blusenmänner und Petroleusen vorzufinden. Colja gärtnerte in dem Kohlfeld, sah die Dame, hielt sie für die Barina und kümmerte sich nicht im mindesten um sie. Seitdem er sich in der Stadt befand, hatte er einen Haß auf die ganze Menschheit geworfen. Er sah sehr schlecht aus, als wäre er von einem schleichenden Fieber befallen, und seine kleinen Augen lagen tief eingesunken in den Höhlen.

      Lange mußte die Fürstin stehen und rufen, bis er sich endlich von der Stelle bewegte.

      »Ist jemand im Haus?«

      »Wird wohl jemand drinnen sein.«

      »Wer?«

      »Das Täubchen Tania Nikolajewna. Wer anders?«

      »Kennst du Boris Alexeiwitsch?«

      »Wie sollte ich den nicht kennen? Boris Alexeiwitsch! Das ist ein Väterchen! Den kenne ich!«

      Er machte die Gebärde des Zuschlagens und spie aus.

      »Kommt er oft hierher?«

      »So, so.«

      »Zu Tania Nikolajewna, nicht wahr?«

      Coljas Augen funkelten. Er sah die Fürstin so wild an, daß diese sich entsetzte.

      »Was hast du? So rede doch!«

      »Der zu Tania Nikolajewna, der! Er soll nur kommen.«

      Und er wiederholte seine Bewegung von vorhin, eine Pantomime, die nicht mißzuverstehen war.

      »Führe mich zu ihr.«

      Doch Colja rührte sich nicht.

      »Hörst du nicht?«

      »Was wollen Sie von dem Täubchen?«

      Die Fürstin war zuerst nicht geneigt, Antwort zu geben, aber der