Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß

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Название Die wichtigsten Werke von Richard Voß
Автор произведения Richard Voß
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027223008



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hoffentlich nichts vorgefallen?« wiederholte er angstvoll. Er sah sie an und erkannte, daß ihre Wangen gerötet waren. Sie hat geweint, dachte er und erschrak, daß es ihm den Atem versetzte.

      »Es ist vieles vorgefallen,« erwiderte Anna Pawlowna mit fester, lauter Stimme, auf ihre eigenen Worte lauschend. »Ich habe erkannt, wie die Menschen sind und wie Sie sind. Ich bin von Ekel ergriffen worden. Ich würde am liebsten aufhören zu leben, so fühle ich mich von allem angewidert, so – –«

      Aber er unterbrach sie.

      »Sie sind unglücklich! Sie möchten sterben! So jung, so gut, so schön! Das ist nicht möglich.«

      Er stand vor ihr, sie voller Entsetzen anblickend, bebend, totenblaß.

      »Das ist nicht möglich, nicht möglich!« murmelte er in einem fort, mit zitternden Händen seinen Rock auf- und zuknöpfend. »Wie kann so etwas möglich sein? So jung, so gut, so schön!«

      Große Tränen traten ihm in die Augen und rannen langsam seine Wangen herab. Er achtete erst darauf, als Anna Pawlowna in einem ganz eigentümlichen Ton ihn fragte: »Sie weinen? Weinen Sie um mich?«

      Hastig wandte Sascha sich ab, etwas Unverständliches stammelnd. Er mußte an Marja Carlowna denken, die auch so schön und so unglücklich war, um die er auch geweint hatte. Freilich, jene war schlecht! schlecht! schlecht! Und er schämte sich seiner um sie vergossenen Tränen. Denn wenn er schon um Marja Carlownas Schicksal geweint hatte, was sollte er dann tun, wenn Anna Pawlowna so vor ihm stand, mit einem solchen Gesicht! Wenn Anna Pawlowna zu ihm sprach, mit einer solchen Stimme: »Ich bin unglücklich und ich möchte am liebsten aufhören zu leben.«

      Er stöhnte laut auf.

      »Sie weinen um mich,« wiederholte die stolze Frau leise. Und noch leiser setzte sie hinzu: »Sie, der Sie mich retten können.«

      »Ich?«

      Es klang wie ein Schrei.

      »Begreifen Sie denn nicht, sehen Sie denn nicht – –«

      Aber er begriff nichts, er ward von Schwindel erfaßt. Er sah nichts; wie dichter Nebel legte es sich vor seine Augen. Durch alle seine Sinne klang und tönte es: sie möchte sterben und ich kann sie retten. Ich, ich!

      »Kommen Sie ins Haus,« hörte er sie endlich sagen, wiederum mit jenem Ton in der Stimme, der ihn erbeben machte bis in sein tiefstes Herz hinein. Gleich einem Berauschten ging er neben ihr dem Hause zu. Es war ihm, als sproßten vor ihr am Wege Blumen auf, als bedeckte sich die ganze Erde mit Blüten. Waren plötzlich am Himmel Sonnen aufgewirbelt oder sonst Wunder geschehen, es hätte ihn nicht in Erstaunen versetzt; denn: diese Stimme, dieser Ton! Und daß er sie sollte retten können – –

      Auch Anna Pawlowna fühlte, daß sich etwas Großes in ihrer Seele vollzog.

      Sollte ich ihn wirklich lieben können? dachte sie und erschrak beinah über das, was sie bei dieser Vorstellung empfand. Ich würde ihn überreich machen, ich würde an ihn verschwenden, ich würde – – Aber das ist ja Tollheit! Tollheit! Mein Gott, wenn es doch möglich sein könnte, wenn ich doch noch glücklich würde; für eine Stunde, einen Augenblick, einen Atemzug glücklich – –

      Und sie hätte in dieser Stunde für einen solchen Augenblick ihr Leben gegeben.

      Drittes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Die Kammerfrau trat in das Speisezimmer und die Prinzessin fuhr aus ihrer Vision auf.

      »Laß uns allein!« rief sie der Vertrauten zu.

      Die Lampe war angezündet worden, sie nahmen an dem Teetisch Platz; Anna Pawlowna schenkte ihm ein und legte ihm vor, was ihn so aufregte, daß er keinen Bissen zu essen vermochte. Während er trank, saß sie ihm gegenüber und sah ihn unverwandt an. Sie empfand, wie jede Minute sie der Erfüllung ihres Geschickes näher brachte.

      Welche Komödie das Leben ist, dachte sie. Es macht müde und das Herz bleibt leer. Ich muß diese Leere ausfüllen, der leeren Brust ein Herz geben, eines anderen Herz! Wie – das Herz eines Bauern? Und das sollte keine Posse sein?! Dem Vater ließ ich die Knute geben und den Sohn möchte ich küssen. Ich bin toll! Aber das Herz ist mir wie gestorben und will doch auch einmal leben. Man ist doch schließlich auch ein Geschöpf! Aus diesem Nichts in jenes Nichts überzugehen, ohne jemals etwas empfunden zu haben, es wäre zu sinnlos.

      Als er endlich mit seiner Tasse fertig war, nahm sie das Gespräch wieder auf: »Ich muß es Ihnen noch einmal sagen: Sie sind viel zu vertrauensvoll, viel zu kindlich dem Leben gegenüber. Das ist sehr hübsch, aber sehr unpraktisch. In der Welt muß man weltklug sein. Ich hatte keine Ahnung, daß es einen Mann gäbe wie Sie. Mir sind Sie übrigens am liebsten so wie Sie sind, aber ich bin nicht die Welt. Das Leben kann sehr schmutzig sein und Sie sind so rein, so unberührt.«

      Was für eine Frau! dachte Sascha; was für eine Frau! Sie ist unglücklich, sie möchte aufhören zu leben und sie denkt an mich! Wie ist das nur möglich? Wer bin ich, daß sie an mich denkt? Ein Mensch, nicht wert, ihre Füßchen zu küssen! Und sie ist unglücklich, sie so schön, so gut, so mächtig – –

      Darüber kam er nicht heraus, Anna Pawlowna fuhr fort: »Wer mit Ihnen lebt, muß ein besserer Mensch werden. Ich kann begreifen, daß Wladimir Wassilitsch glaubt, Sie vor mir warnen zu müssen.«

      »Warum?« stammelte Sascha, heftig atmend. »Mich vor Ihnen warnen – –«

      »Nun ja. Als ob Wladimir Wassilitsch nicht versucht hätte, Ihnen Argwohn gegen mich einzuflößen. Was hat er Ihnen von mir gesagt? Daß ich nur Ihretwegen zu den Euren gehöre, daß ich mit Ihnen spiele, daß ich Sie einschläfern, Sie unglücklich machen würde?«

      »Das alles hat er mir gesagt,« bekannte Sascha voller Verzweiflung. Er fühlte, daß er den Mann, der ihm das alles von Anna Pawlowna gesagt, der ihn vor Anna Pawlowna gewarnt hatte, haßte, daß er diesen Mann töten könnte, und wenn er sein bester Freund, sein Bruder wäre.

      »Wie? Und Sie lassen sich trotzdem – –«

      Sie verstummte und sah ihn an, mit einem Blicke, der ihn wie eine Flamme traf. Als handelte es sich um Tod und Leben, begann Sascha zu reden: »Sie wissen, was für ein Fanatiker Wladimir Wassilitsch ist, und Sie wissen, wie ich an Sie glaube. Es ist ein schrecklicher Irrtum Wladimirs, Ihnen zu mißtrauen, ein großes Unrecht! Welch andere Absichten als die besten, als die allerbesten könnten Sie haben? Bedenken Sie doch die Gefahren, denen Sie sich unsertwegen aussetzen! Und wir würden Sie nicht einmal beschützen können. Natürlich würde ich es versuchen, aber was könnte ich helfen? Sie tun so viel für uns, Sie opfern so viel, Sie würden gern noch mehr für uns tun. Es kann aber natürlich alles nur langsam geschehen und die Unseren sind so unvernünftig. Das hat gar nicht meine Billigung, ich bin sehr traurig darüber. Es ist nicht das Rechte, es hilft dem Volke nichts, das Volk wird dadurch nur noch unglücklicher werden. Es ist alles sehr schlimm. Sie sind so klug, Sie sollten – – Ach, ich kann mich so schlecht ausdrücken, ich bin so unbeholfen. Sie haben ganz recht: ich bin unmännlich. Ich weiß so wenig, ich habe gar keine Kenntnisse. Alles verwirrt mich. Ich habe die besten Absichten, aber ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Ich bin Ihnen so dankbar, daß Sie mich nicht verachten. Sie verachten ja auch das Volk nicht; ach nein, gar nicht! Ich weiß, daß Sie das Volk sogar lieben.«

      »Ich liebe Sie!«

      Sie sagte es laut und fest, ohne sich zu rühren.

      Sascha fuhr in die Höhe, wollte auf sie zu, taumelte, blieb stehen, starrte sie an, murmelte: »Ach, Anna Pawlowna, was haben Sie gesagt?«

      »Die Wahrheit!«

      Das Zimmer kreiste um Sascha. Er zitterte und hielt sich am Stuhle fest. Endlich brachte er mit Anstrengung hervor: »Nun ja, Sie sind sehr schon. – – Ich kann nichts denken! – – Sehr schön! – – Ich weiß, Sie lügen nicht. Das kann man gar nicht, wenn man so schön ist. Da muß man auch gut sein.