Название | Die wichtigsten Werke von Richard Voß |
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Автор произведения | Richard Voß |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027223008 |
»Ich habe das nicht vergessen. Ich glaube, gerade deshalb muß ich Sie lieben. Sie kennen die Männer nicht, mit denen ich so lange leben mußte, an deren einen ich verkauft ward. Da ist alles so matt, so verbraucht, so entnervt. Zuletzt wird man ebenso. Es steckt an, man wird mit vergiftet. Fort mit ihnen! Wir wollen sie wegwerfen und über sie lachen. Ja und wir wollen sie verachten, denn sie verdienen nichts Besseres. Sie aber liebe ich!«
»Soll ich mich töten?« stammelte Sascha. »Sagen Sie es mir; es wäre vielleicht das beste. In meinem Kopf wirbelt es durcheinander. Mein Gott, ich werde doch nicht den Verstand verlieren?«
Feierlich sprach sie: »Sie sind eines Bauern Sohn – immer will ich daran denken! Meine Väter haben Ihre Väter mißhandelt, Sie sollen sie an mir rächen! Ihre Väter waren unsere Knechte, Sie sollen mein Herr sein! Ich habe viel zu sühnen. Aber Sie wissen nicht, wie eine Frau alles wieder gutzumachen vermag. Sie kennen nicht die heilende Macht einer Frau. Und kämen Sie zu mir mit zerrissenen Gliedern, meine liebkosende Hand würde Ihre Wunden heilen. Und wäre ich eine Bettlerin, ich würde Sie reich machen, Krösusschätze über Sie schütten. Was ich bin und habe, gehört Ihnen und den Ihren. Aber nicht ich bin es, welche gibt, sondern Sie. Sie geben mir, Sie! Ach Sascha, ich möchte diesen Glanz von mir werfen und ein Bauernweib werden. Befehlen Sie es mir! Es muß schön sein, sich von Ihnen befehlen zu lassen. Ich mochte vor sie alle hintreten und ihnen sagen: Das ist er, den ich liebe, den ich verehre, der mich zu sich erhebt, der mich gut und sich gleich macht, der mich zu einem Ebenbilde Gottes erschafft. Was für Gesichter sie machen würden, diese Puppen! Ach ich bin sinnlos!«
»Ich wußte nicht, daß es so etwas auf der Welt gibt,« rief Sascha außer sich. »Niemand hat mich bis jetzt geliebt. Und Sie – – Ich kann es nicht fassen! Sehen Sie doch nur, was für Hände ich habe. Und Sie – solche Händchen!«
Ei beugte sich herab und küßte leidenschaftlich die schlanken blassen Finger.
»Erschrecken Sie nicht, wenn ich wild bin. Es liegt wohl in meiner Natur. Aber so treten Sie mich doch mit Füßen! – – Ich will nichts denken, als das eine Wort, das Sie gesagt haben. Nein, sagen Sie es nicht wieder, ich muß Sie sonst – – Ach, Sie haben so weiße Zähne und so rote Lippen! Und was für Haar! So weich, so seidig, so duftig! Ich will es auflösen und Sie sollen mich damit in Banden schlagen, wie – – Ich habe den Namen vergessen.«
»Sie hieß Lillith. Aber sei still.«
Viertes Kapitel
Eine volle Woche blieb er bei ihr – –
Und das Götterbild neigte sich, neigte sich tief herab.
Der arme Sterbliche, um derentwillen es aus seiner olympischen Höhe niederstieg, wußte nicht, wie ihm geschah. Er stand da und sah es vor sich gehen, und seine arme Seele tat den ungeheuren Sturz mit; tief hinab in den Abgrund.
Denn das unsägliche Entzücken, das ihn beim ersten Neigen ihres stolzen Hauptes ergriffen, verwandelte sich in einen namenlosen Schmerz, da er sein Idol zu seinen Füßen sah.
Ihr Kuß brannte auf seinem Munde, und als ob sie ihm die Seele aus dem Leibe geküßt hätte, stand er vor ihr wie leblos.
Wieder mußte er Marja Carlownas gedenken, Marja Carlownas, die schlecht war und von der er sich abgewendet hatte. Am liebsten hätte er das auch jetzt getan. Am liebsten hätte er seine Wange an die Anna Pawlownas gelegt, daß ihre Tränen zusammengeflossen wären, hätte dann stumm Abschied genommen und wäre davongegangen, irgendwohin in die weite Welt, die nun für ihn nichts Hohes mehr besaß, denn sein Höchstes war ihm genommen: sein Glaube an die Heiligkeit der Frau.
Und Marja Carlowna hatte keinen Mann, dem sie Treue gelobt und den sie hinterging.
Die Frühlingsnacht erhellte mit mattem Schimmer das Zimmer, wo sich die beiden bleich und stumm gegenüberstanden, einander mit Entsetzen in die Augen blickend. Denn die Frau begriff, was in dem Manne vorging und daß sie in ihm eine Welt zerstört hatte, die keine Gottheit wieder aufbauen konnte.
Ihr Blick wurde starr und wild. Sie öffnete die Lippen, sie wollte etwas sagen, einen Schrei ausstoßen, aufstöhnen. Aber sie konnte keinen Laut hervorbringen. Sie wollte ihn fortstoßen, sie wollte fliehen, aber sie blieb stehen wie angefesselt. Hätte sie eine Waffe bei sich gehabt, so hätte sie sich vor seinen Augen getötet. Sie glaubte den Verstand verlieren zu müssen. Der Gedanke, daß er sie verachten könnte, brachte sie von Sinnen, denn sie liebte ihn!
Sie rief, schrie es ihm zu.
Sie war es sich klar bewußt. Während sie sich von ihm verworfen fühlte, erwachte in ihr eine Liebe, eine Leidenschaft, der sie weder Halt gebieten konnte, noch wollte.
»Aber ich liebe dich ja!«
Es war ein Zauberwort, das, von ihrem Mund gesprochen, jeden Widerstand lähmte, jede Kraft brach. Dann flüsterte sie: »Und sieh, ich war so unglücklich; ich lebte dahin, stumpf und dumpf. Alles in mir war tot. Habe Erbarmen mit mir! Ich fühle in mir eine solche Sehnsucht nach Glück. Du weißt nicht, was es heißt, sich mit tödlicher Sehnsucht hinschleppen zu müssen. Der Mensch verkommt dabei. Du bist rein und stark, du kannst nicht wissen, zu welchen Gedanken man gelangt, bei einem Leben, wie ich es führe. Alles in mir ist leer, öde, kalt. Ich friere, mein Herz friert.«
Sie schmiegte sich an ihn. Er fühlte, wie sie zitterte, wie sie erschauerte, und er umschlang sie. Plötzlich rief er, aufstöhnend: »Und Ihr – –«
Sie fiel ihm angstvoll ins Wort: »Still! Von ihm darfst du nicht reden; auch nicht an ihn denken. Er gehört zu jener Klasse von Männern, die wie Gift sind; jede Berührung mit ihnen verpestet. Auch mich hat er verdorben. Das ist nun vorbei. Ich habe dich, du wirst mich besser machen. Es ist so schön, daß ich dich liebe, gerade dich! Es liegt Versöhnung darin. Wir wollen uns dem Volke zuwenden. Mit vereinten Kräften wollen wir an seiner Befreiung arbeiten. Alles was ich besitze, gehört dir – gehört dem Volke, Du sollst glücklich werden.«
Sie drängte ihr Gesicht an seines und er küßte sie mit geschlossenen Augen. Dann entriß er sich ihren Armen.
»Ich muß fort.«
»Es geht heute kein Zug mehr.«
»Ich darf nicht länger bleiben.«
»Aber du liebst mich?«
»Ja! Ja! Ja!«
»Du bist glücklich?«
»Ja.«
»Morgen mußt du wiederkommen, du kommst doch?«
»Morgen – –«
»So geh!«
Er ging; aber sie rief ihn noch einmal zurück.
»Ich begleite dich durch den Park. Es wird uns niemand sehen; und wenn auch – –«
Sie ging ins Schlafzimmer, aus dem sie, einen schwarzen Schleier um den Kopf, gleich wieder heraustrat. Sie schien nicht mehr dieselbe Anna Pawlowna, die sie vordem gewesen. Selbst ihr Gang, ihre Bewegungen waren anders; freier und leichter. Anders war ihre Stimme; inniger und weicher, anders der Ausdruck ihres Gesichts; heiter und jugendlich, die Augen strahlend in einem sanften Glanz, die Lippen von Saschas Küssen gerötet.
Er sah nichts als ihre Schönheit. Auch für ihn war sie gänzlich verwandelt.
Sie hatte den Kelch mit dem Zaubertrank an seine Lippen gesetzt; nun er davon einen Tropfen genossen, würde er unersättlich sein. Sie mochte sich hüten! Auch er war ein anderer geworden.
Als ob sie das empfände, sagte sie: »Weißt du, daß ich mich vor dir fürchten könnte, du großes Kind! Wenn du mich ansiehst, wie eben jetzt, fürchte ich mich vor dir. Was hast du eigentlich für Augen? Sind sie grau oder blau? Laß mich sehen!«
Sie faßte seinen